Frage an Johannes Jung von Peter S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr Jung,
warum hat die SPD während der Rot-Grünen Regierungszeit den Mindestlohn nicht eingeführt? Damals gab es schon genauso Hungerlöhne wie heute. Im Gegenteil, mit Hartz IV müssen die Menschen sogar noch bis zu 30% unter den ortsüblichen Löhnen arbeiten. Der Grund waren aber Schröder und Clement, die beide dagegen waren bzw. sind. Herr Clement hat gestern Abend bei Maybrit Illner gesagt: Die Diskussion wäre typisch deutsch, seit einem Jahr spreche man in Deutschland über den Mindestlohn, dabei wäre das gar nicht das Thema. Man müßte diese Menschen aus dem Niedriglohnbereich herausholen und qualifizieren. Er irrt. 70% die dort arbeiten sind qualifiziert, 10% haben einen Hochschulabschluss. Herr Clement sagte, er sei gegen den Mindestlohn. In einem Zeitungsinterview warnte er sogar davor. Wie ist Ihre Meinung?
MfG
Peter Speck
Sehr geehrter Herr Speck,
vielen Dank für Ihre e-Mail in Sachen Mindestlohn. Es war in der Tat so, dass sich zu Zeiten von Rot-Grün die Befürworter eines Mindestlohns, Franz Müntefering und Reinhard Bütikofer, letztlich nicht gegen Schröder, Clement und einige Gewerkschaftsfunktionäre durchsetzen konnten. Herr Clement mag seine Meinung vertreten; ich bin für einen gesetzlichen Mindestlohn.
Die in Deutschland traditionell recht hohe Tarifbindung hat in der Vergangenheit ausgereicht, um Mindestlöhne und soziale Standards tariflich auf Branchenebene zu sichern. Die Tarifbindung in Deutschland nimmt aber ab. Derzeit sind in Westdeutschland weniger als 59 Prozent und in Ostdeutschland nur knapp 42 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt - Tendenz fallend. Auch in tarifgebundenen Beschäftigungsverhältnissen gibt es Armutslöhne. Rund 2,5 Millionen Vollzeitbeschäftigte arbeiten in Deutschland für Löhne, die weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens ausmachen. Hinzu kommt, dass prekäre Beschäftigungsverhältnisse in den vergangenen Jahren zugenommen haben.
SPD und Gewerkschaften halten an dem Grundsatz fest, dass zunächst alle tariflichen Möglichkeiten genutzt werden müssen, um Mindeststandards zu sichern. Das entspricht dem Wesen der durch die Verfassung geschützten Tarifautonomie. Dort, wo es keine Tarifstrukturen gibt, ist der Gesetzgeber gefordert. Der Staat muss in den Bereichen eingreifen, in denen die Gewerkschaften nicht stark genug sind, um existenzsichernde Löhne durchzusetzen. Deshalb bin ich für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, den CDU/CSU bisher erbittert bekämpfen.
Mit freundlichen Grüßen
Johannes Jung