Frage an Julia Klöckner von Rainer T. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Klöckner,
Die ausführlichen Antworten hier und eine kleine Charakterstudie der "Zeit"
( http://www.zeit.de/2005/38/CDU-Karriere_38 ) scheinen für Ihre Ehrlichkeit und Bürgernähe zu sprechen - scheinen: es ist just dieses Adjektiv, welches mir an dieser Stelle, ohne Bezugnahme auf Ihre Person, sondern festgemacht am täglichen politischen Geschehen am Herzen liegt. Nehmen Sie es auch wahr, dieses zunehmende Unbehagen, ja Misstrauen des "Menschen der Strasse" in die Politik? Ein Misstrauen, welches nicht hinreichend mit zunehmender finanzieller Belastung der Bürger und deren Unmut darüber oder fehlschlagenden Versuchen von "Reduktion von Komplexität" zu erklären ist, sondern im Handeln vieler Vertreter von Volk und Wirtschaft (ich erspare uns allen die Aufzählung von Beispielen) eine wesentliche Ursache findet.
Spüren Sie sie auch, diese schon konzeptionell anmutende Intranzparenz politischen Wirkens bzw. Nicht-Wirkens?
Oder die politische Ohnmacht der Einzelnen; gespiegelt in der mittlerweile größten politischen Gruppierung: der Nichtwähler? Unterliegen so viele Menschen einer "Neid-" oder "Verschwörungsneurose" wenn sie der Verdacht beschleicht, dass so manche politische Entscheidung diametral zur demokratischen Maxime - "zum Wohle des Volkes" - steht, obwohl die Notwendigkeit dessen unerklärt bleibt? Das das Adjektiv "politisch" den Begriff der Verantwortung mittlerweile zur Worthülse entfremdet hat?
Dies, Frau Klöckner, und noch einiges mehr frage nicht nur ich mich und es sind nicht nur meinerseits keine rethorischen Fragen (deren Antworten selbstverständlich "Neid", "Globalisierung", "Sachzwänge" oder schlicht "politische Notwendigkeiten" lauten), sondern sie entspringen elementaren Bedürfnissen und Bedingungen menschlichen Zusammenlebens wie Respekt, Ehrlichkeit sowie die Fähigkeit der Selbst- und Fremdwahrnehmung, welche offenbar immer seltener Grundlage politischen Handelns sind.
Oder scheint mir dies alles nur so zu sein?
Sehr geehrter Herr Thomas,
haben Sie herzlichen Dank für Ihre kritische Frage, der die Bürgernähe und auch Ehrlichkeit der Politiker aufgreift und bewertet. Es ist für mich und meine Arbeit wichtig, immer wieder zu erfahren, wie an der Basis unsere Berliner Politik betrachtet und bewertet wird. Nur so können wir mit „Basishaftung“ unsere politische Arbeit gestalten.
Die Szenarien, die Sie beschreiben spiegeln in der Tat immer mehr die Wahrnehmung von Politik und politischen Entscheidungsträgern wider. Die Wirtschafts-Skandale der vergangenen Wochen und Monate, auf die Sie anspielen, sind hierbei natürlich nicht hilfreich. Manchmal kommt es mir auch so vor, dass viele meiner Kollegen hier in Berlin das Lebensgefühl in der Hauptstadt mit der Realität da draußen bei den Menschen verwechseln … Natürlich ist das alles andere als erfreulich. Ich finde, dass sich jeder – nicht nur Politiker – an dem messen lassen muss, was er verkündet. Wir alle sollten uns bemühen, die von unserer Partei eingeforderten Werte auch zu leben – dass das nicht immer gelingt, ist nicht vermeidbar, es ist nur menschlich. In vielen Fällen ist jedoch die Kluft zwischen dem Propagierten und dem tatsächlichen Handeln leider groß. Dass wir unserem Wertegerüst gerecht werden, daran arbeiten wir übrigens auch mit unserer Debatte um das neue Grundsatzprogramm, was im kommenden Herbst verabschiedet werden soll. Gerne informiere ich Sie darüber, wenn Sie mögen.
Herzliche Grüße,
Julia Klöckner