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Joseph Fischer
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Frage von Ansgar K. •

Frage an Joseph Fischer von Ansgar K. bezüglich Umwelt

Guten Tag Herr Fischer,

ich habe ein paar eigentlich ganz einfache Fragen zum Atomausstieg der Grünen:

(a) Wann bzw. welcher Zeitraum?
(b) Mit welchen Energiequellen werden die rund 30% Atomstrom in Deutschland ersetzt werden? Wie wirkt sich dieser Ersatz auf Deutschlands Selbstverpflichtungen bezüglich des Kyoto Protokolls aus?

Mit freundlichen Grüssen,

Ansgar Kursawe

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Kursawe,

herzlichen Dank für Ihre Fragen, die ich gerne im Namen von Joschka Fischer beantworten möchte.
Bündnis 90/Die Grünen stehen für eine zukunftsfähige Energieversorgung ohne Atomkraft. Wir haben den Ausstieg durchgesetzt: Das Atomfördergesetz wurde zum Ausstiegsgesetz. Damit wurde ein jahrzehntelanger Konflikt in dieser Gesellschaft entschädigungsfrei befriedet. In der nächsten Wahlperiode werden wir an dieser Politik festhalten und vier weitere AKWs vom Netz nehmen. Am 14. Juni 2000 haben die Bundesregierung und die führenden Energieversorgungsunternehmen vereinbart, die Nutzung der Atomkraft in Deutschland geordnet zu beenden. Eckpunkte des Atomausstiegs sind: - Die Laufzeiten der Atomkraftwerke werden auf 32 Jahre befristet, d.h. bis etwa 2020 werden alle AKWs abgeschaltet sein. Mit Stade (2004) und Obrigheim (2005) wurden zwei der 19 AKWs in Deutschland abgeschaltet. Und auch das AKW in Mühlheim-Kärlich ging mit dem Konsens nie wieder ans Netz.

- Die Wiederaufarbeitung als Entsorgungsweg wurde (zum 1. Juli 2005) endgültig beendet.
- An den Standorten der AKWs entstehen Zwischenlager. Dadurch werden Atomtransporte bis zu zwei Drittel minimiert.
- Der Bau des Endlagers Gorleben ist gestoppt. Im Arbeitskreis Endlager wurden Kriterien für ein neues Suchverfahren erarbeitet. Ein Endlager-Gesetz wurde entwickelt.
- Erstmals werden obligatorische Sicherheitsüberprüfungen nach dem Stand von Wissenschaft und Technik vorgeschrieben und im Atomgesetz verbindlich verankert.
- Außerdem müssen die Betreiber ihre Deckungsvorsorge um das Zehnfache erhöhen - von bisher 500 Millionen auf jetzt fünf Milliarden DM. Dieses Geld soll im Falle eines Unfalls Schadenersatzansprüche abdecken.
- Neue Sicherheitsanforderungen gegenüber terroristischen Anschlägen wurden mit Ländern und Betreibern vereinbart.Wir hätten einen früheren Ausstieg aus der Atomenergie vorgezogen. Dies wäre allerdings nicht entschädigungsfrei und im Konsens möglich gewesen und war für uns als kleinerer Koalitionspartner nicht durchsetzbar.

Derzeit sind in Deutschland noch 17 AKWs am Netz, die ca. 27 Prozent des Strombedarfs decken. Diesen Strombedarf wollen wir langfristig mit regenerativen Energien ersetzen. Im Gegensatz zur Atomenergie sind regenerative Energien aus Sonne, Wind, Wasser oder Biomasse unbegrenzt verfügbar. Der Brennstoff Uran ist wie Erdöl in wenigen Jahrzehnten verbraucht. Für den Ersatz vom Öl könnte Atom auch nur im Strombereich eine geringe Rolle spielen. Öl wird nämlich vor allem für Kraftstoffe, die Wärmeerzeugung und als Grundstoff in der Chemie zu ersetzen sein. Wir setzen daher auf eine Strategie, die den sparsameren Umgang mit Ressourcen und Erneuerbare Energien aus Wind, Sonne, Wasser, Biomasse und Erdwärme verbindet. Bis 2020 wollen wir zu einem Energiemix kommen, der aus 25 Prozent Einsparungen, 25 Prozent Erneuerbare Energien und 50 Prozent effizienten und klimaschonenden Kraftwerkstechnologien (Basis: Gas und Kohle) besteht. Die größte Versorgungsunsicherheit produzieren Atomkraftwerke, die Terroristen und Kriegstreiber als vorrangige Objekte in ihre Zielplanung aufnehmen. Auch das unterscheidet Windräder, Sonnenkollektoren und Biomasse-Kraftwerke von Atomkraftwerken: Auf die Idee, sie mit Großraumjets oder Panzerfäusten anzugreifen, ist noch kein Terrorist gekommen.
Für Union und FDP ist ein wesentliches Argument für die Atomkraft die These, dass Atomkraft die billigste Energie sei. Dies ist so nicht der Fall. Die Subventionen für die deutsche Atomkraft schätzen Experten auf mittlerweile über 100 Milliarden €. Bis heute genießen die Betreiber Steuerfreiheit für die Entsorgungsrückstellungen und Rabatte bei der Versicherung von möglichen Schäden. Externe Effekte der Atomenergie, also Kosten für Umweltverschmutzungen, radioaktive Verseuchung und Gesundheitsgefährdungen bleiben hier noch unberücksichtigt. Neue Atomkraftwerke rechnen sich für Betreiber nur, wenn der Staat ihnen mit Subventionen kräftig unter die Arme greift oder wenn wie im Fall Finnland Festpreise für Kraftwerksbau und Stromabnahme vereinbart werden. Beide Voraussetzungen sind dort nicht vorhanden, wo die Strommärkte vollständig liberalisiert sind. Die Strategie der Laufzeitverlängerung älterer AKW bedeutet weder in den USA noch anderswo den Start in eine neue Kernenergie-Konjunktur. Sie dokumentiert vielmehr den Versuch der Unternehmen, mit jahrzehntealten und technisch überholten Investments möglichst lange Geld zu verdienen. Dies trägt jedoch zur Verschleppung notwendiger Investitionen in moderne Kraftwerke bei und könnte sich – Stichwort Versorgungssicherheit, Stichwort Arbeitsplätze – bitter rächen.

Mit dieser Energiewende erfüllen wir auch das Kioto-Protokoll – den Meilenstein internationaler Klimapolitik. Wie sie wissen, verpflichten sich die Industriestaaten in dem Protokoll, ihre gemeinsamen Emissionen der wichtigsten Treibhausgase – u.a. Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O) - im Zeitraum 2008 bis 2012 um mindestens 5 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Dabei haben sich die Länder - nach dem Prinzip der "gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung" - zu unterschiedlichen Emissionsreduktionen verpflichtet: Die Europäische Union muss ihre Emissionen von Treibhausgasen um 8 Prozent senken, die USA um 7, Japan und Kanada um 6 Prozent, Neuseeland, Russland und die Ukraine müssen ihre Emissionen nur auf dem Niveau von 1990 stabilisieren. Das EU-Ziel wurde aufgeteilt (sog. EU-Burden-Sharing): z.B. Deutschland -21 Prozent, Großbritannien -12,5 Prozent und Frankreich um null Prozent, Spanien +15 Prozent. Das Kioto-Protokoll sieht vor, dass die Vertragsstaaten ihre Verpflichtung zur Emissionsreduktion zum Teil im Ausland erbringen dürfen. Dafür gibt es drei sog. "flexible Mechanismen": den Emissionshandel zwischen den Industriestaaten, gemeinsam zwischen Industriestaaten durchgeführte Klimaschutzprojekte (Joint Implementation, JI) sowie Klimaschutzprojekte zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern (Clean Development Mechanism, CDM).
Das Kioto-Protokoll ist am 16.02.2005 in Kraft getreten! Damit dies endlich geschehen konnte, musste es von mindestens 55 Staaten ratifiziert werden, wobei diese mindestens 55 Prozent der CO2-Emissionen der sog. Annex I-Länder (Anhang der UN-Klimarahmenkonvention: OECD-Länder und einige Transformationsländer wie Südkorea oder Russland) von 1990 auf sich vereinigen müssen. Deutschland hat gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten das Protokoll im Mai 2002 ratifiziert. Die 55-Staaten-Schwelle wurde bereits vor langem überschritten, für die Einhaltung der zweiten Bedingung (55 Prozent) war zwingend die Ratifizierung durch die USA oder Russland notwendig. Die USA haben unter der Bush-Regierung eine deutliche Absage an das Kioto-Protokoll erteilt, somit lagen die Hoffnungen einzig bei Russland. Mit der lange verzögerten Ratifizierung Russlands im November 2004 wurde die notwendige Schwelle endlich überschritten. Inzwischen haben 150 Staaten das Kioto-Protokoll ratifiziert – sie sind für 61,6 Prozent der CO2-Emissionen der Annex I-Länder verantwortlich. Wir halten das Kioto-Protokoll für den richtigen Weg. Sein Inkrafttreten ist ein historischer Meilenstein für den Klimaschutz – das erste globale Klimaschutzabkommen mit differenzierten Begrenzungs- und Minderungszielen für klimaschädliche Treibhausgase ist nun völkerrechtlich verbindlich! Die Verhandlungen waren schwierig, oft mühsam und zogen sich über sieben Jahre hin. Ihr erfolgreicher Abschluss ist auch ein großer Sieg für den Multilateralismus, denn am Ende hat sich die Völkergemeinschaft gegen die Blockade der USA durchgesetzt und das Kioto-Protokoll in Kraft gesetzt. Damit bleiben Momentum und Dynamik des internationalen Klimaschutzprozesses im Rahmen der UN erhalten. Das Inkrafttreten des Kioto-Protokolls kann aber nur ein erster, wichtiger Schritt auf dem Weg sein, die globale Erwärmung auf ein klimaverträgliches Maß (2°C gegenüber vorindustriellem Niveau) zu begrenzen. Weitere enorme Anstrengungen und weitergehende Zielsetzungen sind erforderlich. Dazu unterstützen Maßnahmen im Rahmen der UN, die Weiterentwicklung des Kioto-Protokolls voranzutreiben, neue mittel- und langfristige Ziele zu vereinbaren, den bislang nicht berücksichtigten internationalen Luft- und Schiffsverkehr einzubeziehen sowie die größeren Entwicklungs- und Schwellenländer einzubinden. Auf der UN-Klimakonferenz in Montreal Ende 2005 müssen konkrete Verhandlungen für die Zeit nach 2012 beginnen bzw. ein entsprechendes "Montrealer Mandat" erteilt werden.

Ich hoffe, es wird eine rot-grüne Regierung sein, die in Montreal deutsche Interessen vertreten wird. Und noch mehr hoffe ich, dass der grüne Anteil an dieser Regierung so stark wie möglich ist.
Mit herzlichen Grüßen

Michael Knoll
Wiss. Mitarbeiter Joschka Fischer MdB