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Frage von Jan F. •

Frage an Lothar Binding von Jan F. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Binding,

Sie haben in Ihrer heutigen Rede im Bundestag das Bretton Woods Abkommen und die Abkehr von der Goldbindung 1972 zur Sprache gebracht, und schlossen diesen Hinweis mit den Worten: "...und seitdem ist Deutschland nicht untergegangen."

Nun muss man nicht stets mit dem Allerschlimmsten rechnen, aber ich hoffe dennoch, dass Ihnen bewusst ist, dass sich die Staatsverschuldung seit dem besagten Jahr 1972 von ca. 100 Milliarden Euro auf inzwischen über 2000 Milliarden Euro etwa verzwanzigfacht hat. (Wenn Sie sich diese graphische Darstellung der Schuldenentwicklung ansehen, dürften Sie als Diplommathematiker mit mir darin übereinstimmen, dass wir uns seit ca. 2008 in einer exponentiellen Entwicklung befinden: https://www.aref.de/kalenderblatt/mehr/staatsverschuldung_deutschland_entwicklung.htm)

Daher meine Frage:
Glauben Sie wirklich, dass die Abkehr vom Goldstandart in keinerlei empirischen Zusammenhang zur Verzwanzigfachung der Bundesschuld steht?
Gerade in Ihrer Eigenschaft als Mathematiker finde ich es befremdlich, dass Sie scheinbar kein Problem damit haben, dass heutzutage Geld aus dem Nichts geschöpft werden darf (Stichwort: Giralgeld; das können Sie sich u.a. von Herrn Müller alias "Mr. Dax" bei Youtube erklären lassen)
Daher meine beiden letzten Frage: Halten Sie die Staatsfinanzierung durch direkte Anleihenkäufe der EZB auch am Subprimemarkt für rechtmäßig, auch wenn der EZB die Finanzierung von Staaten explizit verboten ist? Wenn ja, warum?
Wie halten Sie es prinzipiell mit der Einhaltung von Verträgen? Helmut Schmidt hat einmal gesagt: "Ein Vertrag, ist ein Vertrag, ist ein Vertrag." Fällt in der modernen SPD die Interpretation des Maastricht Vertrages noch unter dieses Mantra?

Mit freundlichen Grüßen

J. F., M.A.

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Sehr geehrter Herr F.,

vielen Dank für Ihre Anfrage zur Abkehr vom Goldstandart.

Die Idee "Goldstandard" oder "Golddeckung" ist schon älter. Im Deutschen Kaiserreich gab es einige Jahrzehnte (ab 1871) einen „Goldstandard“, gelegentlich mit einer vollen Golddeckung verwechselt. Tatsächlich war schon damals auf den „Goldfuß“ der einzelnen Währungen zu achten, also drauf, welche Menge Gold einer bestimmten Währungseinheit im jeweiligen Land entsprach. In Deutschland entsprachen zum Beispiel 0,358g Gold einer Mark. Eigentlich ging es beim Goldstandard darum, die einzelnen Währungen in den Ländern am Gold orientiert zu normieren – allerdings haben die einzelnen Länder ihre Deckungsvorschriften selbst definiert. Im ersten Weltkrieg und danach wurde dieses System in vielen Ländern aufgehoben, in den USA wurde die Golddeckung des Dollars 1931 (große Depression) aufgehoben.

Mit der Vereinbarung in Bretton-Woods wurde noch vor dem Ende des zweiten Weltkriegs ein System fester Wechselkurse geschaffen – durch

1. die direkte Kopplung der Wechselkurse aller teilnehmenden Länder an den Dollar
2. sichere Umtauschmöglichkeit der Währungen in Gold.

In zwei Schritten wurde dieses System später aufgegeben: 1971 beendete Richard Nixon die Eintauschbarkeit von Dollar in Gold, 1976 empfahl der Internationale Währungsfonds die Aufhebung der Goldbindung der Währungen.

Unter https://de.wikipedia.org/wiki/Bretton-Woods-System finden Sie das Bretton-Woods System sehr schön beschrieben.
Es ist leicht zu sehen, dass die Staatsverschuldung in Deutschland seit ihrer Gründung in der Mehrzahl der Jahre zugenommen hat. Allerdings ist kein Zusammenhang zur Aufhebung des Bretton-Woods Abkommens Anfang der siebziger Jahre zu erkennen. Wenn Sie sich den Verlauf der deutschen Staatsverschuldung ansehen, fallen Ihnen dabei zwei Ereignisse besonders ins Auge. Der sprunghafte Anstieg Anfang der 1990er Jahr als Folge der Deutschen Einheit und die Jahre nach der Finanzkrise 2008. Alleine diese beiden Sprünge 1990-1995 und 2005-2010 sind Ursache für etwa die Hälfte der aktuellen Staatsverschuldung. Einen Zusammenhang zur Aufhebung des Goldstandards ist darin nicht zu erkennen.

Ergänzend möchte ich erwähnen, dass die enorme Aufbauarbeit zur Überwindung des zerstörten Deutschlands natürlich etwas gekostet hat, viele der Investitionen waren allerdings „rentierlich“, also der künftigen Entwicklung förderlich und nachfolgenden Generationen dienlich. Last but not least sind bestimmte Guthaben der Individuen, die Schulden des Kollektivs.
Wir (auch indirekt durch Versicherungen, Bausparkassen, …) finden in der Assetklasse Staatsanleihe eine sichere Anlagemöglichkeit.
Sie sehen, warum der von Ihnen hinterfragte „empirischen Zusammenhang“ nicht zu sehen ist.
Nachfolgend einige Gedanken zu Ihren weiteren Punkten.

Sie stellen in Ihrer Frage ein exponentielles Wachstum des „Geldsystems“ bzw. einer Volkswirtschaft in Frage. Wenn ich auf das rein materielle Wachstum schaue, gebe ich Ihnen im Prinzip Recht. Die Bevölkerung in Deutschland wächst nur geringfügig und die Ressourcen sind begrenzt. Der menschliche Erfindergeist unterliegt diesen Grenzen aber nicht! Und durch Innovation fallen dann auch technische Grenzen. So gelingt es beispielsweise den Ingenieuren seit den 70er Jahren, alle ein bis zwei Jahre die Anzahl der Transistoren auf einem integrierten Schaltkreis zu verdoppeln. Nur zum Vergleich: Das weltweite Vermögen verdoppelt sich im Schnitt „nur“ alle 15 Jahre. Diese sogenannte Moore‘sche Gesetz des exponentiellen Leistungsanstiegs der Mikroprozessoren gilt als eine der Ursachen für die digitale Revolution.

Zinsen auf Kredite führen dazu, daß die Kreditschuld exponentiell anwächst. Aber genauso wächst im Normalfall auch der Gewinn aus der kreditfinanzierten Investition exponentiell an. Solange die Rendite, d.h. die Wachstumsrate der Investition, höher ist als der Kreditzins besteht deswegen auch kein Problem.

Geld gewinnt nicht von selbst an Wert. Entscheidend ist deshalb, dass jeder, der sich einen Kredit – in welcher Form auch immer – nimmt und damit eine Investition tätigt, im Normalfall mit dieser Investition dann auch einen Mehrwert erwirtschaften sollte. Ihre Ausbildung ist das beste Beispiel für eine gute Investition: Sie verzichten während der Ausbildung auf einen höheren Lohn, den sie bei einer Vollzeitbeschäftigung erzielen könnten. Dafür werden Sie später einen sicheren und besser bezahlten Arbeitsplatz erhalten. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung berechnet bei dieser sogenannten Bildungsrendite einen Lohnzuwachs von 5 % für jedes zusätzliche Jahr in Schule, Ausbildung oder Studium. Um bei diesem Beispiel zu bleiben, würde es sich also auch lohnen, einen Kredit über 100 Euro aufzunehmen und in Bildung zu investieren, denn die 5 % Zinsen hätte man bereits im ersten Arbeitsjahr erwirtschaftet.

Dass auch der Staat Zinsen zahlen muss – übrigens nicht nur an Banken, sondern auch an seine Bürgerinnen und Bürger – liegt nicht daran, dass Banken das Recht haben, Giralgeld zu erschaffen. Auch bei einem in Bargeld ausgegebenen Kredit würden Zinsen fällig werden, mit denen der Gläubiger dem Schuldner die Kosten des überlassenen Kapitals in Rechnung stellt.

Eine vollständige Verlagerung des Zahlungsverkehrs auf Zentralbankgeld würde das Finanzsystem ohne Zweifel sicherer machen. Finanzwirtschaftlich käme dies allerdings dem Rückzug auf Bargeld gleich, der bereits jetzt für jeden gangbar ist. Volkswirtschaftlich wäre dies sicher ein Rückschritt, da dieses unproduktive Bar- respektive Zentralbankvermögen dann nicht zur Kreditvergabe und damit der Förderung von Investitionen eingesetzt werden könnte. Denn wer einen Kredit aufnimmt, geht davon aus durch das ihm dadurch zur Verfügung gestellte Kapital auch einen Mehrwert erzeugen zu können.

Naturgemäß ist Giralgeld stets mit einem Risiko versehen, dass die Bank ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen kann. Um dieses Restrisiko zu minimieren, wurden Mindestreservepflichten, Eigenkapitalunterlegung, Einlagensicherungssysteme, etc. eingeführt.

Zu Ihrer Frage der Rechtmäßigkeit der Anleihekäufe auf dem Sekundärmarkt möchte ich gerne auf einen Gastbeitrag von mir im Tagesspiegel von vor 2 Jahren verweisen: https://lothar-binding.de/europa-braucht-mehr-wachstumsfoerdernde-impulse/

Ich halte die Anleihekäufe damals nach wir vor für richtig, zur Stabilisierung der Euro-Zone und dem Erreichen des Inflationszieles. Auf Grund einer Klage der AfD hat das Bundesverfassungsgericht den fall dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt, der nun darüber entscheiden soll, ob die Anleihekäufe noch im Rahmen des EZB-Mandats erfolgen. Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof kam kürzlich in seinem Gutachten zum Schluss, dass die Anleihekäufe mit dem EZB-Mandat vereinbar sind: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/ezb-anleihenkauf-gutachten-101.html

Mit freundlichen Grüßen, Ihr Lothar Binding

Lothar Binding