Frage an Katina Schubert von Dr. Wolfgang M. bezüglich Deutsche Einheit / Innerdeutsche Beziehungen (bis 1990)
Sehr geehrte Frau Schubert,
nicht wenige Ihrer Wähler werden sich aus Anhängern von Ideologien der Vorwendezeit einschließlich des noch immer vorhandenen Potentials ehemaliger SED-Kader und -Mitglieder rekrutieren. Besorgniserregend ist die Tatsache, dass viele Menschen, junge wie alte, aufgrund ihrer miserablen Lebenssituation besonders im Osten den Argumenten Lafontaines und Gysis Gehör schenken. Sie als Partei wähnen sich in der komfortablen Situation, lediglich auf Steilvorlagen der „etablierten“ Parteien reagieren zu müssen. Um Erfolg zu haben, brauchen Sie nur auf Ausrutscher der so genannten Volksparteien zu warten.
Besonders erschreckend ist zu sehen, wie schnell Menschen besonders in den neuen Bundesländern vergessen können. Auf der Ostalgiewelle schwimmend kümmert es nicht mehr, wie sich in 40 Jahren Diktatur eine Funktionärskaste mit dem Machtapparat der Staatssicherheit menschenverachtend in Szene setzte. Diese Kaste verweigerte nicht nur Reisefreiheit und Demokratie. Sie ließ auf Menschen schießen, die ihr Land verlassen wollten. Sie kerkerte Menschen jahrelang in Zuchthäusern ein, die nicht einmal die Verhältnisse grundlegend ändern wollten, sondern nur ein Mindestmaß an Demokratie und Selbstbestimmung einforderten. Weit über tausend Tote und eine Viertelmillion politische Häftlinge waren die Schreckensbilanz jener menschenverachtenden Diktatur. Der PDS-Vorgänger ließ die innerdeutsche Grenze verminen und Selbstschussanlagen installieren, deren quaderförmige, scharfkantigen Projektile nicht bloß schlimme Wunden riss und Menschen, die nichts als die Freiheit suchten, fürchterlich verstümmelte, sondern viele von ihnen auch tötete. Längst vergessen ist das wirtschaftliche Chaos dort. Wegen einfachster Dinge musste auf die Staatsreserve zurückgegriffen werden. Auf die Entwicklung eines Urlaubsfarbfilmes musste man sechs oder acht Wochen warten. Gefährliche Schlaglöcher „zierten“ die Straßen. Im Obst- und Gemüseladen gab es oft nur Rotkohl und Weißkohl. Ersatzteile für Autos - dazu gehörte auch der Flüchtlingskoffer „Trabant“ - Fehlanzeige. Versorgungsengpässe, leere Regale und ebenso leeres Geschwafel der SED-Funktionäre waren das Maß der Dinge. Nur Dumme können all dies vergessen. Gewissenlose vergessen nicht, sie verdrängen!
An dieser Stelle meine Fragen an Sie:
Wann hat die Nachfolgepartei der SED jemals Verantwortung für dieses Chaos übernommen?
Wann hat sie den Opfern von SED und Staatssicherheit Gerechtigkeit widerfahren lassen?
Hat sie sich ablehnend zu den Schüssen an der Grenze, zu den Tausenden von Horrorurteilen der Stasi-Justiz geäußert?
Haben Sie und Ihre Parteifreunde sich beispielsweise für die Renten der geschundenen SED-Opfer eingesetzt, wie das die SED-Nomenklaturkader für sich selbst mit Erfolg getan haben?
Und, verehrte Frau Schubert, meinen Sie als Politikwissenschatlerin nicht auch, dass der Einfluss politisch derart vorbelasteter Kandidaten Ihre Partei unglaubwürdig macht?
Dr. phil. Wolfgang Mayer
Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
es wird Sie nicht wundern, dass ich Ihrer Beschreibung der Motivation vieler Wählerinnen und Wähler der Linkspartei.PDS nicht folgen kann und sie nicht angemessen finde. Auf ihre Fragen antworte ich wie folgt.
Die PDS (heute Linkspartei.PDS) hat sich schon in ihrer Gründungsphase 1990 zu ihrer Verantwortung als ehemalige Staatspartei der DDR bekannt und sich intensiv mit der Geschichte der DDR, mit dem autoritären Charakter des politischen Systems, der Verstrickung des Ministeriums für Staatssicherheit in das gesellschaftliche und politische System befasst. Schon früh hat die PDS beschlossen, dass alle Menschen, die für die PDS für Ämter und Mandate kandidieren, ihre Biografie offen legen müssen. Die PDS ist die einzige Partei, die so schonungslos mit ihrer eigenen Vergangenheit und der Biografie ihrer eigenen Mitglieder umgegangen ist. Viele Mitglieder haben sich Anfang der 90er Jahre der Debatte mit den Bürgerbewegungen der DDR und den Bürgerkomitees für die Auflösung der Staatssicherheit gestellt. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass der Einfluss des MfS auf die DDR-Gesellschaft erforscht werden konnte. Das war für viele einzelne auch ein schmerzlicher Prozess, stellte er doch Jahre der eigenen Biographie in Frage. Dafür bitte ich als Westdeutsche, die sich dieser Herausforderung nie stellen musste, um Respekt. Die anderen Blockparteien, Ost-CDU, Bauernpartei, NDPD, LDPD haben sich ihren West-Parteien CDU und FDP angeschlossen, ohne sich mit der eigenen Vergangenheit, dem eigenen Beitrag zu Repression in der DDR auseinanderzusetzen.
Im Jahr 2001 haben die damalige Parteivorsitzende Gabi Zimmer und ihre damalige Stellvertreterin Petra Pau die Verantwortung für den Bau der Mauer und die Zwangsvereinigung von KPD und SPD übernommen und sich bei den Opfern entschuldigt. Die PDS-Fraktionen oder -Gruppen im Bundestag haben dem Gesetz für die Entschädigung von Opfern des DDR-Regimes und seinen Novellierungen zugestimmt. Die PDS hat bis auf wenige Gebäude, die schon vor 1933 der KPD gehörten, alle Liegenschaften zurück gegeben.
Sehr geehrter Herr Dr. Mayer, mir ist nicht bekannt, welche Kandidaten oder Kandidatinnen der Linkspartei.PDS als SED-Nomenklatura belastet sind. Wie ich oben erwähnt habe, sind alle Kandidatinnen und Kandidaten zur Offenlegung ihrer Biografie verpflichtet.
Mit freundlichen Grüßen
Katina Schubert