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Frage von Sonja R. •

Frage an Johannes Jung von Sonja R. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Jung,

Ich kenne Sie noch von der Naturfreundejugend Pfinztal und der Songgruppe Naturfreunde und Juso Pfinztal, bei der Sie sehr engagiert Lieder gegen Kriege in jeglicher Form, soziale Ungerechtigkeit und Brüder zur Sonne zur Freiheit gesungen haben, dies zuletzt am 1. Mai 2006.

Offensichtlich, aufgrund Ihrer Abstimmungen zur Gesundheitsreform, zu den Tornadoeinsätzen und zur Rente mit 67, waren und sind dies offensichtlich leider nur Lippenbekenntnisse gewesen.

Könnten Sie mir bitte glaubhaft erklären, ohne die gängigen Ausreden und vorgefertigten Argumente, wie ausgerechnet Sie so abstimmen konnten?

Mit freundlichen Grüßen

Sonja Rothweiler

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Rothweiler,

vielen Dank für Ihre eMail. Es stimmt, ich bin Anfang der 80er Jahre zu den Jusos Pfinztal gestoßen und stehe seit über 20 Jahren an (fast) jedem 1. Mai bei der Maikundgebung des DGB Pfinztal mit der Songgruppe Pfinztal auf der Bühne am Fuße des Hopfenbergs. Im Jahr 2006 war ich außerdem selber Mai-Redner.

Nun zu meinem Abstimmungsverhalten.

Tornadoeinsätze:

Die Bevölkerung in Afghanistan erleidet seit Jahrzehnten Krieg und Unterdrückung. In den 90er Jahren wurde Afghanistan von den Taliban terrorisiert und war zum zentralen Ausbildungslager des internationalen Terrorismus geworden. Die Bundeswehr leistet seit Beginn des internationalen Engagements im Rahmen eines UN-Mandates einen wichtigen Beitrag zur notwendigen militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses in Afghanistan. Der laufende ISAF-Einsatz hat unverändert das Ziel, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit so zu unterstützen, dass sowohl die afghanischen Staatsorgane als auch das Personal der Vereinten Nationen und anderes internationales Zivilpersonal, insbesondere solches, das dem Wiederaufbau und humanitären Aufgaben nachgeht, in einem sicheren Umfeld arbeiten können. Wenn dies nicht gelingt, gibt es keine Fortschritte für die leidgeprüfte Zivilbevölkerung in Afghanistan. Dieses Land wird nur dann eine gute Zukunft haben, wenn auch der Süden und der Osten des Landes von der wachsenden Stabilität, die wir im Norden sehen, profitieren. Diese Stabilität konnte erst durch das Tätigsein der Bundeswehr und vieler ziviler Hilfsorganisationen wachsen. Vor diesem Hintergrund werden die zivilen Wiederaufbauanstrengungen auch ausgeweitet. Das macht jedoch die militärische Präsenz in Zukunft keineswegs überflüssig.

Vor allem im Süden des Landes hat sich die Situation im vergangenen Jahr verschärft. Dort kämpfen die Taliban gegen den Fortschritt, weil er aus dem Westen kommt, und weil er den Erfolg ihrer religiösen Ideologie untergräbt. Die Taliban kämpfen dort nicht nur gegen die NATO, sondern zerstören auch wieder aufgebaute Schulen und andere Projekte, die dem Wohle der Menschen dienen. Der Einfluss der Taliban darf im Süden und Südosten des Landes nicht weiter anwachsen. Leider ist es falsch zu glauben, dass wir durch Nachgeben überzeugen könnten.

Mit der Bereitstellung der „Recce-Tornados“ zur Luftaufklärung wird Deutschland einen Beitrag dazu leisten, dass vor allem dieser Teil Afghanistans über bessere Informationen über die aktuelle Gefährdungslage verfügt. Die Aufklärungskapazitäten der Tornados sind unverzichtbar für eine aussichtsreiche Strategie am Boden. Mit diesem Einsatz werden die Informationen präziser und die Gefahr ziviler Opfer geringer. Schließlich liegt ein sicherer Süden auch im Interesse des deutschen Kontingents in Nordafghanistan. Ich weise gleichzeitig darauf hin, dass bestimmte Formen des Einsatzes der Tornados, nämlich der unmittelbare Kampfbezug, ausdrücklich ausgeschlossen sind. Wir stellen die Tornados nur für Aufklärungszwecke zur Verfügung. Da im Süden Afghanistans eindeutig Krieg geführt wird, wäre es allerdings ehrlicher, sich dieser Frage direkt zu stellen. Das steht jedoch auf einem anderen Blatt.

Niemand will, dass die Bundeswehr bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in Afghanistan bleibt. Ich habe Verständnis für Befürchtungen, dass der Einsatz der Tornados Deutschland verstärkt in eine kriegerische Auseinandersetzung hineinziehen könnte, die wir nicht gewollt haben. Es liegt jedoch im unmittelbaren Interesse der Zivilbevölkerung und in unserem eigenen Interesse, dass Afghanistan nicht wieder die Basis und Ausbildungsstätte für militante Fanatiker wird. Dies hätte verheerende Auswirkungen nicht nur auf die gesamte Region, sondern auch auf die Freiheit und Sicherheit bei uns.

Die entscheidende Abstimmung im Bundestag ist nicht die eben gerade getroffene über den Tornado-Einsatz. Die Entscheidung über die Zukunft Afghanistans fällt in den Monaten bis zum turnusgemäß anstehenden Beschluss über die Verlängerung der beiden Mandate im Herbst 2007.

Es ist nicht einfach, Entscheidungen über internationale Militäreinsätze zu treffen. Als Mitglied im Auswärtigen Ausschuss beschäftige ich mich täglich damit und als jemand, der das ehemalige Jugoslawien seit Beginn der dortigen Kriege vor über 15 Jahren regelmäßig bereist, ist mir ziemlich klar, was Bürgerkrieg und internationale Einsätze bedeuten. „Wir leben in der einen Welt“ gilt nicht nur für Umwelt- und Entwicklungspolitik, das gilt auch für Freiheit und Frieden. Deshalb brauchen die Vereinten Nationen unsere Unterstützung – zivil und leider auch militärisch. Erhard Eppler hat auch da Recht.

Rente mit 67:

Ich bin seit langem als Befürworter der Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters bekannt, und zwar in Form der einmonatigen Anhebung à la Rürup. Ich habe kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich Argumente für die Rente mit 67 als stichhaltig erachte, wenn einige Voraussetzungen für die Zukunft erfüllt sind: z.B. das prognostizierbare Vorhandensein der notwendigen Arbeitsplätze oder alterns- und altersgerechter Arbeitsbedingungen. Gerade beim letzten Punkt hat sich faktisch in den letzten 20 Jahren nicht viel getan. Beim Thema Humanisierung der Arbeit gibt es viel Nachholbedarf. Des Weiteren waren für mich eine Altersteilzeitregelung über 2009 hinaus ebenso wichtig wie der abschlagfreie vorgezogene Ruhestand aus Gesundheitsgründen und die wichtige Qualifizierung der an- und ungelernten Beschäftigten. Diese Positionen vertrete ich seit Jahren auch und gerade gegenüber Gewerkschaftern und Betriebsräten in aller Klarheit, was von den Kolleginnen und Kollegen trotz unterschiedlicher Auffassungen respektiert wird.

Gesundheitsreform:

Klar ist: Die perfekte Gesundheitsreform gibt es nicht. Bei weitem nicht alle Details des komplexen Machwerks sind für mich überzeugend. Zweifelhaft ist insbesondere der Sinn des so genannten Gesundheitsfonds, ungelöst ist die nachhaltige Finanzierung des Gesundheitswesens. Zu loben ist die Versicherungspflicht, die Verbesserungen bei der Vorsorge und die bessere Förderung der Teilnahme an Vorsorgeuntersuchungen. Auch dass neue Medikamente nun einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen werden ist ebenso positiv wie die Öffnung der Krankenhäuser zur Erbringung hoch spezialisierter ambulanter Leistungen auch für gesetzlich Versicherte. Das sind klare Vorteile. Diese Verbesserungen auf der Leistungsseite für die Versicherten haben letztlich – bei aller Skepsis – für mich den Ausschlag gegeben, der Reform doch zuzustimmen. Gerne zitiere ich auch hier meinen Kollegen Prof. Karl Lauterbach: „Diese Reform ist immer noch besser als alles, was die FDP jemals vorgeschlagen hat.“ Das weist auch auf die Probleme innerhalb einer Koalition hin. Auch zur Gesundheitspolitik bin ich in den letzten Monaten regelmäßig öffentlich aufgetreten und habe meine Standpunkte, das Für und Wider, dargelegt.

Sehr geehrte Frau Rothweiler, gerne können Sie sich auch direkt an mein Karlsruher Büro wenden: Am Künstlerhaus 30, 76131 Karlsruhe, Tel. 0721 / 931 04 21, eMail johannes.jung@wk.bundestag.de .

Mit freundlichen Grüßen
Johannes Jung