Frage an Karl-Heinz Blenk von Birgit H. bezüglich Wirtschaft
Lieber Karl-Heinz,
ich finde die Idee des BGE interessant und würde gerne glauben, dass das funktioniert. Allerdings habe ich Bedenken. In einer Gesellschaft, in der jeder Bürger ein BGE bekäme, müsste keiner mehr arbeiten. So gut, so würdevoll für jeden einzelnen. Ich glaube (ebenso wie Du), dass dennoch die meisten Leute weiterhin arbeiten würden. Aber in privaten Umfragen zu diesem Thema habe ich sehr eindeutige Antworten erhalten: Praktisch alle würden ihre Arbeitszeit reduzieren. Übrigens auch Leute, die wirklich gern zur Arbeit gehen.
Was aber würde geschehen, wenn in Unternehmen die von den Arbeitnehmern geleisteten Stunden noch mehr reduziert würden? Heute schon möchten ja viele Angestellte nicht mehr Vollzeit arbeiten. Allein mit Gehaltserhöhungen können Firmen also die Arbeitnehmer nicht motivieren, mehr zu arbeiten, denn vielen Leuten geht es bereits heute nicht mehr primär um Geld. Das Szenario, das ich sehe: Firmen könnten nicht mehr ansatzweise so weiterarbeiten wie bisher. Das bezieht sich nicht nur auf die (Groß)Industrie, sondern auch auf Mittel- und Kleinbetriebe. Wir haben ja heute schon das Problem, dass z. B. im Kemptener Schwimmbad die täglichen Öffnungszeiten um zwei Stunden reduziert werden mussten, weil Personal fehlt. Ähnliches wäre wohl in weiteren Bereichen zu erwarten wie Straßenbau oder im sozialen und kulturellen Bereich.
Meine Frage also: Wie können wir unsere Standards aufrecht erhalten (und damit meine ich auch die sozialen, verkehrstechnischen, kulturellen, nicht nur die wirtschaftlichen), wenn immer mehr Menschen immer weniger arbeiten? Wäre das Deutschland, das so entstünde, noch lebenswert? Wenn es keine Theater mehr gibt, schlechte Straßen, noch weniger ärztliche Versorgung, Lehrer und Polizisten?
Vielleicht ist die noch bessere Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit, die Arbeit in den Blick zu nehmen und so zu gestalten, dass sie sinnstiftend ist und genügend Geld zum Leben bringt.
Danke für Deine Antwort!
Birgit
Liebe Birgit,
das Bedingungslose Grundeinkommen sichert als individueller Rechtsanspruch jedem Menschen die Existenz und ermöglicht dessen Teilhabe an der Gesellschaft. Das wird die Gesellschaft und damit natürlich auch den Blick auf die Arbeit verändern. Es stellt die Frage, in welcher Gesellschaft man/wir leben möchte/n. Soll der Schwerpunkt unserer Lebensgestaltung wie bisher darauf liegen, dass die Menschen arbeiten müssen, um sich ihr Recht auf ein menschenwürdiges Leben zu verdienen? Warum gilt als Arbeit nur das, was in unserer Marktwirtschaft einen Preis in Form von Einkommen erzielt? Es werden mehr Arbeitsstunden ehrenamtlich geleistet, als gegen Bezahlung. Ohne diese Tätigkeiten würde unsere Gesellschaft kaum funktionieren. Sie werden nicht bezahlt, aber dennoch erbracht, obwohl sie keine (monetäre) Wertschätzung erfahren. Beweis genug, dass Tätigkeiten, die als sinnvoll erachtet auch geleistet werden, und widerlegt die Annahme, dass die Menschen nur für Geld arbeiten.
Grundeinkommen schafft keine Arbeit ab, sondern schafft durch die Existenz die Voraussetzung für uneingeschränkte Leistungsfähigkeit. Jeder Mensch hat die Freiheit Tätigkeiten selbstbestimmt auszuüben. Das ermöglicht Arbeit aus intrinsischer Motivation, die nahezu maximale Produktivität ermöglicht, teure Motivationstrainings obsolet macht und Selbständigkeit erleichtert. Wenn Menschen weniger arbeiten möchten, das aber nicht können, wird deren Motivation und letztendlich deren Produktivität nicht höher. Laut den Erhebungen des Anthropologen David Graebers haben 40% der Angestellten einen Bullshit-Job. 71 Prozent der Arbeitnehmer machen nur noch Dienst nach Vorschrift, 14 Prozent der Menschen sind mit ihrem Arbeitsplatz so unzufrieden, dass sie sich schon nach einem neuen Arbeitsplatz umschauen. Nach einer Studie des Beratungsunternehmens Gallup entstehen dadurch Kosten zwischen 77 und 103 Milliarden Euro jährlich. Wenn diese Menschen stattdessen etwas Sinnvolles machen, können trotzdem alle (!) ihre Arbeitszeit reduzieren, bei gleichem Wohlstand und Lebensqualität. Das nimmt die Arbeit aus der Sicht der Menschen in den Blick, ermöglicht wird das durch das Grundeinkommen. Über die Sinnstiftung von Arbeit können nur die Menschen entscheiden, die sie ausüben. Unser aktueller Gesellschaftsentwurf definiert Erwerbsarbeit als normative Vorgabe und fragt dabei nicht nach der Sinnhaftigkeit der angebotenen Arbeitsplätze. Wer sich diesen verweigert, wird ausgegrenzt. Ist das der Kern unseres Zusammenlebens und der Sinn des Lebens? Ein darwinistisches Gesellschaftsmodell am Ende eines evolutionären Prozesses, an dessen Anfang eine soziale Kompetenz stand, die es uns ermöglicht hat, ein Niveau zu erreichen, in dem wir Musik, Literatur, Kunst und Kultur entwickelt haben?
Was erledigt werden muss, wird auch erledigt werden, wenn die Notwendigkeit dazu erkannt wird. Tagtäglicher Beweis ist die Erledigung von Hausarbeit und die ehrenamtlich geleisteten Stunden, die die Bezahlten deutlich übersteigen. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist keine Leistung des (Obrigkeits-)Staates, sondern ein generationgerechter und emanzipatorischer Gesellschaftsvertrag, der als gelebte Solidarität zwischen den Menschen jedem einen Vertrauensvorschuss entgegen bringt. Den Vertrauensvorschuss, den jeder sich selbst, seinen Kindern und Angehörigen zugesteht. Das BGE überträgt dieses vertrauensvolle Familienprinzip auf die Gesellschaft.
Mit herzlichen und bedingungslosen Grüßen
Karl-Heinz (Blenk)