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Lothar Binding
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Frage von Alexander Z. •

Frage an Lothar Binding von Alexander Z. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Binding,

mich würde interessieren, warum die Steuertabellen nicht regelmäßig gemäß der gemessenen Inflation angeglichen werden, so dass der Effekt der (versteckten) kalten Progression nicht entstehen kann und somit insb. niedrige und mittlere Einkommen gemäß ihrer realen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit besteuert werden statt eine versteckte, stätige Steuererhöhung zu erzielen?

Vielen dank.

MfG

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Zschach,

gerne beantworte ich Ihre Frage zu den Wirkungen der so genannten kalten Progression in einem Steuersystem. Die Wirkungen auf den einzelnen Steuerpflichtigen hängen ab von der Belastungskurve und der Einkommenskategorie und treten jeweils nur im Bereich des progressiven Steuertarifs auf. Niedrige Einkommen, die unterhalb des Grundfreibetrags bleiben, und sehr hohe Einkommen, für die ein fast proportionaler Tarif gilt, sind davon nicht betroffen.

Die Progression eines Tarifs misst man mit der sog Tarifelastizität. (vgl. auch http://www.uni-kiel.de/ifw/pub/kap/2006/kap1304.pdf ) Mit ihr kann man berechnen, um wie viel Prozent die Steuerlast zunimmt, wenn das zu versteuernde Einkommen des Steuerpflichtigen um ein Prozent wächst. Diese Berechnung kann zu folgenden Ergebnissen führen:

Ein proportionaler Tarif liegt vor, wenn Einkommen und Steuerlast im gleichen prozentualen Verhältnis steigen. Die Tarifelastizität nimmt in diesem Fall den Wert 1 an. Wenn also das zu versteuernde Einkommen um ein Prozent steigt, wächst auch die Steuerlast um ein Prozent. Das Verhältnis von Steuerlast zum Einkommen, der sog. Durchschnittssteuersatz, bleibt unverändert, wenn das zu versteuernde Einkommen wächst.
Von einem progressiven Tarif spricht man, wenn die Tarifelastizität einen Wert über 1 annimmt. Das bedeutet, dass die Steuerlast bei Einkommenserhöhungen schneller als das Einkommen selbst wächst. Wenn die Tarifelastizität beispielsweise einen Wert von 1,5 aufweist, heißt das, dass die Steuerbelastung um 1,5% zunimmt, wenn sich das Einkommen um ein Prozent erhöht.

Die sog. Tarifelastizität ist im unteren Einkommensbereich besonders ausgeprägt, d.h. die indirekte Progression wirkt hier stärker. Von der Tarifelastizität allerdings auf die Höhe der Steuerbelastung zu schließen, ist unzulässig. Um diesen Zusammenhang darzulegen, zitiere ich aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS vom 19. Januar 2001 (Bundestags- Drucksache 14/5123):

„Eine sozial orientierte Steuerpolitik, die den Schwerpunkt der Tarifentlastungen bei den unteren und mittleren Einkommen setzt (Anhebung des Grundfreibetrages, Senkung des Eingangssteuersatzes), führt zu einer Erhöhung der Elastizität insbesondere im unteren Einkommensbereich. Wenn die Steuerbelastung für untere Einkommen prozentual stärker als für höhere Einkommen gesenkt wird, muss sich bei Einkommenserhöhungen der Belastungsanstieg verstärken. Am höchsten ist die Elastizität naturgegeben beim Übergang vom Grundfreibetrag zum Eingangssteuersatz.“ (Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der PDS vom 19. Januar 2001)

Im Finanz- und Haushaltsausschuss arbeite ich zusammen mit meinen Fraktionskollegen und -kolleginnen für eine sozial orientierte Steuerpolitik. Leitlinie unserer Politik ist eine Besteuerung nach dem Grundsatz der Leistungsfähigkeit. Vereinfacht ausgedrückt: wer mehr verdient, soll auch auf einen höheren Anteil seines Einkommens Steuern zahlen. Wer hingegen weniger verdient und einen größeren Anteil seines Einkommens zur Finanzierung seines Lebensunterhalts aufwenden muss, muss nur einen geringen Anteil an den Staat abführen; wer unterhalb des Grundfreibetrags – abgeleitet aus dem Existenzminimum – bleibt, zahlt nichts an den Fiskus. Diese politischen Festlegungen konkretisieren unsere Vorstellungen einer sozial gerechten Gesellschaft und zeigen beabsichtigte Folgen in der Verteilung der Steuerlast. Einige ausgewählte Merkmale und Kennziffern unseres Steuersystems, die sich auf Informationen des Bundesministeriums der Finanzen aus dem Jahr 2006 sowie der AG Finanzen der SPD- Bundestagsfraktion stützen, sollen dies unterstreichen:

Unser Augenmerk galt in erster Linie Menschen mit einem geringen Haushaltseinkommen. In den vergangenen Jahren haben wir die Belastung bei der Lohn- und Einkommensteuer erheblich abgesenkt. Das steuerfreie Existenzminimum wurde in mehreren Schritten von 6.322 Euro im Jahr 1998 auf 7.664 Euro ab 2004 angehoben. Der Eingangssteuersatz sank im selben Zeitraum von 25,9% auf 15%. Für sehr hohe Einkommen hingegen, die bei Ledigen bzw. Verheirateten über 250.000 bzw. 500.000 Euro liegen, haben wir mit einem Ecksteuersatz von 45%, der sog. „Reichensteuer“, einen proportionalen Einkommenstarif geschaffen. Damit gehören wir im europäischen Vergleich zu den Ländern mit den günstigsten Steuertarifen im unteren und mittleren Einkommensbereich.

Schaubild 1: Erhöhung des Grundfreibetrags des Einkommensteuertarifs bis 2005

Den Löwenanteil an der Lohn- und Einkommensteuer in Deutschland müssen Steuerpflichtige mit höheren Einkommen schultern. 4,2 % der Steuerpflichtigen mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 52.152 € bei Ledigen bzw. 104.304 € bei Verheirateten tragen 40,1% des gesamten Lohn- und Einkommensteueraufkommens. 46% der Steuerpflichtigen mit einem Einkommen zwischen 20.000 € bzw. 40.000 € und dem Grundfreibetrag tragen hingegen lediglich 31,2 %.

Die Gesamtentlastung für die privaten Haushalte durch die Steuerreform 2000, deren letzte Stufe 2005 wirksam wurde, betrug mehr als 40 Milliarden Euro. Am deutlichsten wirkte die Entlastung bei den Steuerpflichtigen mit kleinen und mittleren Einkommen. Sie wurden prozentual stärker entlastet als hohe Einkommen und hatten einen deutlich höheren Anteil ihres Bruttoeinkommens zur Verfügung als Bezieher höherer Einkommen.

Schaubild 2: Anteil des verfügbaren Einkommens am Bruttoeinkommen, Vergleich 2005 mit 1998; Verheirateter Alleinverdiener mit zwei Kindern

Die Absenkung der Tarifsätze und die Anhebung des Grundfreibetrags haben sich als wirksame Instrumente erwiesen, um die Steuerlast möglichst vieler Haushalte, gerade aus dem kleinen und mittleren Einkommensbereich, deutlich zu senken.

Mit dieser Darstellung wird deutlich, dass wir die bewusste politische Entscheidung über Steuersenkungen unter sozialen bzw. sozialdemokratischen Gesichtspunkten einer mechanistischen Anpassung gemäß der Inflation vorziehen. Auf diese Weise lassen sich auch die fiskalischen Risiken leichter begrenzen.

In der Hoffnung, Ihre Gedanken konstruktiv reflektiert und Ihnen einen Einblick in meine Überlegungen gegeben zu haben, verbleibe ich

mit freundlichem Gruß, Ihr Lothar Binding

Anmerkung der Redaktion
Die Antwort von Herrn Binding enthält Grafiken, die aus technischen Gründen nicht auf der Seite dagestellt werden können.
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