Frage an Karl-Heinz Brunner von Brigitte J. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Brunner,
es geht um das neue Steuergesetz von Anlegerschreck Olaf Scholz:
Jeder, der auf seine Einnahmen (Gewinninvestments) Steuern zahlt, muss das Recht haben, seine Ausgaben davon abzuziehen Übrig bleibt der jährliche Gewinn, der versteuert wird.
Künftig sollen bei Totalverlusten im Bereich Aktien und bei Termingeschäften die Einnahmen in voller Höhe sofort versteuert werden, die Verluste, also die Ausgaben, nur noch pro Jahr bis 10.000,- angerechnet werden.
Hierzu mal ein Beispiel: 70.000,- Gewinninverstments, 60.000,- Verlustinvestments, tatsächlicher Gewinn ist 10.000,-, Steuer beträgt 2.500,- Euro.
In Zukunft zahlt man bei diesem Beispiel, in dem man 10.000,- Gewinn macht, seine Steuer jedoch auf70.000,- abzüglich 10. 000,-, da man nur 10.000,- anrechnen kann, also 25% von 60.000,-, also 15.000,-, da man ja nicht mehr den tatsächlcihen Gewinn, sondern einen fiktiven Gewinn versteuert, oder anstelle des Gewinns die Einnahmen abzüglich Betrag X von Olafs Gnaden.
Zur verantwortungsbewussten Geldanlage gehören aber Verlustinvestements, die der Absicherung des Risikos dienen, jedoch zwangsläufig dazu. Sie sind systemimmanent.
Wenn aber nur die Einnahmen abzüglich eines willkürlichen Betrags versteuert werden, die Verluste aber unter den Tisch fallen, halte ich das für nicht verfasssungskonform. Denn wo sind das Nettoprinzip, das Leistungsprinzip und das Gleichbehandlungsprinzip (jemand, dessen Gewinn sich nur aus Gewinninvestments zusammensetzt, wird anders besteuert als jemand, dessen gleiche Gewinnsumme sich aus Gewinn- und Verlusttrades zusammensetzt) verwirklicht?
Seit wann zahlt man Steuern, die den Gewinn übersteigen, oder sogar Steuern auf Verluste?
Warum geht Olaf Scholz nicht gegen riskante Spekulation der Großunternehmen vor und stattdessen auf den Privatmann, der sich weiterbildet, um sein Vermögen selbsständig aufbauen zu können?
Was gedenken Sie zu unternehmen?
Sehr geehrte Frau Jerg,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Sie wenden sich darin gegen eine Beschränkung der Verlustverrechnung aus Termingeschäften. Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, dass ich in meinen Unterhaltungen auf Formulierungen wie „Anlegerschreck“ und „von Olafs Gnaden“ gerne verzichten möchte. Ich sehe nicht, dass Unhöflichkeiten Auseinandersetzungen inhaltlich besser machen. Im Folgenden erläutere ich Ihnen gerne die Hintergründe des betreffenden Gesetzes. Ich greife dabei zurück auf die finanzpolitische Expertise meines Kollegen Lothar Binding.
Ganz grundsätzlich agiert der Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland im Gegensatz zu der von Ihnen gewählten Formulierung nicht nach Gutdünken, sondern im Rahmen gesetzlicher Regeln. Grundlage der von Ihnen angesprochenen Neuregelung waren zwei Urteile des Bundesfinanzhofes aus den Jahren 2016 und 2017, auf die die Bundesregierung reagiert hat. In diesen beiden Urteilen wurde der bis dato vorliegenden Auffassung der Finanzverwaltung, also keine steuerliche Berücksichtigung bestimmter Verluste, nicht gefolgt. Im Rahmen des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen wurde eine Neuregelung der Verlustverrechnung vorgenommen.
Verluste aus dem Ausfall von im Privatvermögen gehaltenen Kapitalforderungen konnten bis 2016 steuerlich nicht geltend gemacht werden. Dies entsprach dem Grundsatz, dass Erträge/Verluste aus der Kapitalnutzung steuerlich berücksichtigt werden, Wertänderungen am Kapitalstamm, etwa der Totalverlust aus einem verfallenen Optionsschein, aber unbeachtlich sind. Der Bundesfinanzhof ist in seiner Rechtsprechung von diesem Grundsatz abgerückt. Zwar wurden von 2016 bis 2019 Verluste aus Termingeschäften anerkannt. Den meisten Finanz- und Steuerexperten war aber klar, dass dies im Interesse der Allgemeinheit keine Dauerregelung sein konnte.
Durch die jetzt getroffene Regelung wird eine beschränkte Verlustverrechnung auch aus dem Verfall von Termingeschäften zugelassen. Verluste aus Termingeschäften können künftig nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und den Erträgen aus Stillhaltergeschäften ausgeglichen werden. Die unterjährige Verlustverrechnung ist beschränkt auf 10.000 Euro. Nicht verrechnete Verluste können auf Folgejahre vorgetragen werden und jeweils in Höhe von 10.000 Euro mit Gewinnen aus Termingeschäften oder mit Stillhalterprämien verrechnet werden. Die Verlustverrechnung aus Termingeschäften bleibt damit dem Grunde nach möglich, kann aber zeitlich gestreckt werden. Die Regelung greift für Verluste aus Termingeschäften, die nach dem 31. Dezember 2020 eintreten. Diese Regelung ist weniger belastend als die lange durch die Finanzverwaltung vertretene Auffassung, den Totalverlusten aus Termingeschäften durch Nichtberücksichtigung des Verfalls generell die steuerliche Anerkennung zu versagen.
Eine Beschränkung der Verlustverrechnung bei Termingeschäften halte ich für gerechtfertigt, da es sich durch ihre begrenzte Laufzeit und durch Hebeleffekte um in wesentlichem Umfang spekulative, also riskante Finanzwetten handelt. Zwischen Absicherungsgeschäften und reiner Spekulation lässt sich kaum unterschieden. Durch Termingeschäfte können einerseits hohe Gewinne und anderseits der Totalverlust der Anlage eintreten. Diese Effekte treten bei anderen Kapitalanlagen nicht in vergleichbarem Ausmaß auf. Verluste aus Termingeschäften werden deshalb in einem besonderen Verlustverrechnungskreis berücksichtigt, um die Verlustrisiken auf diese spekulativen Anlagen zu begrenzen.
Bei der Beurteilung der beschränkten Verlustverrechnung muss berücksichtigt werden, dass Privatanleger ihre Kapitaleinkünfte unabhängig von deren Höhe mit dem pauschalen Steuersatz von lediglich 25 Prozent versteuern müssen. Dieser Umstand wird Ihnen fraglos bekannt sein. Angesichts dieser erheblichen Begünstigung gegenüber anderen Einkunftsarten sind Einschränkungen bei der Verlustverrechnung zumutbar. Ich bin dagegen, dass hohe Risiken eingegangen werden, die sich auch deshalb rechnen, weil die Gewinne mit nur 25 Prozent besteuert, an deren Verlusten aber die anderen Steuerzahler beteiligt werden.
Zusammenfassend bin ich der Auffassung, dass die Neuregelung mit ihrer beschränkten Verlustverrechnung einen akzeptablen Interessenausgleich darstellt. Sie trägt einerseits dem Anliegen Rechnung, über spekulative Termingeschäfte Einkünfte zu erzielen, und wahrt andererseits das Interesse der Allgemeinheit, nur begrenzt an den Verlusten aus privat eingegangen Risiken beteiligt zu werden.
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Heinz Brunner