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Katrin Göring-Eckardt
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Martha L. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von Martha L. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Katrin Göring-Eckardt,

Was halten Sie von dem eindringlichen Appel führender Ökonomen?
Liebe Mitbürger,
die Entscheidungen, zu denen sich die Kanzlerin auf dem Gipfeltreffen der EU-Länder gezwungen sah, waren falsch. Die Bankschulden sind fast dreimal so groß wie die Staatsschulden und liegen in den fünf Krisenländern im Bereich von mehreren Billionen Euro. Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen weden, zumal riesige Verluste aus der Finanzierung der inflationären Wirtschaftsblasen der südlichen Länder absehbar sind. Banken müssen scheitern dürfen. Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen können, gibt es nur eine Gruppe, die die Lasten tragen sollte und auch kann: die Gläubiger selber, denn sie sind das Investitionsrisiko bewusst eingegangen und nur sie verfügen über das notwendige Vermögen.
Die Politiker mögen hoffen, die Haftungssummen begrenzen und den Missbrauch durch eine gemeinsame Bankenaufsicht verhindern zu können. Das wird ihnen aber kaum gelingen, solange die Schuldnerländer über die strukturelle Mehrheit im Euroraum verfügen. Wenn die soliden Länder der Vergemeinschaftung der Haftung für die Bankschulden grundsätzlich zustimmen, werden sie immer wieder Pressionen ausgesetzt sein, die Haftungssummen zu vergrößern oder die Voraussetzungen für den Haftungsfall aufzuweichen. Streit und Zwietracht mit den Nachbarn sind vorprogrammiert. Weder der Euro noch der europäische Gedanke als solcher werden durch die Erweiterung der Haftung auf die Banken gerettet; geholfen wird statt dessen der Wall Street, der City of London – auch einigen Investoren in Deutschland - und einer Reihe maroder in- und ausländischer Banken, die nun weiter zu Lasten der Bürger anderer Länder, die mit all dem wenig zu tun haben, ihre Geschäfte betreiben dürfen. Die Sozialisierung der Schulden löst nicht dauerhaft die aktuellen Probleme...

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Lenz,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 6. Juli.

Die Finanzmarktkrise beschäftigt sehr viele Menschen – nicht erst seit sie auf die Wirtschaft übergeschwappt ist. Milliardensummen fließen in die Finanzwirtschaft, die Staatsverschuldung steigt und immer mehr Menschen sind bereits arbeitslos oder es droht ihnen die Arbeitslosigkeit.

Gerne stellen wir Ihnen die grüne Finanzmarktpolitik vor. Es geht dabei um bessere Regeln für die Finanzmärkte und den verantwortungsvollen Umgang mit Steuergeldern bei der Bekämpfung der Krise.

Was mit dem Zusammenbruch der US-Märkte für Immobilienkredite im Sommer 2007 begann, hat sich längst zu einer Weltwirtschaftskrise ausgewachsen. Zunächst schien es so, als ob nur die Finanzmärkte betroffen seien. Das hat sich rasch geändert: Inzwischen gibt es einen globalen Wirtschaftsabschwung, dessen Ende unabsehbar ist.

Weltweit muss sich an der Art des Wirtschaftens etwas ändern: Unternehmen, Regierungen und VerbraucherInnen müssen ihre Verantwortung wahrnehmen. Wir wollen weg vom kurzfristigen Denken und Handeln. Wir setzen auf ein langfristig orientiertes Wirtschaftssystem. Blindes Streben nach Wachstum ohne Rücksicht auf Umwelt und Menschen hat uns in das gegenwärtige Desaster geführt. Immer mehr Menschen spüren, dass es so nicht weitergehen kann.

Niemand soll sagen, die Politik sei für die aktuelle Situation nicht verantwortlich. Es war falsche Politik, die ein Überdrehen der Märkte erst möglich gemacht hat. Das zeigt ein Beispiel: Lange Zeit war es üblich, die Ausgabe von Bankkrediten auf das 12,5-fache des Eigenkapitals der Banken zu beschränken. Durch viele Ausnahmen haben Aufsicht, Notenbanken und Regierungen weltweit auf Druck der Finanzindustrie diese Grenze aufgeweicht. Mehr Kredite bedeuteten ein Aufblähen des Finanzsektors und die hektische Suche nach Anlagemöglichkeiten. Beides hat zum aktuellen Ausmaß der Krise geführt. Schlechte Regeln haben für Bedingungen gesorgt, in dem sich die Gier ungestört entfalten konnte.
Noch immer bezahlen diejenigen die Ratings, die auch die Finanzprodukte konstruieren. Ein Interessenskonflikt ist vorprogrammiert. Den gilt es aufzulösen. Die blinde Gläubigkeit an die Ratings darf sich nicht wiederholen.

Die Bundesregierung setzt auf freiwillige Lösungen. Bankvorstände handeln aber im Interesse ihrer Aktionäre und nicht im Interesse der Volkswirtschaft. Wenn schwache Banken zur Gefahr für die Volkswirtschaft werden, dann muss die Politik die Entscheidung über ihre Stabilisierung treffen. Die Bundesregierung hat das Rettungspaket bereits zweimal nachgebessert (Möglichkeit zur Verstaatlichung und Bad-Bank-Gesetz). Wir wollen eine Lösung abseits von Einzelfallentscheidungen. Deswegen brauchen wir einen grundsätzlichen Strategiewechsel, zum Beispiel mit verpflichtenden Stresstests für die Banken. Wenn sich herausstellt, dass sie beispielsweise eine größere Zahl an Kreditausfällen nicht verkraften können, müssen sie neues Geld aufnehmen, um erstens wieder Kredite vergeben zu können (wichtig zur Bekämpfung Kreditklemme) und um zweitens durch ihren schlechten Zustand nicht zu einer Gefahr für die gesamte Volkswirtschaft zu werden.

Noch nie haben so wenige Menschen in Deutschland über die Verwendung so vieler Steuergelder entschieden wie bei der Bankenrettung. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit und weitgehend ohne parlamentarische Kontrolle entscheidet ein kleiner Zirkel. Wie es anders geht, zeigen die USA: Dort wird über die Verwendung jedes Dollars im Internet berichtet. Grüne Politik steht für einen transparenten Umgang mit Steuergeldern ohne Hinterziemmer-Mauscheleien.

Jetzt erleben wir weltweites Krisenmanagement mit Milliarden an staatlichen Geldern. Für uns Grüne gilt: Keine Staatshilfe ohne Gegenleistung. Keine Sozialisierung von Verlusten und Privatisierung von Gewinnen. Das heißt: Wenn Banken staatliche Hilfen in Anspruch nehmen, müssen sie und ihre AnteilseignerInnen den größtmöglichen Beitrag leisten. Deswegen sind wir auch für (Teil-)Verstaatlichungen. Denn wenn der Staat die Bank ganz oder teilweise übernimmt, erhält er mit dem späteren Verkaufserlös eine Gegenleistung für seine Rettungsmaßnahmen.

Mehr Verbraucherschutz heißt vor allem

· mehr Sicherheit beim Umgang mit Finanzprodukten durch Zugang zu einem unabhängigen und von der Finanzbranche finanzierten Beratungsangebot,

· bessere Vergleichbarkeit der Finanzprodukte,

· strengere Regeln für Finanzdienstleister,

· eine Verlagerung der Beweislast bei Falschberatung von den Verbraucherinnen und Verbrauchern hin zu den Finanzinstituten und

· eine klare Zuständigkeit der BaFin für Verbraucherschutz gemeinsam mit Einrichtungen, die als aktive Verbraucherorganisationen den Markt beobachten, Verbraucheraufklärung betreiben und als Beschwerde- und Schlichtungsstelle für Verbraucherinnen und Verbraucher dienen sollen.

Mit einer Orientierung der Finanzmärkte an mehr Nachhaltigkeit rücken soziale und ethische Aspekte der Anlageentscheidung stärker als bisher in den Blick. Es muss transparent sein, wohin das Geld fließt und womit die Rendite erwirtschaftet wird. Informationspflichten für Vermögensverwalter und Unternehmen sollen den Anlegern ermöglichen, ihr Investment an sozialen, ethischen und ökologischen Kriterien auszurichten. Die öffentliche Hand soll hier Vorbild sein: Öffentliche Gelder – etwa Rückstellungen der gesetzlichen Rentenversicherungen, Gelder der Bundesanstalt für Arbeit oder Pensionsfonds im öffentlichen Eigentum – sollen nur nach festgelegten Nachhaltigkeitskriterien angelegt werden dürfen. Solche Kriterien umfassen beispielsweise das Verbot in Unternehmen zu investieren, die Kinderarbeit zulassen, Rüstungsgüter verkaufen oder Atomkraftwerke betreiben. Auch der öffentlich-rechtliche Bankensektor soll verpflichtet werden, solche Kriterien einzuhalten.

Auf europäischer Ebene soll sich die Bundesregierung für die Einführung einer Finanzumsatzsteuer einsetzen, um die Märkte zu stabilisieren und den Finanzsektor an der Finanzierung des Gemeinwohls zu beteiligen. Die Eigenkapitalvorschriften für die Banken wie auch für die Versicherungen sollen überarbeitet und verschärft werden, um die Finanzinstitute stabiler zu machen. Nationale Aufsichtsbehörden müssen sich besser koordinieren und zu einem europäischen System der Finanzaufsicht weiterentwickeln. Regeln zur Vergütung von Managern, Verbraucherschutz auf Finanzmärkten oder der Umgang mit pleitebedrohten Banken – all das kann die EU regeln. Ebenso kann sie dafür sorgen, Steuer- und Regulierungsoasen auf ihrem Gebiet zu schließen.

Auf internationaler Ebene müssen verbindliche Regeln für die Finanzmärkte festgelegt werden. Wir unterstützen den Grundsatz vom ersten G20-Gipfel im November 2008, nach dem kein Land, kein Finanzprodukt und kein Finanzmarktakteur unbeaufsichtigt sein darf. Zentral sind für uns folgende Punkte:

· Schließung von Regulierungsoasen, da dort die hochriskanten Geschäfte abgelaufen sind, die uns das Desaster eingebrockt haben.

· Regulierung von Hedgefonds, Ratingagenturen und Private-Equity-Unternehmen als zentrale Akteure auf den internationalen Finanzmärkten.

· Verbesserte internationale Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden. Grenzüberschreitend tätigen Banken muss eine entsprechende Aufsichtsstruktur gegenüberstehen.

Im Parlament und außerhalb des Deutschen Bundestages werden wir uns weiterhin für Stabilität, Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit im Bereich der Finanzmärkte einsetzen. Bei der Bankenrettung werden wir der Bundesregierung weiterhin auf die Finger schauen.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen Blick in meine Position geben.

Mit freundlichen Grüßen,

Katrin Göring-Eckardt

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