Frage an Jürgen Wieczorek von Marko N. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Wieczorek,
Agenda 2010, "Vorfahrt für Arbeit", Hartz IV, ALG II, Riester-Rente, etc., oder kurz Umbau u. Erneuerung des Sozialstaats, um diesen zukunftsfähig zu machen. All dies sind Maßnahmen der von der SchröderPD u. den Grünen gestellten Regierung. Dies seien soziale Maßnahmen gewesen, hört man unseren Kanzler sagen. Der Sozialstaat sei in seiner alten Form nicht mehr tragbar gewesen. Schließlich könne man nicht mehr aus dem Vollen schöpfen u. nur noch das ausgeben, was man auch einnehme. Und dann das allerbeste: Wer gegen den Umbau des Sozialstaates sei (gemeint sind Kürzungen staatl. Sozialleistungen), sei der wahre Feind des Sozialstaates, der diesen mit seiner starren Haltung an die Wand fahren würde. Schröder sagt: BASTA!!!
Nun gut, wollen wir einmal sehen, was die "soziale Politik" einer "sozialen Partei" unserem Land gebracht hat: 1997 gab es 510.000 deutsche Millionäre. Im Jahr 2002 hat sich deren Zahl auf 750.000 erhöht. Das gesamtdeutsche Geldvermögen ist in den letzten Jahren um 48,1% angewachsen. Einkommen aus Unternehmertätigkeit u. Kapitalgewinne wuchsen erheblich an.
An sich lassen die vorgenannten Zahlen auf eine gute Bilanz schließen. Aber war sie auch sozial? In demselben Zeitraum, in dem sich die Zahl der bundesdeutschen Millionäre um 240.000 auf 750.000 erhöhte, wurden 1.500.000 Menschen in die Armut gedrängt. Damit waren im Jahr 2002 8.000.000 Menschen arm im Sinne des "2. Bericht der Bundesregierung über Armut und Reichtum". 1993 besaßen 50% der Deutschen 96% des deutschen Gesamtvermögens, während den anderen 50% nur 4,1% verblieben. Bis 2003 konnten die wohlhabenderen 50% der Deutschen noch weitere 0,3% des Gesamtvermögens an sich nehmen. Ein anderes Rechenspiel: 1993 besaßen 10% der deutschen Haushalte 45% des deutschen Gesamtvermögens. 2003 waren es schon 47%. Eine eindrucksvolle Entwicklung. Dabei waren die ärmsten 10% der Deutschen mit 0,6% des deutschen Gesamtvermögens verschuldet. Damit hat sich die Schuldenlast dieser Bevölkerungsgruppe verdreifacht!
Die vorgenannten Zahlen kann man dem Bericht der Bundesregierung über Armut u. Reichtum, sowie dem statistischen Bundesamt entnehmen.
Zu den Zahlen möchte ich drei Fragen an Sie richten:
1. Halten Sie die genannten Zahlen für glaubhaft?
2. Welche Entwicklung sehen Sie in diesen Zahlen?
3. Was ist in Anbetracht dieser Zahlen an dieser Regierung noch sozial?
Nun musste die SchröderPD feststellen, dass ihr die Felle, sprich Wähler davon laufen. Also Münte-Anker werfen, eine Millionärsabgabe fordern und gegen den Raubtierkapitalismus wettern, welcher die vielen Geschenke der Regierung nur wortlos eingesackt hat, ohne auch nur einen Cent zu investieren und damit der guten Regierungspolitik die Erfolge geraubt hat. Dazu meine letzte Frage:
4. Glauben Sie wirklich, dass die Wähler der SchröderPD diesen plötzlichen Linksschwenk ernst nehmen, solange sich die Partei nicht personell erneuert hat?
Für die Beantwortung der Fragen möchte ich mich schon jetzt herzlich bedanken.
Mit freundlichen Grüßen
Marko Neuwirth
Sehr geehrter Herr Neuwirth,
vielen Dank für Ihre Darstellungen und für Ihre Fragen.
Sie erlauben mir sicher, dass ich neben der Beantwortung der Fragen noch einige Bemerkungen mache.
Frage 1: Auch wenn ich die Zahlen jetzt nicht überprüft habe, halte ich sie für glaubhaft.
Frage 2: An Hand der Zahlen lassen sich unterschiedliche Entwicklungen, aber auch Verhaltensweisen ablesen. Einmal wird klar, dass in der Tat die Reichen immer reicher werden und dass die Zahl dieser Reichen größer wird. Gleichzeitig wird es aus unterschiedlichen Gründen (demographische Entwicklung, hohe Arbeitslosigkeit usw.) immer schwieriger, den Sozialstaat in seiner Qualität zu erhalten. Das erscheint grotesk und es ist unbestritten ungerecht. Hierauf komme ich bei der Beantwortung der Frage 3 noch zurück.
Die Höhe des Geldvermögens zeigt aber auch, dass zu wenig Geld in den Umlauf gebracht wird. Das bedeutet, dass auch dadurch notwendige Investitionen ausbleiben und insbesondere der Binnenmarkt leidet. Wirtschaftliche Entwicklung wird auch dadurch gehemmt. Die Ursachen für das hohe Sparpotential liegen aus meiner Sicht vielfach in einer Verunsicherung der Bevölkerung. Sie wissen nicht, wie ihre Zukunft aussehen wird. Dafür gibt es z. T. objektive Gründe. Aber auch die Schwarzmalerei der Opposition und der Medien haben hier eine starke psychologische Wirkung.
Die Verschuldung von Menschen hat sehr unterschiedliche Ursachen. Es können Insolvenzen bei unternehmerischer Tätigkeit sein. Es kann eine unverschuldete Notlage aus anderen Gründen sein. Man kann sich verspekulieren. Manche Menschen unterliegen den Verlockungen von Angeboten aus Versandhäusern und durch anderer Quellen. Nicht wenige Menschen begeben sich ohne die nötige Eigenkapitallage und ohne eine einigermaßen sichere Perspektive in das Abenteuer Eigenheim und geraten dann in Schwierigkeiten. Meine Wahrnehmung ist, dass es nicht unbedingt Menschen mit geringem Einkommen sind, die zumindest Schulden in Größenordnungen machen.
Frage 3:
Kein Mensch und keine Regierung macht alles richtig. Aber bei allen Aspekten, auch denen, welche die Gerechtigkeit und die soziale Ausrichtung betreffen, muss man bei der Einschätzung von politischem Handeln auch die Rahmenbedingungen berücksichtigen, unter denen das stattfindet.
Unstrittig dürfte sein, dass die Ausgaben im Bereich der Rente und im Gesundheitsbereich ständig und rasant steigen. Die Lebenserwartung ist stark angestiegen. Damit entstanden und entstehen viel längere Rentenanspruchszeiten und die große Zahl älterer Menschen nimmt auch in viel höherem Maße medizinische Leistungen in Anspruch. Gleichzeitig erfolgt der Einstieg in´s Berufsleben deutlich später. Die hohe Arbeitslosigkeit lässt das Defizit in den Kassen anwachsen. Die hohe Schuldenlast und die Finanzierung der Arbeitslosigkeit, sowie die Kompensierung der Rentenzahlungen aus Steuermitteln (mehr als 30 %) schränken die Investitionsmöglichkeiten durch den Staat stark ein.
Den sichtbaren Problemen wurde in der Vergangenheit nicht das notwendige Handeln entgegen gesetzt. Verantwortungsvolle Politik bedeutet aber nicht, die Probleme zu ignorieren, sondern zu handeln, auch wenn einzelne Maßnahmen unpopulär sind.
Ihre Kritik läuft ja nun darauf hinaus, dass in dieser Situation die notwendige Erhöhung der Einnahmeseite nicht dadurch vorgenommen wird, indem man Denjenigen höhere Lasten auferlegt, die im Überfluss leben und die aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit einen erheblich höheren Teil zur Sicherung des Sozialstaates beitragen müssten. Wenn das eine sozialdemokratisch geführte Regierung nicht tut, spricht man ihr ihre soziale Verantwortung ab.
Leider liegen die Dinge nicht so einfach. Abgesehen davon, dass unsere Reformschritte im Ergebnis großen Veränderungen durch die Kompromisse an den Bundesrat unterliegen, gab es zu dieser Problematik heftigste Auseinadersetzungen in unserer Bundestagsfraktion, innerhalb der Regierung und in der SPD. Das Gerechtigkeitsempfinden und die sozial geprägte Einstellung der Mitglieder der SPD haben hier zu ähnlichen Reaktionen geführt, wie sie in der Bevölkerung stattfinden. Im Ergebnis dieser Auseinandersetzungen sind wir uns nicht in allen Punkten einig geworden und es gibt auch für mich z. B. bei den sogen. Harzgesetzen immer noch einige Entscheidungen, die ich insbesondere mit Blick auf Ostdeutschland für falsch und für unangemessen halte. Dazu habe ich mich auch öffentlich geäußert. Grundsätzlich halte ich die Maßnahmen aber für richtig und für alternativlos.
Die globalisierte Welt mit offenen Grenzen für Touristen aber eben auch für Unternehmen setzt dem Handlungsspielraum von Nationalregierungen leider Grenzen. Würde eine Regierung vorrangig dem Anspruch an die Gerechtigkeit entsprechen, ohne die Auswirkungen insgesamt zu betrachten, würde sie dem Land und den Menschen in der Endkonsequenz keinen Gefallen tun. Großunternehmen können ihre Produktionen nun mal dorthin verlagern, wo sie die für sich günstigsten Bedingungen finden. Da sind neben den Fachkräften eben auch Steuern, Abgaben und Löhne von Bedeutung. Millionäre verlegen schon heute ihren Wohnsitz in Länder, in denen sie die geringsten Leistungen für die Gesellschaft zu erbringen haben. Das ist auch für mich unerträglich. Wenn wir aber in Deutschland isoliert die Wohlhabenden stärker zur Kasse bitten, riskieren wir eine Forcierung dieses Prozesses.
Die Kritik und die Appelle von Franz Müntefering mögen Ihnen grotesk erscheinen. Ich finde aber diese Debatte für überfällig. Sie muss allerdings von der ganzen Gesellschaft geführt werden. Mir ist aber auch klar, dass allein dadurch das Problem nicht gelöst wird. Wir müssen unsere Anstrengungen innerhalb der EU verstärken, damit wir hier zu mehr gemeinsamen Standards kommen. Das betrifft Steuern genauso wie soziale Leistungen und Mindestlohnstandards. Nur dadurch kann der Wettlauf um die größtmöglichen Zugeständnisse an Großunternehmen und Millionäre eingedämmt und damit dem Gerechtigkeitsaspekt mehr Geltung verschafft werden.
Gleichzeitig müssen wir alle Möglichkeiten nutzen, die soziale Ausgewogenheit zu befördern.
Die vorgesehenen Maßnahmen im Rahmen der geplanten Bürgerversicherung wären in dieser Richtung ein ganz wichtiger Schritt. Der Vergleich mit der Kopfpauschale der CDU/CSU, über die sich alle Großverdiener totlachen würden, lohnt sich.
Eine CDU/CSU/FDP-Regierung würde die soziale Sicherung ohne Wimperzucken wirklich aufs Spiel setzen und die Probleme der Arbeitslosigkeit dennoch nicht lösen. Die so genannte Linke Liste mit ihren Vorturnern, die sich aus wirklicher Verantwortung davon gestohlen haben und die wieder ein wenig an ihrem Bekanntheitsgrad polieren müssen, um Bücher gut zu verkaufen oder als Anwalt Kunden zu akquirieren, werden keine Probleme lösen. Sie bedienen die berechtigten Wünsche in der Bevölkerung, ohne wirkliche Lösungsansätze zu haben.
Deshalb sollte sich jeder Wähler/in mit den Aussagen der Parteien und mit den Kandidaten/innen auseinandersetzen. Dabei sollte man es sich aber nicht zu einfach machen.
Ich glaube an Gerhard Schröder und ich glaube daran, dass die Richtung unserer Politik stimmt, auch wenn die positiven Auswirkungen etwas mehr Zeit brauchen.
Auf meiner Infotour bin ich für ein persönliches Gespräch immer ansprechbar.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Wieczorek