Frage an Kay Elvert von Anja T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Elvert,
auf der Tourismus-Homepage der Stadt Hamburg wird so die Herbertstraße beschrieben:
„Vor neugierigen Blicken geschützt, gibt es hier käufliche Liebe. Der Zutritt ist nur für Männer über 18 Jahren erlaubt: Die berühmt-berüchtigte Herbertstraße in Hamburg.
Die etwa 60 Meter lange Gasse, die vor den Blicken Neugieriger durch Tore geschützt wird, gehört zum alten Mythos St. Pauli. Hier gibt es die käufliche Liebe seit dem 19. Jahrhundert. Und nur Männern über 18 Jahren wird Zutritt gewährt. Frauen sollten es erst gar nicht wagen, dort hinein zu wollen - sie erwarten Beschimpfungen, faule Eier, kalte Duschen oder mit Urin gefüllte Eimer.“
https://www.hamburg-tourism.de/sehen-erleben/sehenswuerdigkeiten/herbertstrasse/
Halten Sie diese Werbung für angebracht und zeitgemäß?
Können sie mir sagen, wodurch es legitimiert ist, dass eine Straße der Stadt Hamburg ein jugendgefährdender Ort ist von dem auch Frauen ausgeschlossen sind?
Wurden die Tore und Beschilderungen, die „vor neugierigen Blicken schützten“, von der Stadt angebracht? Zum Schutz der Sexarbeiterinnen? Wenn ja, warum nur dort?
Im Wahlprogramm der CDU heißt es:
„…Lebensqualität fördern – Hamburg zu einer grünen und sicheren Stadt machen
Hamburgs Plätze und Straßen müssen als jeweilige „Herzen der Stadt“ so gestaltet werden, dass sie ein beliebter Aufenthaltsort für alle werden – für Alte wie Junge, für Einheimische wie Touristen, für Alteingesessene wie neu Zugezogene….“
Gibt es außer der Herbertstraße weitere Straßen, die nicht an einer Stadtentwicklung, im Sinne ihres Wahlprogramms, teilhaben?
Wie stehen Sie zu den bisherigen Protesten von Anwohner*innen und Feminist*innen?
Vielen Dank im Voraus für Ihre Antworten
Anja Twest
Hallo Frau T.,
vielen Dank auch an Sie für ihre Fragen an mich.
Ich habe als Polizeibeamter über 20 Jahre auf der Davidwache gearbeitet. Davon sehr viele Jahre als sogenannter Milieuaufklärer. In diesen Jahren hatte ich fast täglich Kontakt zu den auf dem Kiez arbeitenden Frauen. Auch die Herberstraße war "mein Revier".
Die Werbung halte ich für angebracht, weil sie eine Geschichte erzählt. Sie verdreht die Tatsachen nicht, denn so war es tatsächlich früher. Es ist heute nicht mehr ganz so schlimm. Die Frauen, die dort in Dessous arbeiten, mögen es nicht, wenn sie von Frauen dort betrachtet (begafft) werden. Das werden sie sicher verstehen. Wenn sie von Männern die dort durchgehen betrachtet werden, handelt es sich um potentielle Kundschaft. Das macht den Frauen nichts aus.
Die Tore wurden tatsächlich vom Staat angebracht.
Es passierte 1933. Damals herrschte ein Verbot der Prostitution. Da der "Staat" aber den Bürgern trotzdem etwas Freiraum geben wollte, ließ man die Sichtschutztore aufbauen, damit niemand sieht was dort geschieht.
Auf Bitte der dort arbeitenden Frauen wurden später die Schilder mit den Zungangsbeschränkungen angebracht (kein Zutritt für Personen unter 18 Jahren und kein Zutritt für Frauen). Dieser Bitte der Frauen kam man nach. Das passierte vor meiner Zeit dort, also in den 70er Jahren.
Sie fragen mich warum nur dort ? Die Frage verstehe ich nicht. Es handelt sich um die einzige öffentliche Straße wo es Frauen in Dessous gibt.
Die Tore und Schilder sind von den dort anwesenden gewünscht ! Das weiß ich aus unzähligen Gesprächen mit ihnen. Ich selbst kann dieses absolut nachvollziehen und akzeptieren. Wenn diese Frauen so geschützt sein wollen, dann unterstütze ich es selbstverständlich.
Bezüglich ihrer zweiten Frage zum Thema Stadtenticklung. Nein soweit mir bekannt gibt es keine Straße die davon ausgeschlossen ist.
Sicher ist die Herbertstraße dazu ein anderes Thema. Diese Straße zu begrünen... darüber könnte man sicher nachdenken, aber ich halte es nicht für sinnvoll. Es gibt dort ein tolles uraltes Kopfsteinpflaster was seinen Charme hat. Dieses sollte unbedingt erhalten bleiben. Für die Häuser sind die Hausbesitzer zuständig. In ihrem eigenen Interesse halten sie diese gut in Schuß.
Zu ihrer dritten Frage bezüglich der Aktionen/Proteste der Anwohner*innen und Feminist*innen.
Soweit mir bekannt, fanden die dort arbeitenden Frauen diese Aktionen nicht gut und würden gerne selbst entscheiden und gefragt werden. Sie fühlen sich so wohl wie es ist und wunderten sich darüber, dass sie nicht einbezogen oder gefragt worden sind.
Sollte dieses so zutreffen, bin ich der Meinung der Frauen. Sie arbeiten dort freiwillig und selbstbestimmt.
Aus meiner Tätigkeit weiß ich natürlich, dass es auch dort Frauen gab die gezwungen worden sind dort zu arbeiten. In meinen vilen Jahren haben sich 3 Frauen an mich gewandt und um Hilfe gebeten. Alle 3 Frauen leben heute ein gemütliches friedliches Leben ausserhalb des Milieus.
Zur eigentlichen Aussage die sexuelle Ausbeutung von Frauen, Menschenhandel und sexueller Gewalt bin ich absolut derer Meinung.
Ich halte aber auch Frauen für selbstbestimmt genug, dass sie selbst entscheiden welcher Tätigkeit sie nachgehen.
Ich hoffe ich konnte ihre Fragen beantworten und Stellung beziehen.
Nochmals vielen Dank für ihre Fragen, die für einen Mann schwer zu beantworten ist. Durch meine Tätigkeit im Rotlichtmilieu habe ich aber die Erfahrungen und Erlebnisse dort und habe ihnen gerne geantwortet. Für jemanden, der nicht im Thema ist, wäre es sicher schwerer die Fragen zu beantworten.
Mit Freundlichen Grüßen
Kay Elvert