Wo bleibt die Stabilisierung des Rentensystems?
Sehr geehrte Frau Heitmann,
Der derzeitige Bundeskanzler, Herr Scholz, hat vor der Wahl geäußert, die kritischen Stimmen zur Stabilität des Rentensystems hätten unrecht und er würde nach der Wahl mit „richtigen“ Experten Lösungsvorschläge zur Zukunftssicherung des Rentensystems aufzeigen. Ich habe dazu noch nichts gelesen, obwohl das Rentensystem mit über 100.000 Millionen (100 Mrd) Euro p.a. bezuschusst wird und die Babyboomer nun von der Beitragszahler- auf die Rentenempfängerseite wechseln. Herr Heil hält am Beitragssatz (<20%), an der Rentenhöhe (>48%) und am Eintrittsalter fest. Einige deutsche und auch internationale Ökonomen bezeichnen das deutsche Rentensystem als Schneeballsystem/ Ponzi-Schema unmittelbar vor dem Zusammenbruch.
Welche Maßnahmen ergreifen Sie im Rahmen der parlamentarischen Kontrolle der Regierung, um den Kanzler zur Vorlage eines Konzeptes zu bewegen?
Vielen Dank im Voraus
Mit freundlichen Grüßen
T. S.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Zuschrift.
Zur Stabilisierung des gesetzlichen Rentensystems sind im Koalitionsvertrag folgende Maßnahmen vorgesehen: eine dauerhafte Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 %, die Einführung einer Aktienrücklage, aus deren Gewinnen die gesetzliche Rentenversicherung ab Mitte der 30er Jahre bezuschusst werden soll, und als relativ unscheinbar erwähnte, aber zentrale Punkte: Stärkung der Erwerbspartizipation von Frauen, älteren Arbeitnehmer*innen, sowie qualifizierte Einwanderung, und auch die Aktivierung bisher nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehender Personen wie Langzeitarbeitslosen.
Die letzten 20 Jahre, in denen sich die Zahlen der gesetzlichen Rentenversicherung völlig konträr zu den Projektionen der meisten Wissenschaftler*innen sehr positiv entwickelt haben, haben gezeigt, dass diese Punkte eine extrem große Wirkung auf die Rentenversicherung haben. Denn genau deshalb lagen die Prognosen daneben, weil sich diese Einflussfaktoren wesentlich positiver entwickelt haben, als das erwartet worden war. Und genau das soll in Zukunft so weitergehen. Das bedeutet, dass es viel wichtiger ist, dafür zu sorgen, dass ein Großteil der Menschen tatsächlich gesundheitlich bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter zu arbeiten in der Lage ist, als das gesetzliche Renteneintrittsalter weiter anzuheben. Dass Hindernisse beseitigt werden müssen, die Frauen an der Teilhabe am Arbeitsmarkt hindern. Dass wir dem bereits stattfindenden Arbeits- und Fachkräftemangel durch Zuwanderung begegnen müssen, und dass wir möglichst viele Zugewanderte schnell und ihre Potentiale ausschöpfend in den Arbeitsmarkt integrieren müssen, durch schnellere Verfahren, bessere Anerkennung ihrer beruflichen Qualifikation, Sprachförderung etc.
Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass der Beitragssatz in ca. 5 Jahren geringfügig zu steigen beginnen wird, allerdings basieren die schlimmen Zahlen, die vielfach aus der Wissenschaft durch die Presse gingen, noch auf inzwischen veralteten und zu pessimistischen Bevölkerungsprognosen. Der Beitragssatz wird also eher auf Werte ansteigen, bei denen er vor 20, 25 Jahren bereits lag, und die damals auch tragbar waren. Der Anteil der Bundeszuschüsse am Bruttoinlandsprodukt und auch am Bundeshaushalt ist seit Jahrzehnten konstant geblieben, und ist zwar ein großer Brocken, aber kein wachsendes Problem. Und schlussendlich sollte noch hinzugefügt werden, dass das gesetzliche Rentensystem einen ähnlich starken Anstieg des Verhältnisses von Menschen im Rentenalter zu Menschen im Erwerbsalter schon in den 90er Jahren erfolgreich bewältigt hat.
Es gibt also durchaus einiges zu tun, hauptsächlich am Arbeitsmarkt, aber Panik ist völlig fehl am Platz. Die genannten Maßnahmen geht die Ampel-Koalition Schritt für Schritt alle an. Die Bezeichnung der gesetzlichen Rente als Schneeballsystem ist eine wissenschaftlich nicht haltbare Fehlbezeichnung und basiert auf großer Unkenntnis der Funktionsweise eines Umlagesystems oder absichtlicher Falschbehauptung. Sie wird auch kaum je von Ökonom*innen geäußert, deren Fachgebiet die gesetzliche Rente ist, sondern eigentlich immer von Ökonom*innen mit anderen Fachgebieten.
Mit freundlichen Grüßen
Linda Heitmann, MdB