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Jörn Wunderlich
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Frage von Tanja G. •

Frage an Jörn Wunderlich von Tanja G. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Wunderlich,

zu Ihrer Antwort an Herrn Rus betr. staatliche Förderung von missionarischen Aktivitäten vom 7.3.08:

Es darf nicht nur um die Gleichbehandlung von Religionsgemeinschaften gehen. Das Verbot der Benachteiligung gilt auch im Hinblick auf Konfessionslose.
Aus den Feststellungen eines von Christen gegründeten Vereins zur Umwidmung von Kirchensteuern - nachlesbar unter www.kirchensteuern.de - ergibt sich zweifelsfrei, daß Konfessionslose - bald deutlich mehr als ein Drittel der deutschen Bevölkerung - mit ihren Steuern die Kirchen mitfinanzieren müssen.

Nur ein sehr geringer Teil der Kircheneinnahmen wird für Soziale Dienste verwendet. Der Staat fördert jedes Jahr missionarische Aktivitäten in Milliardenhöhe, obwohl es laut Grundgesetz "keine Staatskirche gibt". Besonders in den Bereichen Soziales und Bildung fehlen diese Milliarden. Die davon betroffenen Personen haben einen Anspruch darauf, daß sich verantwortungsbewußte Abgeordnete für eine Änderung einsetzen.

Wie können Sie erreichen, daß sich der Bundesrechnungshof mit diesem Thema beschäftigt?

Mit freundlichen Grüßen
Tanja Großmann

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Großmann,

zunächst bitte ich, die durch ein Büroversehen etwas verspätete
Beantwortung zu entschuldigen.

Zur Gleichberechtigung konfessionsgebundener Menschen mit Konfessionsloser bzw Atheisten möchte ich Ihnen sagen, dass DIE LINKE dieses und verwandte Themen derzeit intensiv debattiert, aber auch heiße Themen im Bundestag anpackt. Zum Beispiel hat mein Kollege Bodo Ramelow gerade das Thema Lohndumping unter kirchlichem Schutz auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt. Ein anderes Beispiel: In Berlin tragen wir in der Landesregierung eine Regelung zum Religionsunterricht mit, die es dem Humanistischen Verband ebenso wie den Kirchen und Religionsgemeinschaften ermöglicht, einen eigenen Unterricht auf freiwilliger Basis anzubieten. Daneben gibt es in Berlin das Pflichtfach Ethik, das gleichberechtigt über alle Religionen und Weltanschauungen informiert.

Die Regelung zur Kirchensteuer ist von den Vätern des Grundgesetzes aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen worden, in einer Zeit, als noch neunzig Prozent der Bundesbürger einer der beiden großen Kirchen angehörten. Damit wurde das Prinzip der "kooperativen Trennung" von Staat und Kirche in Deutschland geprägt. In den letzten Jahren hat sich die religiöse Landkarte in Deutschland massiv verändert: Durch die Wiedervereinigung ist ein beachtlicher Teil von konfessionell nicht gebundenen Menschen und Atheisten hinzugekommen; in Folge von Immigration ist der Islam mit über 3 Millionen Gläubigen zur drittgrößten Glaubensgemeinschaft herangewachsen und auch die Jüdische Gemeinschaft hat ihre Größe seit 1990 mehr als vervierfacht. Die Regelung der Staat-Kirche-Beziehungen sollte diesen Veränderungen Rechnung tragen. Wie Sie richtig sagen, ist es für Konfessionslose schwer verständlich, warum der neutrale Staat organisatorische Arbeit für die Kirchen übernimmt Aber auch für Muslime ist die momentane Praxis ein Nachteil, weil sie im Gegensatz zu den christlichen Kirchen keine formale Mitgliedschaft kennen.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten dies besser und verständlicher zu regeln. Eine unserer politischen Vorstellungen wäre es, dass der Einzug einer "Steuer" den Religionsgemeinschaften selbst in die Hand gegeben wird, wie es beispielsweise in Frankreich der Fall ist. Dort zahlt z.B. jeder eingetragene Katholik ein Prozent seines Brutto-Einkommens direkt an die Kirche. Das gibt den Kirchen mehr Unabhängigkeit, den Bürgern eine direktere Verbindung zu ihrer Kirche und dem Staat die Position der Neutralität. Auch das italienische Modell ist interessant: In Italien gibt es eine Kultur- und Kirchensteuer in Höhe von 0,8 Prozent des Brutto-Einkommens und jeder Bürger kann per Kreuzchen auf seiner Lohnsteuerkarte entscheiden, welche Kirche das Geld bekommen soll oder ob es für nicht-religiöse soziale Projekte verwendet werden soll. Die letzte Variante, die auf dem italienischen oder auch Schweizer Modell basiert, favorisiert mein Kollege Ramelow, der diese Themen für die Fraktion und Partei bearbeitet.

Die Chancen, dass dieses Thema auf die politische Tagesordnung kommt, steigen stetig, da die angesprochene wachsende Pluralität religiöser und weltanschaulicher Bindungen ein laufender Prozess ist, der auf lange Sicht zu Anpassungen von Seiten der Politik führen muss. Deshalb könnte die letzte Variante ausgebaut werden, so dass die Steuer zwar einheitlich erhoben, aber durch jeden Steuerzahler jährlich neu zweckgebunden wird. Da könnte der nichtgläubige Mensche es für die Arbeit der Freidenker oder aber für internationale Friedensprojekte binden und jeder Kirchengebundene dann seiner Religion oder Kirche zuwenden. Damit würde die Diskriminierung bei den Abzügen von Arbeitslosengeld bzw. Sozialtransfergeldern aufhören, wo ja jetzt ein fiktiver Betrag angeblicher Kirchensteuer gekürzt wird, obwohl die gar keine Kirche bekommt. Da wird der Begriff Kirchensteuer zum Sozialabbau staatlicherseits missbraucht. Umgekehrt würde die Diskriminierung der Muslime beendet und alle Bürger könnten selbst entscheiden, wem Sie Ihr Geld überlassen möchten für gute Zwecke. Wer nichts entscheidet, soll aber nicht profitieren, sondern dieses Geld würde für Denkmalschutz unseres christlich/jüdischen Erbes eingesetzt, also Synagogen wieder aufgebaut, die von den Nazis zerstört wurden, jüdische Friedhöfe saniert oder Dorfkirchen wieder einer Nutzung zugeführt. Das wäre Denkmalpflege im Sinne unseres Erbes und zweckgebunden. Darüber muss aber öffentlich debattiert werden und es bedarf einer breiten Gesellschaftlichen Akzeptanz, um diese Wege zu gehen. Wir verstehen dies als unseren Debattenbeitrag.

Mit freundlichen Grüßen

Jörn Wunderlich