Frage an Lothar Binding von Martin B. bezüglich Staat und Verwaltung
Thema Nichtraucherschutz
Sehr geehrter Herr Binding,
im Internet und vereinzelt in Presserzeugnissen ist unter vielen Veröffentlichungen auch heftige wissenschaftliche Kritik an den Ergebnissen der Studie des Deutschen Krebsforschungszentrums zum Passivrauchen geäußert worden. Kennen Sie die Kritik und wenn ja, wie ist das in Ihre Überlegungen zur Gestaltung des Gesetzes zum Nichtrauchschutz miteingeflossen?
Einige Ministerpräsidenten haben überlegt, allen Bürgern (Rauchern und Nichtrauchern) mit einem Gesetzesvorschlag gerecht zu werden. Darauf schrieben Sie als Ablehnung auf die Idee wörtlich auf Ihrer Homepage: „Wir wären betroffen darüber, und es wäre beschämend, wenn die Europäische Union eingreifen müsste, weil die deutsche Politik nicht im Stande ist“
Wie stehen Sie zum Subsidaritätsprinzip?
Mit freundlichen Grüßen
Martin Bohlender
Sehr geehrter Herr Bohlender,
vielen Dank für Ihre beiden Fragen: Erstens: Tabakindustrie manipuliert Wissenschaft, zweitens: Subsidiarität.
Zu Ihrer ersten Frage: Sie schreiben "...heftige wissenschaftliche Kritik an den Ergebnissen...". Das ist falsch. Es gab Kritik von einzelnen Wissenschaftlern. Aber weder die Kritik an den statistischen Verfahren, noch die Kritik an den Aussagen zu den Gefährdungen durch Tabakrauch werden wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht.
Deshalb ist solche fehlerhafte Kritik in meine Überlegungen zur Gesetzgebung nicht eingeflossen. Schauen Sie bitte auch in das Protokoll der Anhörung des Deutschen Bundestages zu diesem Thema.
Auf der anderen Seite sind leider auch nicht alle Erkenntnisse der wissenschaftlichen Ausarbeitungen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in unsere Gesetzgebung eingeflossen. Vernünftig wäre eine ganz einfache, natürlich bundesweite, Regelung, die sich aus der einfachen Erkenntnis ableiten lässt, dass Rauchen gefährlich ist, wirtschaftlichen Schaden anrichtet, Ressourcen vernichtet. Alle Diskussionen über Abweichungen, Ausnahmen etc. sind dem politischen Kompromiss geschuldet und der Unfreiheit vieler Menschen sich in Freiheit gegen ihre Sucht entscheiden zu können.
Hier noch einige Hintergrundinformationen, die meine Antwort untermauern: In solchen Kritiken werden einfache in den Wissenschaften Medizin, Chemie, Mathematik oder Physik entwickelte Erkenntnisse, oft auch logische Grundsätze verletzt. Solche Fehler sind leicht zu erklären, denn wenn die Prämissen in einem gültigen Schluss wahr sind, muss auch die Konklusion wahr sein. Ist allerdings die Prämisse falsch, können Sie Wahres und Falsches ableiten. Die fachlichen Erläuterungen dazu finden Sie schön aufbereitet auf der website von wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Pr%C3%A4misse.
Nun bestreitet (fast) niemand das Tabak ein Gift ist, ein hohes Gesundheitsrisiko darstellt, für viele Herzinfarkte und für viele Lungenkrebserkrankungen verantwortlich ist, süchtig macht, unsere Haut hässlicher aussehen lässt, unsere Zähne verfärbt, manchmal auch unsere Finger, Jugendliche fett werden lässt, weil Sie annehmen die Zigarette würde ihnen das Hungergefühl nehmen - und obendrein noch teuer ist, weil der Kunde die ihn verführende exorbitant teure Werbung mit jeder Zigarette gleich mitbezahlt. Die oft zitierte Steuerlast auf der Zigarette ist teuer erkauft durch die hohen gesellschaftlichen Kosten durch Arbeitsausfall, Krankheit etc. Das ist die Ausgangslage, die wahre Prämisse.
Nun stellen Sie sich vor, Sie müssten ein solches Produkt verkaufen. Verantworten könnten Sie das mit gutem Gewissen nicht. Wenn Sie nun aber - weil es Ihre Aufgabe ist - betriebswirtschaftlich "gezwungen" sind dieses Produkt zu bewerben und zu verkaufen: Was bleibt Ihnen? Sie müssen diese einfachen Erkenntnisse innerlich verdrängen und öffentlich bezweifeln. Offensichtliche Erkenntnisse bezweifeln? Das glaubt Ihnen natürlich niemand. Deshalb sagen Sie: "stimmt, obige Erkenntnisse lassen sich nicht bestreiten, aber die Schlussfolgerungen sind ja längst nicht so gefährlich, wie immer behauptet wird: Wer z.B. in seinen statistischen Verfahren Menschen in einem Altern von über 60 oder 70 mit einbezieht kommt natürlich zu einer falschen Sterberate durch Rauchen. (Wobei ich selbst dies Betrachtung für zynisch halte, denn für mich ist es ein Unterschied ob jemand in Ruhe von uns gehen kann oder ob er sich zuvor oft jahrelang mit einem Krebsleiden belasten muss.) Dabei vergessen die Kritiker aber eine aus ihrer Sicht korrekte Zahl zu ermitteln - dann würde nämlich deutlich, dass Sie Gesundheitsschutz in Abhängigkeit von einer statistischen Unschärfe betrachten. Meine Politik ist aber bei 3.456 Toten durch Passivrauchen gleich meiner Politik bei 3.789 Toten. Und ich möchte den Wissenschaftler kennen lernen, der mir wissenschaftlich die Sinnhaftigkeit anderen Verhaltens begründet. Ich möchte es bei diesem einen Beispiel belassen. Mit dem Verfahren, aus einer falschen Prämisse etwas Gewünschtes abzuleiten, können beliebig viele Beispiele gefunden werden.
Zu dem erschreckend degenerieren und fehlgeleiteten Begriff von "Wissenschaftlichkeit", den die von Ihnen erwähnten Kritiker verwenden, gebe ich nachfolgend einen Link auf das Deutsche Ärzteblatt. Für mich gehört die Unabhängigkeit untrennbar zu wissenschaftlicher Forschung hinzu. Schauen Sie selbst:
Hier die Quelle meines Zitats: Grüning, Thilo; Schönfeld, Nicolas Tabakindustrie und Ärzte: „Vom Teufel bezahlt . . .“ Deutsches Ärzteblatt 104, Ausgabe 12 vom 23.03.2007, Seite A-770 / B-678 / C-652 THEMEN DER ZEIT
Hier ein kleiner Ausschnitt aus dem Aufsatz von Thilo Grüning und Nocolas Schönfeld:
"Im Jahre 1998 wurden mehrere transnationale Tabakkonzerne durch Schadensersatzprozesse in den USA zur Veröffentlichung ihrer internen Dokumente im Internet gezwungen. Mehr als sechs Millionen teilweise streng geheime Dokumente, wie Sitzungs- und Forschungsprotokolle, Strategiepapiere oder persönliche Briefe, findet man beispielsweise in den Internetarchiven der University of California, San Francisco (5). Sie offenbaren Strategien und weltweite Aktivitäten der Tabakindustrie. Durch die jahrzehntelange Korrespondenz der Konzerne in den USA mit ihren deutschen Niederlassungen sowie ihrem deutschen Interessenverband, dem Verband der Cigarettenindustrie (VdC), gelangten auch für Deutschland relevante Dokumente ins Internet. So konnte die Einflussnahme der Tabakindustrie in Deutschland auf die Forschung, die sich mit Gesundheitsschäden des Rauchens beschäftigte, untersucht werden (3, 4)."
Hier der Link zu dem kompletten Aufsatz:
http://www.forum-rauchfrei.de/literatur/aerzteblatt230307.doc
Zu Ihrer zweiten Frage: Wie stehen Sie zum Subsidiaritätsprinzip?
Die Antwort für die eiligen Leserin, den eiligen Leser: Ich bin ein Verfechter des Subsidiaritätsprinzips.
Subsidiarität ist ja auch einer unserer gesellschaftlichen Grundsätze. Damit stellen wir die Selbstverantwortung vor staatliches Handeln. Der Begriff bezieht sich auf individuelles Handeln ebenso wie auf die Glieder in der Staatorganisation. Im Zweifelsfall sind die untergeordneten Körperschaften wie Stadt, Kreis, Kommune oder Land für die Umsetzung zuständig, während übergeordnete Glieder zurücktreten. Mit Zweifelsfall ist natürlich verbunden, dass die untergeordneten Glieder die Probleme und Aufgaben eigenständig lösen können und dass Verfassungsgrundsätze, wie etwa: "gleiche Lebensverhältnisse überall in Deutschland" nicht verletzt werden. Dieser Gedanke setzt sich in der EU fort: Das Subsidiaritätsprinzip ist auch Grundlage in der Europäischen Union, um die Organe der EU in ihrer Gesetzgebung im Verhältnis zu den Einzelstaaten zu beschränken.
Die Antwort auf die Frage, ob etwas übergeordnet oder in - bezogen auf die staatliche Ordnung - untergeordneten Gliederungen, geregelt wird, ist oft in der Verfassung zu finden. In der Deutschen Verfassung finden wir den Bund zuständig für Gifte, Genussmittel, Gesundheitsprophylaxe und Arbeitsschutz. Deshalb ist der Bund für den Schutz vor dem Passivrauchen zuständig. Die Fehlinterpretation, hier könnte das "Gaststättenrecht" eine Rolle spielen, hat sich etwas verfestigt. Aber hier lohnt sich nur dann zu kämpfen, wenn die Bundesländer keine gute einheitliche Lösung finden. Mit dieser Bemerkung wollte ich vorbereiten, warum ich auch denke, dass Gesundheitsschutz auch europäisch nicht teilbar ist. So wie die Herz- und Kreislaufbelastung durch ein Tabakrauchmolekül und so wie die Krebsgefahr durch ein karzinogenes Feinstaubmolekül in Göttingen nicht anders behandelt werden darf wie in Kassel, so darf das auch nicht zwischen Passau und Paris unterschieden werden. Insofern sollte Deutschland zu einer klugen Lösung kommen... andernfalls würden sicher in Europe vernunftbegabte Lösungen zu erarbeiten sein. Wie gesagt Subsidiarität impliziert immer auch dass die "untergeordneten Glieder die Probleme und Aufgaben eigenständig lösen können" und ich füge hinzu - auch lösen.
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Lothar Binding