Frage an Jürgen Herrmann von Martin H. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Herrmann,
Als Christ stehe ich in meiner Werteorientierung der CDU in vielerlei Hinsicht nahe, aber ich verstehe nicht, wie der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und anderer NATO-Länder auf christlicher Grundlage gerechtfertigt werden kann. Als Christen dürfen wir keine Angriffskriege führen (wie etwa den Irak-Krieg), sondern nur "gerechte Kriege" -- aber in wie kann man den Afghanistan-Krieg als gerecht im Sinne der christlichen Lehre ansehen?
Der Konflikt ist ja im wesentlichen ein Bürgerkrieg zwischen modernistischen und jihadistischen Kräften in Afghanistan, der seit den 1970er Jahren andauert. Ist es "gerecht", wenn sich ausländische Staaten in diesen inneren Konflikt einmischen und für eine der beiden Seiten kämpfen? Haben wir nicht 1989 zu Recht schärfstens protestiert, als die Sowjetarmee einmarschiert ist (obwohl sie damals auch auf Seiten der modernistischen Kräfte kämpfte)?
Die jetzige Phase des Krieges begann mit dem Angriff der NATO-Länder auf Afghanistan im Herbst 2001, obwohl kein Afghane einem NATO-Land ein Haar gekrümmt hatte, und die angebliche Unterstützung der damaligen Regierung für die Al-Qaida-Terroristen nie nachgewiesen wurde. War das "gerecht"?
Bürgerkriege können manchmal durch Hilfe von außen beigelegt werden (so haben etwa christlich motivierte Vermittler wie Sant Egidio oder Jimmy Carter bei der Belegung von Konflikten in Nepal, Mosambik und anderswo geholfen). Aber ist es mit christlichen Werten vereinbar, mit Gewalt in einen Bürgerkrieg einzugreifen?
Für eine Erläuterung wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Ihr
Prof. Dr. Martin Haspelmath
Sehr geehrter Herr Professor Haspelmath,
als Christ ist es nach meiner festen Überzeugung unsere Aufgabe, Konflikte nach Möglichkeit gewaltfrei zu lösen. Gewalt kann immer nur das letzte Mittel sein – und nur, um Gewalt gegen andere zu beenden. In der Vergangenheit wurde Hilfe bei der Beendigung etwa von Bürgerkriegen durch – wie Sie sagen „christlich motivierte“ Vermittler geleistet. Anderenorts, wie zum Beispiel auf dem Balkan, aber auch mittels Waffengewalt, damals um das systematische Morden zu beenden und eine humanitäre Katastrophe zu verhindern.
In Afghanistan führen wir keinen Angriffskrieg und auch keinen Krieg gegen die afghanische Bevölkerung. Die Bundeswehr unterstützt zusammen mit ihren internationalen Partnern die afghanische Regierung beim Wiederaufbau des Landes nach einem Bürgerkrieg. Ziel ist die Stabilisierung Afghanistans und der schrittweise Aufbau eigener, afghanischer Sicherheitskräfte sowie einer zivilen Verwaltung. Zwar darf man bei dieser Aufbauarbeit in einem muslimisch geprägten Land wohl keine christlichen Werte und Werteordnungen als Maßstäbe ansetzen. Dennoch berührt es mich als Christ stark, wenn man sich die Bilder von Steinigungen, Auspeitschungen oder anderen Gräueltaten ansieht, die in der Ära der Taliban ebenso zum Alltag gehörten, wie die systematische Ausgrenzung von Frauen. Das wir diese in allen Religionen der Welt zu missbilligenden Zustände beenden konnten, halte ich für einen wesentlichen – und leider viel zu wenig beachteten - Erfolg unserer Präsenz in Afghanistan.
Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Herrmann, MdB