Frage an Katherina Reiche von Silvio R. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Reiche,
wie ich erfahren habe, verzögert sich die Inkraftsetzung der Unterhaltsrechtsreform immer wieder. Dies ist ein herber Schlag ins Gesicht von geschiedenen Ehegatten, welche Aufstockungsunterhalt zahlen müssen.
Nach knapp 14 Jahren Ehe wurde meine Ehe 2004 geschieden, das gemeinsame Kind (heute fast 17) lebt bei der Mutter.
Eine Scheidung soll eine Ausnahme sein und muss auch weh tun, so weit so gut. Dazu muss aber der Zugewinnausgleich und der Versorungsausgleich genügen. Nacheheliche Unterhaltszahlungen im 21. Jahrhundert über max. 5 Jahre sind überflüssig.
Momentan bin ich als Zahler von Aufstockungsunterhalt ein deutlich benachteiliger Mann. Ich hatte das "Glück", durch das Engagement meiner Eltern eine sehr gute Ausbildung und damit auch einen guten Job zu erhalten. Heute weiss ich, dass man
damit nicht heiraten darf, denn die Früchte erhält die Ex-Frau, jahrelang.
Meine Ex-Frau hat einen Vollzeitjob, der besser ist als vor der Ehe, aber sie hat eben keine Uni absolviert und verdient dadurch weniger. Der Aufstockungsunterhalt ist hier nicht nötig, aber er fördert per Gesetz Gier, Häme und Rachegefühle.
Auch ich habe "eheliche Nachteile" erlitten, indem ich nicht jeden möglichen Karrieresprung mitgemacht habe, sondern auf Wunsch der Familie in der Heimatstadt geblieben bin. Bei jedem möglichen Elterabend, bei jedem möglichen Arztermin für unser Kind war ich dabei, auch ich kenne einen Kindergarten und eine Kinderkrippe von innen. Dies interessiert die heutige Gesetzgebung (noch?) nicht, sondern sie hat einen hochbürokratischen Apparat geschaffen, der nacheheliche Unterhaltsforderungen für Frauen auf Grund mittelalterlicher Sichtweise unterstützt.
Warum und durch wen wird die Einführung der Unterhaltsreform verzögert?
Muss man "nacheheliche Solidarität" per Gesetz auf so drastische und langwierige Art wie dem Auftstockungsunterhalt erzwingen? Was ist nacheheliche Eigenverantwortung genau?
Danke für Ihre Antwort!
Sehr geehrter Herr Rummer,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage.
Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD haben sich im Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, die Situation von Familien mit Kindern weiter zu verbessern. Kinder sollen beim Unterhalt an erster Stelle stehen. Die Eigenverantwortung nach der Ehe soll gestärkt und eine Harmonisierung der Steuer- und sozialrechtlichen Bestimmungen angestrebt werden.
Auf der Grundlage des Referentenentwurfs ist unter diesen Vorgaben der Entwurf für das Unterhaltsänderungsgesetz erarbeitet worden. Die gesellschaftliche Realität von Ehe und Familie hat sich in den vergangenen Jahren, vor allem im großstädtischen Milieu, wesentlich verändert. Die Zahl der Scheidungen steigt von Jahr zu Jahr. Viele dieser Ehen werden schon nach relativ kurzer Dauer geschieden, etwa 50 Prozent davon sind kinderlos. Außerdem hat sich die Rollenverteilung in der Ehe mehr und mehr verändert. Immer häufiger bleiben beide Partner - auch nach der Geburt der Kinder - berufstätig oder nehmen ihren Job nach einer erziehungsbedingten Pause wieder auf.
Doch neben dieser noch relativ "klassischen" Familienstruktur haben sich zunehmend neue Familienformen herausgebildet. Immer mehr Kinder leben in nicht ehelichen Lebensgemeinschaften oder bei einem allein erziehenden Elternteil. So haben etwa ein Drittel der über zwei Millionen "ohne Trauschein" zusammenlebender Paare Kinder. Da immer häufiger kurze Ehen geschieden werden, kommt es nach der Scheidung zur Gründung von "Zweitfamilien", was durch die unzureichenden Regelungen des derzeitigen Unterhaltsrechts oft soziale Notlagen zur Folge hat.
Mit diesem gesellschaftlichen Wandel ist auch ein Wertewandel verbunden: Der schon heute im Gesetz verankerte Grundsatz der Eigenverantwortung nach der Ehe stößt vor diesem Hintergrund auf eine immer größere Akzeptanz. Es besteht Konsens, dass die Kinder als "schwächstes Glied in der Kette" eines besonderen Schutzes bedürfen, da sie, anders als Erwachsene, nicht selbst für ihren Unterhalt sorgen können.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich neue Herausforderungen und Zielsetzungen für den Gesetzgeber. Eine nachhaltige und verantwortungsvolle Familienrechtspolitik muss sich sowohl den gesellschaftlichen Veränderungen als auch den gewandelten Wertvorstellungen stellen. Leitlinien einer solchen Politik müssen zum einen die verfassungsrechtlich gebotene Gleichberechtigung von ehelichen und nicht ehelichen Kindern und zum anderen der durch unsere Verfassung garantierte besondere Schutz der Ehe sein.
Zusätzlicher Handlungsdruck ergibt sich für den Gesetzgeber aus der Tatsache, dass die Gerichte die Gesetze bereits heute weit auslegen müssen, um in allen Fällen sachgerechte Lösungen zu finden. Die Rechtsprechung, insbesondere auch die des Bundesverfassungsgerichtes, hat uns inzwischen eingeholt und eine Reihe wegweisender Urteile in Richtung der heute diskutierten Reform gefällt. So wird auch in Kürze damit gerechnet, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber in der Frage der Benachteiligung von nicht ehelichen Kindern bei der Dauer des Betreuungsunterhalts zu Neuregelungen verpflichten wird, da die bisherige Regelung in ihrer Reichweite wohl nicht verfassungskonform ist.
Der jetzige Gesetzentwurf zur Neuregelung des Unterhaltsrechts verfolgt im Wesentlichen drei Ziele: die Förderung des Kindeswohls, die Stärkung der Eigenverantwortung nach der Ehe und die Vereinfachung des Unterhaltsrechts.
Das Kindeswohl steht im Mittelpunkt der Reform und ist der Grund für die rechtspolitisch wichtigste Änderung: die Neuregelung der Rangfolge im Mangelfall. Künftig konkurrieren im ersten Rang die minderjährigen und auch die ihnen gleichgestellten, noch in der allgemeinen Schulausbildung befindlichen volljährigen Kinder nicht mehr mit den Ehegatten. Vielmehr hat der Kindesunterhalt Vorrang vor allen anderen Unterhaltsansprüchen. Da Kinder, anders als Erwachsene, keine Möglichkeit haben, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, ist ihnen am wenigsten zuzumuten, auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen zu sein.
Im zweiten Rang finden sich dann alle Kinder betreuenden Elternteile - unabhängig davon, ob sie verheiratet sind oder waren und ob sie das Kind alleine oder gemeinsam erziehen. Durch diese Neuregelung werden demnach jeder Ehegatte und auch nicht verheiratete Eltern hinsichtlich ihres Ranges gleichbehandelt, sofern sie ein Kind betreuen.
Ebenso schutzbedürftig ist aber auch der Ehegatte bei längerer Ehedauer im Hinblick auf seine weiteren Unterhaltsansprüche. Auch er findet sich daher im zweiten Rang. Dabei wird das Kriterium "Ehe von langer Dauer" bewusst nicht näher konkretisiert, um den Gerichten in kritischen Verteilungs- bzw. Konkurrenzfällen ein Korrektiv zur Verfügung zu stellen und damit eine Grundlage für Einzelfallgerechtigkeit zu schaffen. Weniger Solidarität kann dagegen der Ehegatte verlangen, der nur kurz verheiratet war und keine Kinder zu betreuen hat. Folglich steht dieser entsprechend im dritten Rang. Bei der weiteren Rangfolge ergeben sich gegenüber dem geltenden Recht im Wesentlichen keine Veränderungen.
Im Übrigen geht es bei der Neufassung auch darum, die mit der geltenden Rechtslage verbundene Benachteiligung der nicht ehelichen Kinder ein Stück weit abzubauen. Das in diesem Zusammenhang in Kürze erwartete Urteil des Bundesverfassungsgerichtes habe ich bereits erwähnt. Bisher wird den nicht ehelichen Kindern zugemutet, dass ihre Mütter bereits nach dem dritten Lebensjahr wieder einer Erwerbstätigkeit nachgehen müssen, während geschiedene Mütter ihre Kinder deutlich länger betreuen können. Unter dem Aspekt des Kindeswohls klafft hier die "Schere" zwischen geschiedenen und nicht verheirateten Elternteilen zu weit auseinander. Diese Schere gilt es im Interesse der Kinder ein Stück weit zu schließen.
Eine weitere wesentliche Neuerung zum Wohl des Kindes ist die gesetzliche Definition des Mindestunterhalts minderjähriger Kinder. Durch die Bezugnahme auf den Kinderfreibetrag aus dem Einkommensteuerrecht wird nicht nur die dringend notwendige weitgehende Harmonisierung mit dem Steuerrecht erreicht, sondern auch die von Bundestag und Bundesverfassungsgericht geforderte Normenklarheit geschaffen. In einem parallelen Gesetzgebungsverfahren wird das Unterhaltsvorschussgesetz entsprechend angepasst werden. Die geänderte Rangfolge und die Normenklarheit beim Mindestunterhalt sind zusammengenommen ein wichtiger Schritt, um die Akzeptanz von Unterhaltszahlungen an die Kinder zu erhöhen und somit das zentrale Ziel der Reform zu erreichen.
Die nacheheliche Eigenverantwortung wird durch den Entwurf ebenfalls in mehrfacher Hinsicht gestärkt. Das Unterhaltsrecht darf kein bestimmtes Ehebild vorgeben. Die Ehegatten sind in der Ausgestaltung der Ehe und der Wahl der Rollenverteilung frei und durch Art. 6 GG umfassend geschützt. Aus diesem Grundgesetzartikel ergibt sich aber auch eine fortwirkende nacheheliche Solidarität, die sich im Unterhaltsrecht des BGB widerspiegelt. Dieser verfassungsrechtliche Rahmen lässt dem Gesetzgeber durchaus Spielräume, um gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen. In diesem Punkt sieht der aktuelle Gesetzentwurf eine wichtige Neuerung vor, der für die allgemeine Akzeptanz des Unterhaltsrechts in der Bevölkerung von großer Bedeutung ist. So fasst der Gesetzentwurf den Grundsatz der Eigenverantwortung neu und eindeutiger. Dies wird sich insbesondere auf die nun engere Auslegung der Unterhaltstatbestände und das bisher pauschal angewendete "Altersphasenmodell" beim Betreuungsunterhalt auswirken.
Flankiert wird diese Maßnahme durch eine verschärfte Anforderung an die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit. Nach der geltenden Rechtslage kann es dem geschiedenen Ehegatten oft nicht zugemutet werden, in eine früher ausgeübte Erwerbstätigkeit zurückzukehren. Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels ist dies gerade bei kürzeren Ehen für den Unterhaltspflichtigen nicht zumutbar. Trotzdem bleiben nach dem Gesetzentwurf die ehelichen Lebensverhältnisse als Korrektiv erhalten. Dem Richter bleibt also auch hier ein Spielraum, im Einzelfall die Zumutbarkeitskriterien für eine eigene Erwerbstätigkeit des geschiedenen Ehegatten höher zu setzen. Die nacheheliche Eigenverantwortung wird zusätzlich durch die Einführung einer neuen, alle Unterhaltsansprüche erfassenden Billigkeitsregelung gestärkt, nach der Unterhaltsansprüche in Bezug auf Höhe und Dauer beschränkt werden können. Um Härtefälle bei bereits geschiedenen Ehen zu vermeiden, sind entsprechende Übergangsregelungen vorgesehen.
Der Grundsatz der Vereinfachung des Unterhaltsrechts ist bei der vorgesehenen Vereinfachung der Anrechung des Kindergeldes besonders deutlich zu erkennen. Die neue Regelung der Kindergeldverrechnung weist das Kindergeld unterhaltsrechtlich dem Kind zu. Das Kindergeld wird also von vornherein bedarfsmindernd berücksichtigt. In der Folge erhöht sich dann durch das Kindergeld der Betrag, der zur Bedarfsdeckung zur Verfügung steht. Dies wird den künftig im zweiten Rang Berechtigten zugute kommen. Auf diesem Weg gelingt es uns, die negativen Auswirkungen auf das Realsplitting zum größten Teil zu kompensieren, die sich sonst aus der Neuordnung der Rangverhältnisse ergeben würden.
Die weitere Harmonisierung des Unterhaltsrechts mit dem Steuer- und Sozialrecht, die auch vom Bundesverfassungsgericht eingefordert worden ist, muss nun in den nächsten Schritten erfolgen. Wir sollten die jetzige Reform nicht überfrachten und zunächst das Wichtigste auf den Weg bringen.
Ihre
Katherina Reiche