Frage an Jürgen Gehb von Helmut L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Gehb,
für Ihre unerwartete Antwort besten Dank.
Selbstverständlich kenne ich Ihre gesammelten Pressemitteilungen. In Ihrer Antwort gehen Sie jedoch nicht auf die gestellten Fragen ein.
Ihre Aussage am 22.05.08 in der HNA - die Lippen spitzen und nicht pfeifen - reicht nicht. Die Vertreter aller übrigen Parteien hatten weniger Lernresistenz und vor allem besitzen sie Sensibilität bei einer Frage die derzeitig nicht vermittelbar ist. Konkret, welche dringlichen Gründe gibt es, die Diäten nochmals innerhalb eines halben Jahres zu erhöhen?
Nicht nur ich erwarte von Politikern Antworten auf konkrete Fragen, sondern viele, die Ihnen bereits geschrieben haben..
Mit freundlichen Grüssen
Helmut Laumeier
Sehr geehrter Herr Laumeier!
„Mit Ehrlichkeit Vertrauen gewinnen“ war und ist kein unverbindliches Wahlkampf-Wort aus meinem Munde. Ich bin und bleibe der festen Überzeugung, dass man mit dieser Grundhaltung langfristig „gut fährt“, auch wenn man im Augenblick vielleicht wenig Zustimmung für ein ehrliches Wort erhält oder gar öffentlich für seine Auffassung verbal „verprügelt“ wird.
Eines dieser Reizthemen ist immer wieder die Debatte rund um die Diäten der Abgeordneten, die scheinbar immer zur „Unzeit“ stattfindet. Auch in meiner Heimatzeitung HNA werde ich in diesem Zusammenhang mit den Worten zitiert: „Erst die Lippen spitzen, aber dann nicht pfeifen – das ist eine der peinlichsten Entscheidungen, die je getroffen wurden, und ein Armutszeugnis für die Verlässlichkeit der Politik“.
Nun kommentiert dieses verkürzte Zitat aus der „Passauer Neuen Presse“ zuerst einmal das Umfallen der SPD. Wenn Herr Oppermann als 1. Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion für seine Fraktion mit großem Engagement und sachkundig am 9. Mai 2008 im Bundestag die Diäten-Neuregelung verteidigt und Herr Struck innerhalb weniger Tage die „Segel streicht“, dann ist dies nach meinem Empfinden ein Armutszeugnis für die Verlässlichkeit in der Politik. Für eine Position, die man für richtig hält, sollte man werben, eintreten, um nicht zu sagen kämpfen, oder, wenn man sie wirklich für falsch hält, erst gar nicht auf den Tisch bringen. Aber dieses „erst rein in die Kartoffeln, dann raus aus den Kartoffeln“ empfinde ich einfach als peinlich und feige. Damit es klar ist: Mir geht es hier um das Prinzip, nicht um Hundert Euro mehr oder weniger. Die FAZ hat Recht, wenn sie meint, die Abgeordneten hätten Manns genug sein sollen, politisch durchzusetzen, was sie sachlich für angemessen halten.
Es gab einmal eine Zeit, da gab es keine Diäten für Abgeordnete. Wie schön, mag der ein oder andere sagen. Wirklich? Kann es wirklich für eine „Volks“-Vertretung gut sein, wenn sich nur wohlhabende Bürger den „Luxus“ leisten können, Abgeordnete zu sein. Ich glaube nein. Deshalb halte ich Art. 48 unseres Grundgesetzes für eine wirklich demokratische Errungenschaft. Denn in ihm wird vorgeschrieben, dass alle Abgeordneten, vom Studenten über den Handwerker, Anwalt, Unternehmer bis hin zum Rentner, Anspruch auf eine angemessene und ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung haben.
Die Frage, was angemessen ist, ist allerdings schon so lange streitig, wie es das Grundgesetz gibt. Sie wird auch streitig bleiben. Dies ist überhaupt nicht schlimm, denn Streit gehört selbstverständlich zur Demokratie. Allerdings muss man irgendwann auch entscheiden. Nur wer soll entscheiden? Hierzu sagt die im Jahr 1993 eingesetzte unabhängige Kommission, der Wissenschaftler, Angehörige der Wirtschaft, der Gewerkschaften sowie Richter angehörten:
1. Die Festsetzung, Überprüfung und Anpassung der angemessenen, die Unabhängigkeit sichernden Entschädigung ist Aufgabe des Gesetzgebers (s.a. „Diäten-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts 1975).
2. Eine auch nur teilweise Übertragung dieser Aufgabe auf eine andere Institution ist – Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz: Ewigkeitsgarantie, Demokratieprinzip – selbst im Wege einer Verfassungsänderung ausgeschlossen.
Abgeordnete können sich also nicht wegducken. Sie können und dürfen nicht vor der Verantwortung fliehen, indem man sich hinter einer Kommission versteckt. Demokratie heißt, dass das Parlament selbst entscheiden muss.
Nun kann man lange darüber debattieren, was „angemessen“ heißt. Wenn man sich am öffentlichen Dienst ausrichtet, auch hierüber kann man unterschiedlicher Auffassung sein, dann halte ich es jedenfalls für in Ordnung, dass die Tätigkeit eines Abgeordneten des Bundestages sich nicht an der Gehaltsklasse „Pforten- oder Botendienst“, sondern eher an der Gehaltsklasse „leitende Ministerialbeamte“ orientiert. Dies sehen auch unabhängige Kommissionen so, deren es schon mehr als eine in den vergangenen Jahrzehnten gegeben hat.
Das monatliche Grundgehalt leitender Ministerialbeamter, also noch ohne irgendwelcher Zulagen, beträgt nach der Verabschiedung des Bundesbesoldungsanpassungsgesetzes 2008 für einen Ministerialrat (B3, Referatsleiter) 6472,37 €, für einen Ministerialdirigenten (B6, Unterabteilungsleiter) 7690,94 € sowie für einen Ministerialdirektor (B9, Abteilungsleiter) 9017,18 €. Seit 1995 sieht nun das Abgeordnetengesetz eine Orientierung an B6 oder R6 (einfache Bundesrichter) vor, ohne dass die Diäten bisher jemals diese Gehaltshöhe erreicht hätten. Die seit über einem Jahrzehnt nicht vollzogene Angleichung wurde bzw. wird nun in zwei Schritten vorgenommen. Zum 1.1.2008 wurden die monatlichen Diäten auf 7339 € festgesetzt. Zum 1.1.2009 betragen die Diäten dann 7668 €. Unabhängig von der Angleichung sollte nun auch die Erhöhung der Angestellten-Gehälter im öffentlichen Dienst, die wirkungsgleich auf die Beamten-Gehälter übertragen werden, nun auch auf die Diäten Anwendung finden. Dies findet nun nicht statt. Als kleine Nebenbemerkung sei mir der Hinweis gestattet, dass in den letzten 30 Jahren es aus unterschiedlichen Gründen insgesamt 13 Nullrunden bei der Aufwandsentschädigung gegeben hat. Der guten Ordnung halber will ich noch erwähnen, dass die Diäten zwölf mal im Jahr gezahlt werden, es also keine Sonderzahlungen wie Weihnachts-, Urlaubsgeld oder irgendwelche Zulagen gibt. Selbstverständlich sind die Abgeordneten-Diäten einkommensteuerpflichtig.
Nun höre ich schon den Einwand, dafür haben doch die Abgeordneten noch zusätzlich ihre steuerfreie Kostenpauschale und auch eine Bahn-Fahrkarte. Nur kommt irgendjemand auf die Idee, einem Handelsvertreter, der von seiner Firma durch die Republik geschickt wird, die Erstattung seiner Reiseaufwendungen wie Hotelunterkunft oder Bahnfahrkarte durch seinen Arbeitgeber als Einkommen anzurechnen? Und so wie es vielreisende Handelsvertreter geben soll, die von ihrer Firma der Einfachheit halber eine Jahreskarte der Bahn bekommen, so erhält der Abgeordnete auch für seine mandats- (sprich: arbeits-) bedingten Reisen eine Jahreskarte. Und statt der individuellen Abrechnung der Hotel- und sonstiger Betriebs- und Arbeitskosten gibt es eine Pauschale, aus der ich beispielsweise meine Berliner Zweitwohnung bezahle statt im Hotel zu nächtigen. Selbstverständlich kann man statt der Pauschale auch auf eine Einzelabrechung umstellen. Ich halte es allerdings für einen Irrglauben, diese Lösung wäre für den Steuerzahler preiswerter. Allerdings könnten dann zusätzlich eine Vielzahl neuer Verwaltungsstellen geschaffen werden, die dann für die Abrechnung all der anfallenden Kosten zuständig wären. Auch so können (unproduktive) Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen aussehen…
Ich hoffe, mit meinen Ausführungen für ein wenig mehr Klarheit rund um unsere Diäten und Pauschalen gesorgt zu haben. Wer an weiteren Auskünften interessiert ist, kann mich gerne ansprechen. Viele zusätzliche Informationen findet man auch unter www.bundestag.de . Es gibt kaum einen Berufsstand, der so ausführlich und für jeden öffentlich nachlesbar die Einkünfte offenlegt und sich der öffentlichen Diskussion stellt. Wie gesagt, dies ist in Ordnung; schließlich ist der fast „gläserne Abgeordnete“ Ausdruck unserer Demokratie.
Erlauben Sie mir zwei Anmerkungen zum Abschluß.
1. Ich habe offen und ehrlich für eine gewisse Höhe der Diäten plädiert. Selbstverständlich weiß ich, dass die meisten meiner Mitbürger weder das Gehalt leitender Angestellter in der Wirtschaft, noch das Einkommen gut verdienender Anwälte oder Ärzte, leitender Ministerialbeamter oder von Abgeordneten haben. Daher verstehe ich auch manchen Unmut. Ich bin mir voll bewusst, dass jede Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung in der Öffentlichkeit besonders kritisch bewertet wird.
2. Ich habe allerdings wenig Verständnis für ein anderes Phänomen der „Diäten-Debatte“. Wenn ich die vielen Zuschriften sehe, die ich bekommen habe, oder auch die Leserbriefe im Internet oder in den Zeitungen nachlese, dann beschleicht mich doch eine gewisse Furcht und Angst. Nicht nur zwischen den Zeilen ist weitverbreitet ein genereller Hass und eine tiefe Verachtung gegenüber Abgeordneten spürbar. Warum entrüstet man sich so heftig über Kosten, die ein Parlament, also die Vertretung des Volkes, verursacht? Warum dieses Wutgeheul Richtung Parlament? Glaubt man allen Ernstes, Demokratie wäre zum Nulltarif zu haben? Vielleicht darf man mal eine Minute darüber nachdenken, ob es wirklich eine Zumutung ist, dass rund 80 Millionen Bundesbürger für ihre über 600 Volksvertreter im Bundestag ungefähr die Summe ausgeben, die der FC Bayern München für seinen knapp 30-köpfigen Spielerkader ausgibt.
Sehr nachdenklich grüßt Sie herzlich
Ihr Jürgen Gehb