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Frage von Bernd M. •

Frage an Lothar Binding von Bernd M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Nichtraucherschutz

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

ich verstehe die Funktion des Abgeordneten als Stimme der Bürger. Aber auch als allen Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet. Es kann eine Gesellschaft nicht befrieden, wenn z. B. zwei Drittel das restliche Drittel niederstimmen in ihren Lebensgewohnheiten. Ein Beispiel: Ich komme gelegentlich in eine Bierkneipe mit ca. 18 Plätzen an Tisch und Theke. Deren Gäste sind Raucher. Es ist als Raucherlokal gekennzeichnet. Es kann nicht sein, dass dort alle Besucher nicht mehr rauchen dürfen, falls sich alle zwei Wochen mal ein Nichtraucher hineinverirrt; das versteht kein Mensch! Es geht Ihnen nur ums Bevormunden.

Nun hat sich die SPD, die ich jahrzehntelang gewählt hatte, von der Arbeitnehmerschaft weit, weit entfernt (s. a. SPIEGEL Nr. 21 vom 23.5.11). Dem Arbeiter soll die Zigarette zu seinem Feierabendbier verboten werden.

Mich interessiert, wie Sie Ihre Absicht begründen an Hand meines Beispiels.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Mezger,

vielen Dank für Ihre Frage. Sie schreiben: " . Es geht Ihnen nur ums Bevormunden." Eigentlich signalisieren Sie damit, dass Sie an meiner Antwort nicht interessiert sind. Sie wissen ja schon dass es mir nur "nur ums Bevormunden" geht.

Sie schreiben auch: "Es kann eine Gesellschaft nicht befrieden, wenn z.B. zwei Drittel das restliche Drittel niederstimmen in ihren Lebensgewohnheiten." Hier haben Sie Recht. Umgekehrt werden Sie sicher damit nicht behaupten wollen dass es der Befriedung einer Gesellschaft dient, wenn z.B. ein Viertel die übrigen drei Viertel in ihren Lebensgewohnheiten dominiert oder wenn gar - nur aus Gründen einer Sucht - ein Viertel das Krankheitsrisiko von drei Vierteln der Gesellschaft dramatisch erhöht. Und im Krankheitsfall bezahlt das eine Viertel sogar noch den kleineren Teil der Kosten und auch das oft unermessliche Leid, das durch Rauch in die Familien getragen wird. trägt oft eben nicht der Verursacher, sondern Leute aus der großen Gruppe, die von der kleinen Gruppe dominiert werden - es sei denn der größere Teil der Gesellschaft würde seinen Lebensraum drastisch einschränken. Das Dumme beim Rauchen ist ja, dass nur ein Raucher stets den gesamten Raum, in dem er seinen Rauch verbreitet, kontaminiert. Physik der Gase.

Sie schreiben weiter: "Dem Arbeiter soll die Zigarette zu seinem Feierabendbier verboten werden". Das ist falsch und ich kenne Ihre Quelle für diese Falschinformation nicht. Nein, Zigaretten, ebenso wie das Rauchen sollen nicht - schon gar nicht einer speziellen Gruppe - verboten werden. Außerdem wäre das auch völlig unlogisch. Es stimmt zwar, dass Rauchen statistisch ein Zeichen für Armut und schlechte Bildung ist, aber erstens gibt es sehr viele gebildete und gut ausgebildete Arbeiter, die auch ein gutes Einkommen haben und zweitens könnte ich nicht erklären, warum eine bestimmte Gruppe einem Verbot unterworfen würde, andere Gruppen, wie Angestellte, Selbständige etc. aber nicht. Sie sprechen auch Ihr Wahlverhalten an. Wer seine Lebensverhältnisse in einer Gesellschaft von nur einem einzigen Parameter abhängig wähnt, hat ein sehr reduziertes Verständnis von Gesellschaft. vielleicht sogar von sich selbst.

Ihr Beispiel reflektiert bekannte Argumente. Es ist eines der klassischen Muster der Zigarettenindustrie bzw. der Tabaklobby um von den schrecklichen Krankheiten, wie diverse Krebsarten, Herz- und Kreislaufprobleme etc. abzulenken. In meinem Buch "Kalter Rauch" finden Sie weitere solcher Beispiele und Mythen und wer sich erstmals mit dem Thema Rauchen beschäftigt kommt natürlich schnell auf solche bekannten Denkmuster zurück. Deshalb habe ich meinen Mitarbeiter gebeten nachfolgend einige Fragmente aus alten Antworten zusammen zu stellen.

Ich könnte Ihnen sehr kurz antworten und sagen, dass es unser Ziel ist, die Menschen, Gäste Ihre Freunde zu bitten, für einige Minuten, eine Zigarettenlänge, vor die Tür zu gehen, um die anderen Gäste, das Personal, also Sie und alle weiteren Menschen, die sich in dem Raum aufhalten, vor schweren Gesundheitsgefahren zu schützen. Darum geht es bei unseren Überlegungen. Auch wenn es besser ist, weil gesünder und weniger Gestank in den Kleidern, nicht zu rauchen, wollen wir das Rauchen nicht verbieten.

Eine aktuelle Studie des Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg belegt, dass sogar mehr als dreiviertel der Menschen ein bundesweit einheitliches und striktes Rauchverbot in der Gastronomie fordert. Eine derartig klares Votum der Menschen finden Sie in keinem Wahlergebnis einer Bundes- oder Landtagswahl, die Regierungsarbeit der mehrheitlich gewählten Parteien ist dennoch demokratisch legitimiert. Diese eindeutige Forderung der Menschen gibt meinen Kolleginnen und Kollegen und mir den Auftrag, für einen besseren Gesundheitsschutz einzutreten. Rauchen ist das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko unserer Zeit. Ihrer Argumentation folgend, dürfte die Politik in keinem Bereich präventiv, also vorbeugend, tätig werden.

Die Raucher wollen die Nichtraucher nicht diskriminieren, Raucher wollen im Allgemeinen ja keinem etwas Schlechtes zufügen, sie wollen nur ihre Sucht kurzzeitig befriedigen - wenngleich sie dabei in Kauf nehmen, andere zu schädigen. Auch wenn ich das nicht für gut halte, jeder soll sich auch in Zukunft frei dafür entscheiden können, seinen eigenen Körper gesundheitlich zu schädigen - aber bitte nur sich selbst und nicht andere, die beispielsweise aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter in der Gastronomie zum Mitrauchen gezwungen sind. Es geht um die Abwendung einer eindeutig wissenschaftlich belegten schweren Gesundheitsgefahr, die sogar zum Tod führen kann. Die Folgen für schwangere Arbeitnehmerinnen auf das ungeborene Kind sind nicht abschätzbar.

Neun von zehn Lungenkrebspatienten waren Raucher. Sie werden vielleicht einwenden: keiner und keine muss in Ihrer Eckkneipe arbeiten. Niemand wird gezwungen. Aber mit dieser Unterscheidung - Arbeitsplatz in (vermeidbar) giftiger belasteter Luft, Arbeitsplatz mit weitestgehend sauberer Luft - würde die freie Wahl des Arbeitsplatzes eingeschränkt. Verfassungsrechte würden verletzt. Eine rein Inhaber geführte Kneipe gibt es in der Regel nicht. Der Inhaber ist immer auf helfende Hände angewiesen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bedürfen einen besonderen Arbeitsschutz. Alle Arbeitnehmer sollen so gut wie möglich geschützt werden. Das ist mein Grundsatz. Und die Arbeitgeber auch. Manche Belastungen sind unvermeidbar. Das ist schon schlimm genug. Aber vermeidbare Belastungen sollen vermieden werden. Beschäftigte, Inhaber und Familienangehörige die in Gaststätten arbeiten, haben leider noch nicht einmal gleichen Gesundheitsschutz wie andere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Im §5 Abs. der Arbeitsstättenverordnung gibt es eine Ausnahme für Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr, hier heißt es: "

(1) Der Arbeitgeber hat die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nicht rauchenden Beschäftigten in Arbeitsstätten wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt sind. Soweit erforderlich, hat der Arbeitgeber ein allgemeines oder auf einzelne Bereiche der Arbeitsstätte beschränktes Rauchverbot zu erlassen.

(2) In Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr hat der Arbeitgeber Schutzmaßnahmen nach Absatz 1 nur insoweit zu treffen, als die Natur des Betriebes und die Art der Beschäftigung es zulassen."

Ein Arbeitsplatz mit einer Belastung mit krebserregenden Dämpfen, wie sie durch den Rauch in Gaststätten gemessen werden können, würde nicht zugelassen. Diese rechtlichen Lücken sind historischen Versäumnissen geschuldet. Der gesellschaftliche wie persönliche Preis ist sehr hoch: Mehr als 130 Tausend Tote pro Jahr in Deutschland, fast 30 mal so viel Tote wie in Folge von Verkehrsunfällen.

Werden Kunden, Gäste, den Gastwirt tatsächlich in den wirtschaftlichen Ruin treiben, wenn sie gebeten werden, für eine Zigarettenlänge vor die Tür zu gehen? Ist das wirklich so, dass sich Stammgäste einer Gaststätte so verhalten? Werden die Gäste wirklich auf den guten Service, auf das gemütliche Ambiente in der Gaststätte, auf die freundliche Ausstrahlung, interessante Gespräche verzichten? Werden die Gäste ihr Verhalten tatsächlich auf ihre Sucht reduzieren, alle anderen Kulturleistungen des Menschen beiseiteschieben? Die Antwort ist: nein. Es gibt inzwischen genügend Erfahrungen in anderen Ländern, wärmeren und kälteren. Ja, einzelne Gäste verhalten sich so. Aber insgesamt hat sich gezeigt, dass die Umsätze in der Gastronomie in vielen Bereichen mit dem Rauchverbot in Gaststätten gestiegen sind. Es wäre auch merkwürdig Rauchern zu unterstellen, ihr Sozialverhalten, ihre Geselligkeit etc. würden vom Rauchvermögen abhängen. Deshalb geht es bei meiner Argumentation ja auch nicht um Raucher, sondern um Rauch. Rauch ist gefährlich. Von vielen Rauchern kann ich das nicht sagen.

Wissenschaftler der Universität Hamburg haben im Juni 2009 die Daten des statistischen Bundesamtes zur wirtschaftlichen Situation des Gastgewerbes ausgewertet. Ergebnis: Die Umsätze der Restaurants blieben nach Einführung der Rauchverbote stabil, die Umsätze der getränkegeprägten Gastronomie gingen kurzzeitig zurück, erholten sich dann aber wieder. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Wissenschaftler des Rheinisch Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) im April 2010. Diese Ergebnisse stimmen mit den Erfahrungen in anderen europäischen Ländern überein. Ein bundesweites generelles Rauchverbot in der Gastronomie schafft Klarheit und einen fairen Wettbewerb. Konsequente Rauchverbote sind wirtschaftlich von Vorteil: Die Umsätze bleiben stabil oder werden gesteigert, und es entstehen gesunde Arbeitsplätze. Das bedeutet, bundesweite einheitliche, konsequente und leicht verständliche Regelungen sind wirtschaftsfreundlich.

Der gegenwärtige Flickenteppich und die zahlreichen Ausnahmen und Sonderregelungen in den Bundesländern verunsichern nicht nur die Gäste, sondern auch die Gastwirte und Gastwirtinnen. Zudem führen viele Sonderregelungen und Ausnahmen zu Wettbewerbsverzerrungen.

Unser Ziel ist die Herstellung bundesweit gleicher Wettbewerbsbedingungen, die auch für Gastwirte eine verlässliche und dauerhafte Grundlage bieten. In der Öffentlichkeit wurde und wird die unbefriedigende Situation der Menschen zum Anlass genommen, Volksbegehren durchzuführen. In Bayern hat dies trotz einer heftigen und teuren Kampagne der Tabakindustrie, dazu geführt, dass sich die Menschen mit einer deutlichen Mehrheit für einen besseren Gesundheitsschutz ausgesprochen haben.

Ich komme nochmal auf oben erwähntes Zitat zurück: "Nun hat sich die SPD, die ich jahrzehntelang gewählt hatte, von der Arbeitnehmerschaft weit entfernt.. "Dem Arbeiter soll die Zigarette zu seinem Feierabendbier verboten werden."

Der Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ist ein Kernanliegen der SPD. Mit dem Hamburger-Programm haben wir folgendes beschlossen:

"Die Humanisierung der Arbeitswelt ist eine ständige Aufgabe. Schlechte Arbeitsbedingungen und hoher Leistungsdruck gefährden die Qualität von Arbeit, aber auch die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz ist weiterzuentwickeln (Seite 55) . "Vorsorgende sozialdemokratische Gesundheitspolitik will Krankheit vermeiden, Gesundheit erhalten und Unterschiede in den Gesundheitschancen abbauen. Wir streben gesunde Lebensverhältnisse für alle Menschen an und fördern gesundheitsbewusstes Verhalten."

Wie erwähnt, das Rauchen ist mit Abstand das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko unserer Zeit. Der Schutz der Arbeitnehmer vor Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz ist ein essentielles Anliegen der Sozialdemokratie. Daneben spielt es auch eine Rolle, dass ausgerechnet die Ärmeren einen großen Teil Ihres Einkommens suchtbedingt dafür verwenden ihr Krankheitsrisiko zu erhöhen. Es geht also auch um eine soziale Frage.

Menschen aus einfachen Verhältnissen rauchen mehr und auch öfter in Gegenwart ihrer Kinder, geben prozentual mehr Geld für Tabak aus und sterben früher an den Folgen des Rauchens als Angehörige der oberen Schichten. Dies ist ein weiterer Grund, warum wir uns auch aus sozialer Verantwortung diesem wichtigen Thema annehmen.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Angehörigen Gesundheit und hoffe, dass Sie niemals aufgrund der körperlichen Schädigung durch Tabakkonsum bzw. Rauch oder durch Passivrauchen unter schwersten gesundheitlichen Folgen leider müssen. In einigen Fällen führen erst Diagnosen wie "Krebs" oder "Infarkt" zu einem Umdenken - dann kann es zu spät sein.

Mit freundlichen Grüßen
Lothar Binding