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Katrin Göring-Eckardt
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von andrea b. •

Frage an Katrin Göring-Eckardt von andrea b. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Göring-Eckhardt,

bei der Abstimmung zum sogenannten „Zugangserschwerungsgesetz“ bzgl. Kinderpornographie im Internet haben Sie sich der Stimme enthalten.

Die diesbezügliche Persönliche Erklärung nach §31 GOBT der 15 Grünen Abgeordneten dazu ist mir bereits bekannt, beantwortet aber nicht mein grundsätzliches Problem mit Ihrem Verhalten, das da lautet:

Wann ist ein Thema dringlich genug, um mit einem klaren NEIN beantwortet zu werden?

Ihr Engagement bzgl. KiPo ist mehr als löblich, aber das verabschiedete Gesetz beendet die grundgesetzlich verbürgte Gewaltenteilung und öffnet der Zensur Tür und Tor. Hingegen wurde von mehreren kompetenten Seiten wiederholt verdeutlicht, dass das Z.-Gesetz nicht nur kein einziges Kind schützt sondern im Gegenteil die Täter/Seitenbetreiber warnt. Alle Bedenken, die Sie in der Persönlichen Erklärung formulieren, sind durch Expertenaussagen mehrfach widerlegt.
Sie lassen nun also ein Gesetz passieren, dass keinerlei Nutzen bringt, im Gegenzug aber die Rechte eines jeden Internetnutzers empfindlich einschränkt und ihn potentiell kriminalisiert. Mit Ihrer Ein-Punkt-ansonsten-egal-Position der Enthaltung nehmen Sie solche Kollateralschäden billigend in Kauf.

Darum noch einmal meine - generelle -Frage zur Urteilsfindung:

Wie dramatisch muß sich ein Szenario darstellen, damit Sie bei einer Güterabwägung wirklich klar Stellung beziehen und deutlich mit NEIN abstimmen?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Baranski,

vielen Dank für Ihre Mail. Sie bitten mich um Stellungnahme, warum ich mich bei der Abstimmung zum "Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen" enthalten habe. Lassen Sie mich einige Bemerkungen dazu voranstellen. Darin sind wir uns sicher einig: Kinderpornographie ist eine der widerlichsten Formen der Kriminalität. Zu Recht sind Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie Straftaten, die hoch betraft werden. Unter rot-grüner Regierung haben wir Strafbarkeitslücken geschlossen und auch Besitz und Nachfrage von kinderpornographischem Material unter Strafe gestellt. Kinderpornographie fügt den Betroffenen schwerste Verletzungen zu und traumatisiert sie, oft ein Leben lang. Kindern gebührt jeder Schutz, den unsere Gesellschaft bieten kann.

Für uns Grüne ist klar: Kinderpornographie muss effektiv und konsequent verfolgt werden.
Wir haben vor fünf Jahren den Nationalen Aktionsplan zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung vorgelegt. Der Schwerpunkt liegt auf Aufdeckung und Vermeidung von sexuellem Missbrauch, in der Identifizierung der Opfer, deren Schutz und Rehabilitation. Dieser Aktionsplan muss mit aller Kraft weiterentwickelt und fortgeführt werden - dem hat sich die Bundesregierung aber bisher versagt. Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen hat versäumt, kontinuierlich und effektiv gegen Kindesmissbrauch vorzugehen und auch nicht darauf hingewirkt, dass zuständige Behörden mit mehr Personal und Sachmitteln ausgestattet wurden, was dringend erforderlich wäre. Dies ist auch nicht mit dem Aktionismus in Bezug auf das Internet zu verdecken. Beim Kinderschutz hat die Bundesregierung versagt.

Sexuelle Gewalt gegen Kinder, auch die im Internet gezeigte, findet in der wirklichen Welt statt. Um sie zu verhindern können nicht allein das Internet und die neuen Medien in den Blick genommen werden. Wir brauchen eine Gesamtstrategie, national wie international, die sexuelle Ausbeutung an der Wurzel bekämpft. Ein Teil der Gesamtstrategie ist das Internet.

Als Beitrag dazu hat die Bundesregierung ein Gesetz vorgelegt, dass den Zugang zu Kinderpornoseite durch Sperren erschweren will. Die Diskussion darüber ist im Vorfeld und noch einmal mehr nach der Abstimmung heftig geführt worden - gerade auch innerhalb der Grünen. Ich begrüße, dass wir in der Sache diskutieren. Und ich bin stolz, dass es wieder wir Grünen sind, die die Frage nach wirksamer Bekämpfung von Kinderpornographie und nach Freiheits- und Bürgerrechten in die Öffentlichkeit tragen. Aber es kann nicht darum gehen, den einen Politikbereich gegen den anderen auszuspielen. Wir sind gefordert, uns für Bürgerrechte und für Datenschutz stark zu machen. Und wir sind gefordert, gegen Kinderpornographie und kinderpornographischen Inhalt im Netz vorzugehen. Beides und beides gemeinsam als grüne Partei in Auseinadersetzung mit dem politischen Gegner.

Wir Grünen verteidigen die Freiheit des Internets. Grundsätzliche Beschränkungen freier Kommunikation wollen wir nicht zulassen. Aber: die Verbreitung und der Konsum von Kinderpornographie hat mit der Freiheit des Internets nichts zu tun. Weder garantiert Artikel 5 des Grundgesetzes die Freiheit, Kinderpornographie im Internet frei und unbegrenzt abzurufen, noch ist das ein Bürgerrecht. Die Sperrung von Seiten mit kinderpornographischem Inhalt kann nicht als ein Angriff auf seine Freiheit verstanden werden.

Von Seiten der Internetcommunity wird die Gefahr beschrieben, dass der Kampf gegen Kinderpornographie der Türöffner dafür sei, auch andere Inhalte im Internet zu sperren. Das allein rechtfertigt für mich noch nicht die Ablehnung von Sperren gegen den konkreten Bereich der Kinderpornographie. Wir können nicht mit Hinweis auf künftig möglicherweise zu Erwartendes grundsätzlich gegen Internetsperren sein, sondern müssen dann einschreiten, wenn sich Befürchtungen bestätigen und tatsächlich in Freiheitsrechte eingegriffen werden sollte. Genau das ist mit mir und mit den Grünen nicht zu machen. Ich nehme die Bedenken sehr ernst. Und wir werden die Ausführungen des Gesetzes sehr genau beobachten und kritisieren, wenn Begehrlichkeiten für den Zugriff auf andere Bereiche geweckt werden.

Zugleich höre ich die Einschätzung der Kinderschutzorganisiationen. Am Round-Table-Gespräch der grünen Fraktion am 2. Juli 2009 haben Vertreterinnen von Save the Children, dem Kinderschutzbund und UNICEF teilgenommen. Alle, auch Anne Lüttgens, der man als ehemaligen grünen Justizministerin in Schleswig-Holstein den Einsatz für Grundgesetz und Freiheitsrechte nicht wird absprechen wollen, befürworteten bei aller Kritik am Gesetz im Grundsatz die Einrichtung von Internetsperren- Als einen Schritt, dem weitere folgen müssen.

Für mich haben die Argumentationen beider Seiten Gewicht. Wo sie sich diametral gegenüberstanden habe ich für meine Entscheidung Nutzen und Risiken abgewogen. Ergebnis dieses Abwägungsprozesses ist meine Enthaltung. Eine Zustimmung kam für mich nicht in Frage.

Wir Grünen kämpfen für Meinungs- und Pressefreiheit. Zensur schränkt diese Freiheit ein, das ist für uns nicht akzeptabel. Die Sperrung von Internetseiten, die Zugang zu Kinderpornographie ermöglichen aber hat mit Zensur nichts zu tun. Denn Konsum von Kinderpornographie ist kein Freiheitsrecht, sondern Straftat.

Ich halte es für unredlich, zu behaupten mit einem emotionalisierten Thema wie Kinderpornographie werde in Wahrheit eine ganz andere Agenda verfolgt und zugleich selbst mit dem Aufruf "Gegen Zensur" gegen ein Gesetz zu mobilisieren, dass mit Zensur nichts zu tun hat. Ich halte niemandem vor, der massiv für die Freiheit des Internets eintritt, ihm sei offensichtlich die Verbreitung von Kinderpornographie im Netz egal. Gleichzeitig bitte ich davon abzusehen, mir vorzuwerfen, ich hätte das Internet und die Bedrohung seiner Freiheit noch nicht ganz verstanden, wenn ich wegen des Anliegens, gegen Kinderpornographie vorzugehen, eine Enthaltung (Enthaltung! Nicht Zustimmung!) zum Gesetz vertretbar finde.

Intension des Gesetzes ist es, Verbreitung von Kinderpornographie im Internet zu verhindern und mindestens zu erschweren. Dieses Anliegen teile ich und dabei gilt für mich der Grundsatz: Löschen vor Sperren. Oberstes Ziel muss es sein, die Inhalte aus dem Netz zu entfernen. Dieser Grundsatz wurde in das Gesetz aufgenommen. Wenn und wo das aber kurzfristig nicht erreicht werden kann, muss auch die Möglichkeit der Sperre eingesetzt werden. Dabei muss klar sein, dass die Technik nicht für einen anderen als genau diesen Zweck genutzt wird und dass die unkontrollierte Sammlung von Nutzerdaten unterbleibt. Auch hier wurde das Gesetz auf unser Drängen hin überarbeitet. Klar ist auch, dass es nicht beim Sperren bleiben darf, sondern die Anstrengungen weiter darauf gerichtet bleiben müssen, kinderpornographische Inhalte zu löschen.

Deshalb müssen die Strafverfolgungsbehörden angewiesen werden, gegen ihnen bekannte Provider von Kinderpornographie vorzugehen und Inhalte löschen zu lassen. Wir treten dafür ein, dass die Bundesregierung die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden im Ausland intensiviert und von Staaten, in denen Websites mit kinderpornographischem Inhalt bereitgestellt werden, fordert, dass dies geächtet wird und die Verantwortlichen verfolgt werden.

Ich bin mir bewusst, dass die Internetsperren den Zugang zu Kinderpornographie nicht gänzlich verhindern können. Das Gesetz hat Defizite in Schlagkraft und Wirksamkeit. Aber ich halte es nicht für wirkungslos, denn es kann den Zugang zu Kinderpornographie erschweren. Laut Bundeskriminalamt sind 80 Prozent derer, die Bilder von missbrauchten Kindern im Netz ansehen, Zufallsnutzer. Diese werden vom "Stoppschild" daran gehindert, ungehindert auf Kinderpornographie zuzugreifen. Für mich ist nicht hinnehmbar, dass Fotos von Kindern, die regelrecht gefoltert werden, im Netz frei zugänglich sind. Das Gesetz ist kein Instrument zur Verhinderung von Kinderpornographie. Aber es ist ein Baustein im Kampf dagegen.

Immer wieder wird über Statistiken und Zahlen gestritten. Diese Diskussion ist für mich nur schwer erträglich. Die Argumentation, es seien "nur" soundsoviele Fälle, die in ungleichem Verhältnis zu den ergriffenen Mittel stünden halte ich für zynisch. Jeder einzelne Fall, jedes einzelne missbrauchte Kind rechtfertigt unsere unbedingte Anstrengung, gegen Kinderpornographie vorzugehen. Dem, was im Internet zu sehen ist, geht der Missbrauch voraus.

Ich teile in wesentlichen Punkten die Kritik am Gesetz. Es fehlt die richterliche Anordnung und ein Rechtsschutzverfahren. Die Rolle des Bundeskriminalamts ist fragwürdig. Denn dass die Ausgestaltung der Umleitung der Nutzeranfragen das Bundeskriminalamt bestimmt und nicht der Gesetzgeber ist inakzeptabel.

Deshalb habe ich dem Gesetz nicht zugestimmt. Ich habe mich enthalten. Eine Enthaltung ist keine verdeckte Zustimmung. Sondern Ergebnis einer Abwägung. Denn ich trete dafür ein, dass Herstellung und Nutzung von Kinderpornographie verhindert und verfolgt wird, auch im Internet und auch mit dem Mittel der Sperre. Zugleich habe ich erhebliche Kritik an der durch die Bundesregierung vorgelegten gesetzlichen Umsetzung dieses Ziels.

Mit vielen Grüßen,
Katrin Göring-Eckardt

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