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Frage von Eric M. •

Frage an Lothar Binding von Eric M. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrter Herr Binding,

zur Frage von Michael Behrens vom 2.9.07 habe ich eine Nachfrage:
Ist es nicht in der Tat ein moralisches Problem, aus der Besteuerung des Tabaks, also faktisch aus dem Drogengeschäft, stammende Gelder zur Finanzierung allgemeiner Staatsausgaben zu verwenden?
Der Staat wird damit doch zum Mit-Profiteur, während die Bevölkerung die Zeche zahlt (die Schäden aus dem Tabakgeschäft sind zwar viel größer als die Steuereinnahmen, fallen aber viel dezentraler an). Für ein Gemeinwesen ist Moral ja kein Luxus, sondern eine Grundbedingung für seine Überlebensfähigkeit und die Loyalität seiner Mitglieder.
Ist es nicht einer der Gründe dafür, dass sich die meisten Politiker so schwer damit tun, wirksam gegen die Drogenindustrie vorzugehen, dass mit dieser Steuer zwei diametral entgegengesetzte Ziele verfolgt werden: Zum einen den Tabakkonsum zu senken und zum zweiten Staatseinnahmen zu generieren?
Warum sollte man nicht die Tabaksteuer in der Tat in eine Abgabe umwandeln, zweckgebunden allein für die Rauchentwöhnung, sowie Prävention, Aufklärung und Forschung bezüglich des Rauchens und den Machenschaften von Big Tobacco - einschließlich deren Umweltvernichtung und Ausbeutung in der "Dritten Welt"?
Das sind Bereiche, wo Geld fehlt und jeder Euro gut eingesetzt ist, denn wenn Schäden erst eingetreten sind, wird es viel teurer (Karl Lauterbach wird das sicherlich bestätigen).
Und die Politik könnte ohne fiskalisch begründete Ängste gegen die Tabakepidemie vorgehen, was sich auch wirtschaftlich bereits sehr kurzfristig rechnen wird.

Mit freundlichen Grüßen
Eric Manneschmidt

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Sehr geehrter Herr Manneschmidt,

vielen Dank für Ihre Mail zum Thema Tabaksteuer. In dem Bewertungssystem das Sie zugrunde legen ist es unmoralisch Staatseinnahmen durch Tabakkonsum zu generieren. In diesem Wertesystem ist es unmoralisch zu rauchen, den Miombo, also die Lunge der Erde durch Tabakanbau zu zerstören, die Tabakbauern auszubeuten, die Umwelt zu zerstören, Kinderarbeit zuzulassen, es ist unmoralisch das Krankheitsrisiko der eigenen Kinder zu erhöhen, die Nachbarn zu belasten, sich selbst einer Gefahr auszusetzen mit dem Wissen, dass die Kosten – wenn auch nicht das Leid – von der Gemeinschaft getragen werden etc. Ich stimme Ihnen hier zu.

Sie unterscheiden in einer Weise zwischen Staat und Bevölkerung der ich so nicht folgen möchte. Aber das ist ein anderes Thema.

Und Sie stellen den Vergleich zum Drogengeschäft her. Ich halte Ihren Vergleich für zulässig, weil Tabak eine Droge ist. Das wissen wir. Aber nach dem in unserem Staat gültigen Rechtsverständnis ist Tabak keine Droge. Deshalb ist auch Herstellung, Vertrieb und Konsum etc. kein Drogengeschäft und die Tabaksteuer so moralisch wie die Mineralölsteuer.

Eine Nebenbemerkung: wäre Tabak auch formalrechtlich eine Droge, hätten wir inzwischen eine gute bundeseinheitliche Gesetzgebung zum Rauchverbot. Da aber das Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium, die beiden Verfassungsressorts, anderer Meinung sind und die Kanzlerin das Kabinett mit diesem Thema nicht befasst hat, kam es zu der absurden Überlegung, das Gaststättenrecht in diesem Kontext zu bemühen.

Zurück zu Ihrer Frage: Der gesundheitspolitische Lenkungsansatz sieht die Rückführung der Staatseinnahmen durch die Tabaksteuer auf „Null“ vor. Hohe Kosten führen zu Konsumverzicht – so die Theorie. Bei Suchtprodukten wie beispielsweise Tabak gelten solch einfache ökonomische Zusammenhänge oft leider nicht

Ich denke dabei u.a. an den Konsum von Schwarzmarktzigaretten. Schwarzmarktprodukte sind bedauerlicherweise häufig noch weitaus schädlicher als die Originalprodukte. Die Menschen schädigen sich bewusst oder unbewusst ihrer Sucht folgend noch viel stärker. Der Staat generiert hier aber keine Steuern. Die Gesundheitskosten steigen, die unkontrollierte Ausbeutung und Umweltzerstörung nimmt zu. Hohe Tabaksteuer führt somit nicht zwangsläufig immer zum Nichtrauchen. Ein in der Steuerpraxis häufig auftauchendes Phänomen ist: je höher die Steuern, desto größer der Ideenreichtum sie zu umgehen. Deshalb muss der gesundheitspolitische Lenkungsansatz durch Steuerbelastung zwingend von anderen gesundheitspolitischen Maßnahmen, wie Aufklärung, Geboten und Verboten und so weiter begleitet werden. Jedenfalls hat die Lenkungswirkung der Steuer funktioniert, wenn niemand mehr raucht und es deshalb auch keine Steuereinnahmen aus dieser Steuer mehr gibt.

Ein ganz anderes Ziel besteht darin, Steuern einzunehmen, um die gesellschaftlich notwendigen Aufgaben finanzieren zu können. Wir besteuern nach Leistungsfähigkeit und Verbrauch. Wer hohe Einnahmen hat und wer viel verbraucht, zahlt mehr Steuern als derjenige, der ein niedrigeres Einkommen hat oder weniger verbraucht. Hier geht es also um finanzpolitische Ziele. Fiskalpolitisch ist es also von Vorteil, wenn legale Produkte viel geraucht werden, weil dann die Einnahmeseite des Staatshaushalts gestärkt wird. Mit dem gleichen Ziel werden die Tabaksteuern von Zeit zu Zeit angehoben.

Beide Ziele, einerseits die Senkung des Konsums durch Steuern bis zur Null-Einnahme aus dieser Steuer, andererseits die Stabilisierung der Staatseinnahmen durch diese Steuer sind nicht gleichzeitig zu verfolgen. Natürlich kann es verschiedene Politiker geben, die entweder das eine oder as andere Ziel verfolgen – der Gesundheitspolitiker freut sich, wenn diese Steuereinnahme sinkt, der Finanzpolitiker freut sich wenn diese Steuereinnahme steigt. Allerdings kenne ich keinen Politiker, keine Politikerin, die auf ihr Fachgebiet in solcher Weise reduziert wären. Die meisten Politiker wissen, dass die gesellschaftlichen Kosten die durch die Raucher erzeugt werden – Geld und Leid – sehr viel höher sind, als die ca. 14 Milliarden, die im Bundeshaushalt über die Tabaksteuer eingenommen werden. Deshalb nehmen auch die meisten Finanzpolitiker die gesundheitspolitischen Ziele ihrer Fachkollegen auf.

Es gibt immer Ausnahmen: Kollegen, die den Zwang der Raucher, ihrer Sucht nachgehen zu müssen, mit der Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung verwechseln und die Zwangslage der Passivraucher mitrauchen zu müssen ignorieren, sehen das natürlich anders.

Der von Ihnen vorgeschlagene Ansatz einer Abgabe, die beispielsweise gezielt für Präventionsprojekte und für Projekte gegen die Ausbeutung im Zusammenhang der Tabakproduktion eingesetzt werden könnte, würde das grundsätzliche Dilemma nicht überwinden. Auch die Steuern werden ja sinnvoll ausgegeben: für Gesundheitsaufklärung, Entwicklungspolitik etc. Der Unterschied zwischen Abgabe und Steuer ist ja bezogen auf diesen Zielkonflikt nicht sehr groß. Steuern kommen in den großen Topf, dann wird entschieden was damit geschieht. Abgaben werden schon vordefiniert für einen bestimmten Zweck erhoben. In beiden Fällen existierte das von Ihnen festgestellte Dilemma weiter.

In einer ironischen Variante möchte ich mich mit Ihrem Vorschlag anfreunden: Das Abgabenaufkommen würde im Interesse der betroffenen Abgabepflichtigen eingesetzt, da sie mit dem Kauf der Zigarette ihr Einverständnis für die Verwendung der Abgabe erklärt haben. Folglich wäre die Raucherin, der Raucher, ein verantwortungsbewusster Konsument, der „reale“ Preise für sein Produkt bezahlt. Dann sollten mit dem Kaufpreis bzw. der Abgabe alle Folgekosten abgedeckt sein. Eine Art Verursacherprinzip. Der Raucher bezahlt die Aufklärungskampagne über die Schädlichkeit des Rauchens über seine Abgabe, so wie er auch die Werbung dafür, dass es sich seiner Sucht nicht entziehen kann, über die Preiskalkulation der Tabakindustrie in Rechnung gestellt bekommt.

Wissenschaftliche Gutachten zeigen, dass der auf einer Kostenrechnung beruhende Preis für eine Schachtel Zigaretten mit über 33 Euro zu veranschlagen ist. Umweltschäden und Ausbeutung in den produzierenden Ländern noch nicht eingerechnet. Siehe hierzu
http://www.econ.uni-hamburg.de/IRdW/zivil/Kosten_des_Rauchens.pdf .

Gleichwohl, die Einführung eines gesetzlich festgeschriebenen Rauchverbots, wenigstens überall dort, wo Nichtraucher belastet werden können, wäre ein wichtiger Schritt. Teilerfolge konnten wir ja mit dem Bundesgesetz und den Regelungen auf Länderebene erreichen.

Um diese Bewusstseinsänderung in unserer Gesellschaft weiter voran zu bringen, bedarf es, wie Ihnen aus Ihrem persönlichen großen Einsatz für den Schutz vor Passivrauchen sehr gut bekannt ist, bedauerlicherweise in Deutschland noch sehr viel Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit.

Aufgrund der verharzten Strukturen gelingt dies nur mit dem unermüdlichen Engagement der vielen im Passivraucherschutz engagierten Vereine, Verbände, Einzelpersonen, Medien, wissenschaftlicher Einrichtungen und auch meiner Kolleginnen und Kollegen.

Mit freundlichen Grüßen
Lothar Binding