Frage an Lisa Paus von Irmgard M. bezüglich Recht
Der VW-Konzern und die anderen Autokonzern haben die Bevölkerung, den Staat und die Kontrollinstanzen über Jahre durch den Einbau und die Nutzung einer illegalen Software betrogen. Warum werden sie nicht strafrechtlich verfolgt wie jeder andere überführte Betrüger auch? Wie stehen Sie dazu?
Liebe Frau M.,
das ist eine sehr berechtigte Frage und Sie legen damit den Finger in die Wunde der Bundesregierung.
Wie Sie nämlich sicher wissen ist Volkswagen wegen Einbaus und Nutzung dieser Software in den USA vor Gericht gestellt worden. Die US-amerikanische Umweltbehörde EPA hat VW durch beharrliche Ermittlungen im September 2015 zu dem Eingeständnis gedrängt, beim VW-Dieselmotor EA 189 Abschalteinrichtungen zu nutzen, die auf das Erkennen des Prüfzyklus ausgerichtet sind. Auf der Straße weist dieser Motor eine bis zu 40-fache Überschreitung des vorgeschriebenen Grenzwertes auf. In den USA steht der Volkswagen-Konzern Strafen und Entschädigungszahlungen im zweistelligen Milliardenbereich gegenüber.
Auch in Deutschland und Europa laufen derzeit Ermittlungen. Aber während es in den USA in kürzester Zeit zu Konsequenzen gekommen ist, warten die Diesel-Fahrzeughalter hierzulande immer noch auf eine angemessene Entschädigung bzw. Nachrüstung ihrer Fahrzeuge. Dass Bundesregierung und Autoindustrie versuchen sich mit Software-Nachrüstungen aus der Affäre zu ziehen, ist vor diesem Hintergrund fast schon skandalös.
Diesel-Pkw sind für zwei Drittel dieser Emissionen verantwortlich. Sie haben eine Straßenzulassung, weil sie bei Labortests die zulässigen Schadstoffgrenzwerte einhalten. Auf der Straße hingegen stoßen sie viel mehr Abgase aus. Stickoxid ist Luftschadstoff Nummer Eins in Deutschland. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur sterben hierzulande jedes Jahr mehr als 10.000 Menschen vorzeitig aufgrund der Luftbelastung durch Stickstoffdioxid (das sind mehr als doppelt so viele Opfer wie von Verkehrsunfällen).
Das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts, dass Diesel-Fahrverbote bei entsprechender Überschreitung der Grenzwerte als letzte Lösung zulässig sind, hat der Bundesregierung und der Autolobby klare Grenzen aufgezeigt. Die Gesundheit der Menschen ist ein höheres Gut als die Gewinne der Automobilkonzerne. Es musst dringend etwas passieren, denn keiner kann doch wirklich solche Fahrverbote für Innenstädte wollen! Es kann doch auch nicht sein, dass Dieselfahrer darunter leiden, dass die Industrie ihrer Pflicht nicht nachkommt.
Es zeigt sich erneut: die Arbeitsverweigerung vom Bundesverkehrsminister wird den Menschen im Land zum Verhängnis. Wenn jetzt auch die Besitzer von Dieselfahrzeugen nachhaltig verunsichert sind und tatsächlich Fahrverbote erlassen werden müssen, geht das in erster Linie auf die Kappe von Alexander Dobrindt. Anstatt sich als Schutzheiliger der Automobilbranche zu verstehen, wäre es die Aufgabe von Dobrindt und der ganzen Bundesregierung gewesen, sich für eine ökologische Industriepolitik, saubere Luft in den Städten und die Interessen der geschädigten Verbraucherinnen und Verbraucher frühzeitig einzusetzen.
Die Verflechtung der derzeitigen Bundesregierung mit der deutschen Autoindustrie ist einfach unsäglich. Mit ihrer Klüngelei und schmutzigen Deals setzt die Bundesregierung die Zukunft des Automobilstandorts Deutschlands fahrlässig aufs Spiel. Die Große Koalition hat nicht nur den Aufbruch in die abgasfreie Mobilität verschlafen, viel schlimmer: Sie verhindert seit Jahren durch die Subventionierung alter und umweltschädlicher Technologien die Verkehrswende. Mit der 8 Mrd. Euro Subventionen für den Diesel muss endlich Schluss sein. Sie gehören schnellstmöglich schrittweise abgebaut. Deutschland muss sich auf europäischer Ebene für eine Kraftstoffbesteuerung einsetzen, die nicht mehr pro Liter besteuert, sondern nach dem CO2-Gehalt.
Statt zur Aufarbeitung des Diesel-Skandals beizutragen, blockieren Herr Dobrindt und die Bundesregierung aber auf allen Ebenen. Alle Vorwürfe müssen transparent aufgeklärt werden. Die Politik ist in der Pflicht das marktwirtschaftliche Haftungsprinzip durchzusetzen, statt Verbraucher und Steuerzahler die Zeche zu überlassen. Die Justiz muss die Verantwortlichen ermitteln und verurteilen. Es gilt, das Gemeinwohl gegenüber mächtigen Sonderinteressen zu verteidigen. Bundesregierung und Städte müssen die europarechtlichen Grenzwerte für saubere Luft konsequent durchsetzen, um weitere vermeidbare Todesfälle zu verhindern. Auch Bewohner von Innenstädten haben ein Recht auf saubere Atemluft.
Als Konsequenz aus dem Abgasskandal fordern wir Grüne u.a.:
• Zuständigkeiten neu ordnen: Die Typgenehmigung muss künftig durch eine vom Kraftfahrt-Bundesamt unabhängige, perspektivisch europäische Zulassungsbehörde erfolgen.
• Bei der Überprüfung bereits in Betrieb befindlicher Fahrzeuge soll neben der Messung von Schadstoffemissionen auch der CO2-Ausstoß im realen Straßenbetrieb kontrolliert werden.
• Die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass alle zugelassenen Fahrzeuge die gesetzlichen Abgasgrenzwerte einhalten; sie muss dafür sorgen, dass die Hersteller dafür notwendige Nachrüstungen vornehmen.
• Möglichkeit einer Gruppenklage schaffen: Zur wirkungsvollen Durchsetzung von Verbraucherrechten brauchen wir das Gruppenklageverfahren. Bundesregierung muss VW gegenüber darauf drängen, dass deutsche VerbraucherInnen nicht schlechter gestellt werden als US-amerikanische. Es ist nicht nachvollziehbar, warum europäische VerbraucherInnen keine freiwilligen Entschädigungsleistungen oder rechtsverbindliche Zusagen von VW erhalten
Mit besten Grüßen
Ihre
Lisa Paus