Frage an Lothar Binding von Martin K. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Binding,
kurz vor Weihnachten 2019 wurde eine Änderung des Einkommensteuergesetzes bezüglich der Termingeschäfte beschlossen, die insbesondere Kleinanleger in den totalen Bankrott treiben kann.
Ich habe mir heute bei meinem Broker den Jahreskontoauszug 2019 erstellen lassen und hatte den folgenden Saldo:
Im Gewinn geschlossene Optionen: + 380.451,17 €
Im Verlust geschlossene Optionen: - 378.880,64 €
Gesamt: + 1.570,53 €
Für 2019 muss ich für dieses Ergebnis 1.570,53 € * 25% = 392,- € Abgeltungssteuer zahlen.
Der Kontostand beträgt übrigens ca. 50.000€. Ich bin eben nur ein Kleinanleger und muss deshalb bei den Termingeschäften auf eine strikte Risikobegrenzung achten, damit dieses kleine Kapital nicht im Totalverlust endet.
Vielleicht wissen sie ja, wie man das mit den so genannten „Optionen-Spreads“ machen kann: Aus dem Geld verkaufte (Short-) Optionen werden mit ein bisschen weiter aus dem Geld gekauften (Long-) Optionen abgesichert.
Doch nun kommt die eingeführte Änderung der Besteuerung. Sollte ich in 2021 weiterhin so risikoavers handeln und einen ähnlichen Saldo im Kontoauszug vorfinden, käme es zur Katastrophe:
380.451,17€ - 10.000€ = 370.451,17€ * 25% = 92.612,-€ Abgeltungssteuer wären zu zahlen.
Das Konto muss leer geräumt werden und ich muss mit einem Kredit „nachschießen“.
Meine Fragen dazu:
Haben Sie die Möglichkeit, die Bundesregierung dazu zu bewegen, möglichst früh in 2020 alle möglichen Presseorgane über diesen Umstand zu informieren, damit auch der letzte Kleinanleger weiß, wie er sich in 2021 verhalten muss?
Diese drohende Vernichtung von Kleinvermögen muss mit aller Macht verhindert werden.
Können Sie dazu beitragen?
Mit freundlichen Grüßen
M. K.
Sehr geehrter Herr K.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich gehe gerne darauf ein. Dabei kann ich dankenswerterweise auch auf Formulierungen aus dem Bundesfinanzministerium zurückgreifen. In einigen Fällen erinnert meine Antwort stark an Antworten auf ähnliche Fragen bei Abgeordnetenwatch, weil schon die Fragen dicht beieinander liegen.
Die Änderung des Einkommensteuergesetzes zielt sicherlich nicht auf eine „Vernichtung“ von Kleinvermögen ab, sondern ist eine notwendige Änderung in Folge einer Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes.
Sie schreiben: „Ich habe mir heute bei meinem Broker den Jahreskontoauszug 2019 erstellen lassen und hatte den folgenden Saldo:
Im Gewinn geschlossene Optionen: + 380.451,17 €
Im Verlust geschlossene Optionen: - 378.880,64 €“ und weiter „Ich bin eben nur ein Kleinanleger“.
Man ist ja nicht deshalb ein Kleinanleger weil es viel größere gibt. Ich nehme die Gesellschaft als Ganzes in den Blick…
Das zeigt mir, dass wir unterschiedliche Auffassungen davon haben, wen wir „Kleinanleger“ nennen wollen. Die Risiken, die Sie eingehen, da hilft auch Ihre Frage, ob Sie “weiterhin so risikoavers handeln“ sollen, nicht viel, würde sich niemand leisten können, der, sagen wir mal, in den unter fünf bis acht Einkommensdezilen liegt.
Ich zitiere nochmal eine Zuschrift… „Warum werden solche Spekulationsgeschäfte überhaupt benötigt – Spekulation ausgerechnet mit der Altersvorsorge? Gehen diese Leute nicht im Gegenteil Risiken ein, die Ihre Altersvorsorge in Gefahr bringen? Und hoffen sie nicht heimlich, dass die anderen Steuerzahler, die auf solche Spekulationen verzichten, den Spekulanten dabei helfen ihre Risiken im Verlustfall zu dämpfen? Und was macht eigentlich der arme Altersvorsorgesparer, der die Verluste trägt, die sie durch Spekulationsgewinne erwirken? Eins will ich Ihnen sagen, die Kleinsparer und Kleinaktionäre leben jedenfalls nicht von den Spekulationsgewinnen. Auch im Alter nicht.“
Grundlage der Neuregelung waren zwei Urteile des Bundesfinanzhofes aus den Jahren 2016 und 2017, auf die die Bundesregierung reagiert hat, da in diesen beiden Urteilen des Bundesfinanzhofes, der der bis dato vorliegenden Auffassung der Finanzverwaltung, also keine steuerliche Berücksichtigung bestimmter Verluste, nicht gefolgt wurde.
Kurz ein paar Worte zur Vorgeschichte:
Die Finanzverwaltung hat den Verlust aus dem Verfall von Optionen und Forderungen auch nach Einführung der Abgeltungsteuer nicht anerkannt. So wurde in einem BMF-Schreiben aus dem Jahr 2016 die Berücksichtigung von Verlusten aus dem Optionsverfall generell versagt. Auch vor Anwendung der Abgeltungsteuer fanden in der Vorgängerregelung in §23 EStG Verluste aus dem Verfall von Optionen nach Auffassung der Finanzverwaltung keine Berücksichtigung. Dem Bundesfinanzministerium ist nicht bekannt, dass diese jahrelang praktizierte Verwaltungsauffassung, die im Übrigen für den Steuerpflichtigen ungünstiger war als die jetzt diskutierte Änderung, zu nachhaltigen Belastungen geführt hat.
Nach Ablauf des Gesetzgebungsprozesses werden Gesetze im Bundesgesetzblatt verkündet. Oft folgt daraus auch eine Berichterstattung in verschiedenen Medien. So wurde diese Änderung auch bereits von diversen Finanznachrichtenzeitschriften und –portalen aufgegriffen. Auch die Tagesschau hat bereits darüber berichtet. Ich gehe davon aus, dass Privatpersonen, die sich für Finanzanlageprodukte interessieren und regelmäßig damit handeln sich auch regelmäßig über aktuelle Entwicklungen am Markt informieren und so über diese Änderung informiert wurden.
Zudem informieren viele Banken ihre Kund*innen regelmäßig über gesetzliche Änderungen. Daher halte ich eine große Kampagne der Bundesregierung an dieser Stelle nicht für notwendig.
Mit freundlichen Grüßen
Lothar Binding
P.S.: An Hand von Beispielrechnungen möchte ich Ihnen kurz den Unterschied zwischen alter und neuer Regelung deutlich machen:
Beispielrechnung 1:
Sie erzielen innerhalb eines Kalenderjahres aus Optionsgeschäften einen Gewinn von 90.000 Euro. Gleichzeitig realisieren Sie einen Verlust von 85.000 Euro, weil eine Option mit Anschaffungskosten in dieser Höhe wertlos verfällt.
Steuerliche Auswirkung unter Berücksichtigung der bisherigen Verwaltungsauffassung:
Sie müssen den Veräußerungsgewinn in Höhe von 90.000 Euro versteuern, der Verlust aus dem Verfall der Option wurde nicht anerkannt.
Steuerliche Auswirkung unter Berücksichtigung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG:
Der Veräußerungsgewinn in Höhe von 90.000 Euro kann mit dem Verlust in Höhe von maximal 10.000 Euro verrechnet werden, es verbleibt ein steuerpflichtiger Gewinn von 80.000 Euro. 75.000 Euro Verlust aus dem Verfall der Optionen werden auf Folgejahre vorgetragen und können jeweils bis zu 10.000 Euro mit Gewinnen aus Termingeschäften oder vereinnahmten Stillhalterprämien verrechnet werden.
Beispielrechnung 2:
Sie spekulieren auf fallende Kurse der Aktie B. Die Aktie B steht bei 300 Euro. Sie kaufen einen Put mit Basispreis 210 Euro und dem Bezugsverhältnis von 1:1 für 3,-- Euro. Sie erwerben mit dem Put das Recht innerhalb der nächsten 7 Monate die B-Aktie für 210 Euro an Ihren Vertragspartner zu verkaufen bzw. die Differenz zwischen Ausübungskurs und Basispreis ausbezahlt zu kommen. Die Laufzeit des Puts beträgt 7 Monate. Sie kaufen sich 30.000 Puts. Die Aktie ist in den letzten 30 Jahren nur zweimal in einem Zeitraum von 7 Monaten um 30 % gefallen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie das eingesetzte Kapital zurück erhalten ist sehr gering.
Nach 7 Monaten steht die Aktie der B bei 330,-- Euro. Ihre gekauften Puts mit Anschaffungskosten von 90.000 Euro verfallen wertlos.
Steuerliche Auswirkung unter Berücksichtigung der – bis 2016 geltenden - Verwaltungsauffassung: Der Verlust aus dem Verfall der Option wurde nicht anerkannt.
Steuerliche Auswirkung unter Berücksichtigung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG: Der Verlust wird in Höhe von 10.000 Euro berücksichtigt und kann mit Erträgen aus Termingeschäften verrechnet werden. Der Verlust in Höhe von 80.000 wird vorgetragen und kann jeweils in Höhe von 10.000 Euro in Folgejahren mit Gewinnen aus Termingeschäften verrechnet werden.