Wie stehen sie einer Senkung der 5% Hürde auf 3% gegenüber, und was halten sie von der Einführung einer "Ersatzstimme", für den Fall, dass die bevorzugte Partei an der Sperrklausel scheitert?
Sehr geehrter Herr Thum,
Gemäß Art. 20 Abs.2 GG geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von selbigem in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt. Insbesondere auch Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien sind wichtige Keime unseres demokratischen Rechtsstaats. Angesichts dessen halte ich die 5% Sperrklausel auf Bundes- wie auf Landesebene für unverhältnismäßig und demokratieschädlich, denn sie macht es kleinen Parteien effektiv unmöglich sich in Politik und Gesellschaft zu etablieren. Diese Beschneidung eines so fundamentalen Bürgerrechts schadet dem politischen Wettbewerb, fördert Politikverdrossenheit und rüttelt an den Grundfesten unserer Demokratie. Ihnen als Kandidat einer kleinen Partei brauche ich die Situation jedoch wohl gar nicht zu erklären. Nichtsdestotrotz oder gerade deshalb würde mich ihre Position zu Wahlrecht, Sperrklausel und Ersatzstimme interessieren.
Bei jeder Wahl in Deutschland fallen tausende von Stimmen einfach unter den Tisch. Zwischen 8 und 23 Prozent der Wählerinnen und Wähler sind wegen der 5-Prozent-Hürde nicht im Landtag und Bundestag vertreten. Bei der letzten Bundestagswahl waren das fast 4 Mio. Stimmen!
Als Mittel für mehr Wahlgerechtigkeit, mehr Chancengleichheit und gegen Wählerverdruss und damit zur Stärkung der parlamentarischen Demokratie ist die Drei-Prozent-Klausel und die Ersatzstimme politisch sinnvoll und wünschenswert.
Seit 2014 gab es in Deutschland keine Sperrklausel bei Europawahlen, da sich die einzelnen Parteien (aktuell ca. 200) in 7 Fraktionen zusammengefunden haben. Im Juni 2023 hat der Bundestag hat mit der nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit für die Einführung einer Sperrklausel von mindestens zwei Prozent bei der Europawahl gestimmt und somit den Weg frei gemacht für die Wiedereinführung einer Sperrklausel bei europäischen Wahlen. Damit würden sich die im Europaparlament 14 deutsche Parteien um rund ein Drittel reduziere.
Wie viele andere Parteien auch, arbeitet der Bundesverband der ÖDP mit Unterstützung der ÖDP-Europaabgeordneten Manuela Ripa unermüdlich daran, eine Sperrklausel bei EU-Wahlen zu verhindern. Auch Gespräche mit anderen Parteien finden statt, da gemeinsame Klagen durchaus eine Option darstellen.
Die wichtigsten Gründe für die Ersatzstimme:
Eine vielfältige Parteienlandschaft ist wichtig für die Demokratie. Die Menschen werden immer individueller - dazu passt ein vielfältiges politisches Angebot. Doch aktuell führt ein MEHR an Wahlmöglichkeiten zu WENIGER repräsentativen Parlamenten. Zu viele Stimmen fallen unter den Tisch und verzerren dadurch die Wahlergebnisse.
Hinzu kommt: Viele Menschen wählen aus Angst ihre Stimme zu verschenken, strategisch. Sie geben ihre Stimme einer etablierten Partei statt frei zu wählen, was sie wirklich wollen. Das macht es für kleine Parteien noch schwieriger, die Prozenthürde zu schaffen und sie erfahren nicht einmal, wie groß ihre Unterstützung tatsächlich ist. Da ist Frust vorprogrammiert, bei den kleinen Parteien, wie auch bei den Wählerinnen und Wählern!
Sowohl die kleinen als auch die größeren Parteien können von einer Ersatzstimme profitieren. Die Kleinen bekämen endlich eine faire Chance. Und die Etablierten hätten eine stärkere demokratische Legitimation, weil die meisten Ersatzstimmen wohl an sie gehen würden.
Die Einführung einer Ersatzstimme ist ein geeignetes Mittel. Dabei wird bei der Wahl vorsorglich eine weitere Partei angekreuzt. Scheitert die eigentlich präferierte Partei an der 5-Prozent-Hürde, zählt die Ersatzstimme.
Ein System mit Ersatzstimme könnte die Parteienfinanzierung beeinflussen. Die kleinen Parteien hätten so eher die Chance, die nötige Hürde für staatliche Subventionen zu überwinden. Denn gute inhaltliche Programme zu entwickeln, Menschen zu aktivieren und Öffentlichkeitsarbeit zu machen, kostet Geld.
Der Verein Mehr Demokratie e.V. macht aktuell für die Ersatzstimme einen online-Aufruf, der hier online unterschrieben werden kann: