Frage an Jürgen Gehb von Bernd M. bezüglich Innere Sicherheit
Wird die Union im Falle des Wahlsiegs die Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre herabsetzen? es kann doch nicht sein, daß ein 12- oder 13-jähriger 40 oder 50 teils schwere Straftaten begeht, ohne dafür bestraft werden zu können.
Sehr geehrter Herr Müller,
für Kinder bis 14 Jahren ist in Deutschland kein Gericht sondern allein das Jugendamt mit den Möglichkeiten des Kinder- und Jugendhilferechts zuständig. Ich bin der Auffassung, dass dies auch so bleiben sollte. Für die Beibehaltung der Strafmündigkeit mit 14 Jahren aht sich auch der 64. Deutsche Juristentag im Jahr 2002 ausgesprochen; ebenso der 25. Deutsche Jugendgerichtstag in Marburg und die 2. Jugendstrafrechtsreform-Kommission der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen.
Allerdings setze ich mich sehr dafür ein, dass volljährige Erwachsene im Alter von 18-21 Jahren aus dem Jugendstrafrecht herausgenommen und generelle dem allgemeinen Strafrecht unterstellt werden.
Warum plädiere ich für diesen Wechsel? Erinnern Sie sich noch an den Brandanschlag in Mölln ? Im damaligen Prozess erhielt der 25-jährige Mittäter wegen dreifachen vollendeten und vielfachen versuchten Mordes eine lebenslange Freiheitsstrafe und wird frühestens nach 15 Jahren das Gefängnis verlassen dürfen. Der 19-jährige Haupttäter hingegen, der die Taten geplant und den tödlichen Brandsatz geworfen hatte, erhielt die höchtzulässige Jugendstrafe von 10 Jahren und befindet sich inzwischen wieder auf „freiem Fuß“. Der verbitterte Kommentar des zuständigen Richters zu seinem eigenen Urteil lautete: "Das unterschiedliche Strafmaß befriedigt das Gerechtigkeitsgefühl nicht. Verschärft wird dieses Unbehagen durch die Tatsache, daß die Strafen nicht nur sehr ungleich sind, sondern derjenige mit der geringeren Strafe davon kommt, der an diesen Taten den größeren Anteil hat. Man muß sich jedoch damit abfinden. Alles andere wäre Rechtsbeugung". Muß man sich damit abfinden ? Nein ! Denn eine Änderung ist möglich, wenn man endlich ein Relikt aus einer Zeit beseitigt, als die Volljährigkeit noch nicht bei 18 Jahren lag.
Unser geltendes Jugendgerichtsgesetz wurde nämlich zu einer Zeit geschaffen, als man mit 21 Jahren erst wählen durfte und auch sonst erst alle Rechte und Pflichten eines Volljährigen innehatte. Gleichzeitig empfand man es damals, und zwar völlig zu Recht, als unbefriedigend, einen 20-jährigen - und damals noch nicht volljährigen - Bankräuber wie einen 15-jährigen jugendlichen Strolch zu behandeln und führte die Kategorie der "Heranwachsenden" für die 18 - 21-Jährigen ins Jugendrecht ein.
Die Zeiten haben sich nun aber geändert. Heute sind 18-Jährige voll geschäftsfähig, können wählen und dürfen gewählt werden, Autos fahren und diese kaufen oder auch Firmen gründen; sie müssen Wehrdienst leisten und gegebenenfalls an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilnehmen. Und dies alles ohne jegliche Einschränkung und ohne individuelle Prüfung, ob jemand wirklich "reif" ist. Niemand käme heute auf die Idee, einem 20-Jährigen wegen "Reiferverzögerung" den Einzug in den Bundestag zu untersagen - ganz im Gegenteil. Viele plädieren gar für ein Wahlrecht für 16-Jährige, weil man heute - und dies wird pauschal unterstellt - im Gegensatz zu früher schon viel reifer sei.
Nur bei der Verurteilung von Straftätern scheinen wir dies alles ganz anders zu sehen. Viele plädieren für eine generelle Unterstellung aller Straftäter bis 21 Jahren unter das Jugendrecht. Manche möchten es gar bis zum Alter von 25 Jahren ausdehnen. Aber nicht nur diese Ideen erschrecken, sondern schon die gegenwärtige Praxis sieht genauso erschreckend aus: Volljährige Personen bis 21 Jahre werden heute zu großen Teilen - und bei schweren Straftaten sogar fast vollständig ! - als Jugendliche behandelt. Wurden 1954 fast 80 Prozent der noch nicht volljährigen Heranwachsenden nach dem allgemeinen Strafrecht abgeurteilt, werden fast fünfzig Jahre später weit über die Hälfte der nun Volljährigen nach dem Jugendstrafrecht abgeurteilt. Noch dramtischer ist die Lage bei den schweren Straftaten. Im Jahr 2000 wurden beispielsweise 89% der wegen Vergewaltigung, 90 % der wegen gefährlicher Körperverletzung und 96 % der wegen vorsätzlicher Tötungsdelikte verurteilten 18-21-Jährigen nach Jugendstrafrecht bestraft. Eine verkehrte Welt ! Aus der Ausnahme, das Jugendstrafrecht für 20-jährige Bankräuber und Mörder anzuwenden, ist längst der Regelfall geworden. Sicherlich muß die "Reife" eines Täters beim Urteil Berücksichtigung finden. Aber auch bei 30-, 40- oder 50-Jährigen muß dies der Richter heute individuell berücksichtigen. Ebenso kann man Sanktionsmöglichkeiten, die heute nur das Jugendstrafrecht kennt, in das allgemeine Strafrecht aufnehmen. Warum sollten Weisungen, soziale Trainingskurse und Arbeitsauflagen nicht auch für einen 30- oder 40-Jährigen neben/statt Haft- oder Geldstrafe sinnvoll sein ? Und wie in anderen europäischen Strafgesetzbüchern kann man auch eine Strafmilderungsmöglichkeit für Heranwachsende ins Strafrecht aufnehmen. Ich bin für eine solche Ergänzung unseres Strafrechts.
Aber all dies sollte mit einer generellen Unterstellung aller volljährigen Personen unter das allgemeine Strafrecht verknüpft werden. Wer wählen darf und bindend Rechtsgeschäfte tätigen kann, der muß auch wieder für seine Straftaten uneinschränkt einstehen müssen. Es ist nicht einzusehen, daß volljährige Personen gerade in dem Bereich als "unreif" eingestuft werden, wo Rechtsnormen und auch deren Verletzung unmittelbar einleuchten. Die klare Botschaft muß wieder lauten: Volljährige Personen gelten in allen Rechtsgebieten (Zivilrecht, Strafrecht, Wahlrecht, Wehrrecht etc.) als "erwachsen", und dies mit allen Rechten, aber auch Pflichten und dies auch bei den Strafen. Daher sollten alle junge Erwachsene ohne Ausnahme dem allgemeinen Strafrecht unterstellt werden. Nur minderjährige Jugendliche sollen unter das Jugendgerichtsgesetz fallen. Damit würden wir uns in Deutschland auch wieder im Rahmen der anderen europäischen Rechtsordnungen bewegen und endlich Skandalurteile, wie sie zum Brandanschlag in Mölln ausgesprochen werden (mußten), der Vergangenheit angehören.
Herzlichen Gruss,
Jürgen Gehb