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Frage von Klaus S. •

Frage an Jörg Tauss von Klaus S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Tauss,

ich zitiere zunächst aus einer Antwort die Sie am 30.07.2007 dem Fragesteller Torsten Harberg auf seine Frage vom 29.07.2007 gegeben haben: "Denn Versicherung bedeutet eben, ungeachtet der Hoehe der eingezahlten Beitraege solidarisch ein Risiko abzusichern und auch ungeachtet des Zeitpunkts des Schadenseintritts".

Meine Frage bezieht sich auf die Abschläge (bis zu 10,8%) die Menschen von ihrer EU-Rente abgezogen werden, selbst wenn sie sie vor ihrem 60. Lebensjahr in Anspruch nehmen müssen, wie das bei mir der Fall ist.

Die Deutsche Rentenversicherung wirbt damit dass zur Berechnung von Leistungen wie die EU-Rente die geleisteten Beiträge hochgerechnet werden, so, als ob man bis zum 60. Lebensjahr Beiträge eingezahlt hätte.

Dann aber werden Abschläge wegen so genannter "vorzeitiger" Inanspruchnahme abgezogen, dies ist schlichtweg ein Irrsinn und vollkommen ungerechtfertigt! Die EU-Rente ist eine Versicherungsleistung aus einer Risikoversicherung, wie kann hier behauptet werden, man nehme sie "vorzeitig" in Anspruch??? Aus diesem Grund habe ich ihre Antwort zitiert.

Wie stehen Sie dazu? Der Petitionsausschuss des Bundestags sah auf Grund meiner Petition - wie üblich - "keinen Handlungsbedarf". Für mich ist das Betrug an den Versicherten, ebenso wie das neue Gesetz das vorsieht, dass Leistungen nicht mehr rückwirkend nachzuzahlen sind.

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Sehr geehrter Herr Schmidt,

die Berichterstattung in der Presse über die Entscheidung des 4. Senates des Bundessozialgerichts vom 16. Mai 2006 zur Zulässigkeit von Abschlägen bei Erwerbsminderungsrenten ist leider nicht immer als gelungen zu bezeichnen. Vielfach führt der Versuch, eine hochkomplexe rechtliche Materie zu vereinfachen, um sie darstellen zu können, zu falschen bzw. irreführenden Aussagen.

Richtig ist, dass ein Senat des Bundessozialgerichts entschieden hat, dass Rentner, die eine Erwerbsminderungsrente beziehen, vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht mit Abschlägen belastet werden dürfen. Das heißt, dass eine solche Erwerbsminderungsrente erst gekürzt werden darf, wenn der Rentner das 60. Lebensjahr vollendet hat.

Falsch ist aber, dass jede Entscheidung des Bundessozialgerichts automatisch auch in allen anderen vergleichbaren Fällen umgesetzt werden muss. Das deutsche Recht kennt keine Allgemeinverbindlichkeit von Urteilen von Fachgerichten, anders als beispielsweise der angelsächsische Kulturkreis. In Deutschland fällen Fachgerichte Einzelurteile, die nur die Prozessparteien untereinander binden.

Nun ist es aber beileibe nicht so, dass Verwaltungen höchstrichterliche Urteile, die von ihrer bisherigen Rechtsauslegung und Verwaltungspraxis abweichen, generell ignorieren und weitermachen wie bisher. Ganz im Gegenteil. Nur in wenigen besonderen Fällen wird so verfahren. Dieses hat schon einen praktischen Grund, denn ansonsten müssten diese Verwaltungen eine Menge aussichtsloser Prozesse führen und sich zurecht Geldverschwendung vorwerfen lassen müssen.

Dass die Deutsche Rentenversicherung dem o. a. Urteil des Bundessozialgerichts nicht folgt, hat einen nachvollziehbaren Grund. Schaut man sich die absurden Folgen des Urteils an, wird offensichtlich, dass hier etwas nicht stimmt. Denn wieso sollte eine Arbeitnehmerin, der mit 43 Jahren einen Unfall erleidet und in Rente gehen muss, siebzehn Jahre lang eine ungekürzte Rente beziehen, ab Vollendung ihres 60. Lebensjahres aber eine Kürzung von 10,8 Prozent hinnehmen müssen? Hier hat sich der 4. Senat des Bundessozialgerichts schwer vergaloppiert. Diese Rechtsauslegung hat mit dem vom Gesetzgeber gewollten Erwerbsminderungsrecht nichts zu tun und die Deutsche Rentenversicherung tut gut daran, dass sie versucht, durch das Vorantreiben von Musterverfahren die Rechtsansicht eines weiteren (anderen) Senates des Bundessozialgerichtes einzuholen. Angesichts der klaren Regelungen, die der Gesetzgeber im Jahre 2000 getroffen hat, wäre es überraschend, wenn dieser andere Senat die Rechtsauffassung teilen würde. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass nunmehr vor einigen Wochen der 5a-Senat des Bundessozialgerichts klar zu erkennen gegeben hat, dass er die Rechtsaufassung des 4. Senates nicht teilt und gedenkt – soweit auch der 13. Senat diese Auffassung teilt – an dieser Rechtsprechung nicht festzuhalten. Als der Gesetzgeber im Jahre 2000 (mit Wirkung ab 1. Januar 2001) das Recht der Erwerbsminderung in der gesetzlichen Rentenversicherung reformiert hat, ging er von klaren Überlegungen aus, die sich auch im Gesetz und seiner amtlichen Begründungen wiederfinden. So war eindeutig gewollt, dass bei Arbeitnehmern, die vor Vollendung des 63. Lebensjahres in Erwerbsminderungsrente gehen müssen, Abschläge zu berücksichtigen sind. Damit wollte man eine Angleichung der Höhe der Erwerbsminderungsrenten an die Höhe der (vorzeitig in Anspruch genommenen) Altersrenten an Schwerbehinderte erreichen. Letztere waren schon vor dem Jahre 2001 abschlaggemindert. Um aber Arbeitnehmern, die vor dem 60. Lebensjahr in Erwerbsminderungsrente mussten, die Höhe der Rente nicht allzu sehr durch die Abschläge zu mindern, hat der Gesetzgeber einen Ausgleich geschaffen. Er hat zeitgleich mit der Einführung der Abschläge die sogenannte Zurechnungszeit verlängert. Dadurch wurde erreicht, dass in diesen Fälle die Minderung der Rentenhöhe durch die Abschläge im Wesentlichen ausgeglichen wurde. Dieses wurde in der Gesetzesbegründung ausdrücklich auch so beschrieben.

Dass man als betroffener Rentner lieber eine – durch die Verlängerung der Zurechnungszeit hochgewertet - Rente ohne Abschläge haben möchte, ist nicht unverständlich. Dieses ist aber vom Gesetzgeber nicht gewollt. Daher möchte ich um Verständnis für das derzeitige Vorgehen der Deutschen Rentenversicherung werben.

Mit besten Grüßen

Joerg Tauss