Frage an Jörg Tauss von Jens K. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrter Herr MdB Tauss,
in der letzten Zeit werden zunehmend Forderung seitens der Wirtschaftsverbände laut, Ingenieure technischer Fachrichtungen aus dem Ausland nach Deutschland zu holen.
Begründet wird dies mit einem Mangel selbiger zur Besetzung der freien Stellen und der Gafahr eines sich daraus ergebenden Wirtschaftsabschwungs.
Seitens der zu Hilfe gerufenen Politik scheint sich eine entsprechende Bereitschaft, die erforderlichen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, abzuzeichnen.
Auf welcher Grundlage erfolgen die Datenerhebungen, die zu solch einer Einschätzung führen?
Wer verifiziert diese Grundlagen?
Wäre es nicht sinnvoller, derzeit arbeitslose Ingenieuere verwandter Fachrichtungen für die Nachfragebranchen zu qualifizieren, wie dies Anfang der 90er Jahre auch der Fall war (Machinenbauer zu Bauing.)?
Sollten die die Fachkräfte beanspruchenden Unternehmen nicht selbst mehr verpflichtet werden, die erforderlichen Fachleute zu qualifizieren? (So sie denn wissen, was sie brauchen;-))
Vielen Dank für Ihre Bemühungen
J. Klessing
Sehr geehrter Herr Klessing,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 29.08.2007.
Sie fragen mich, auf welcher Grundlage die Datenerhebungen zum Fachkräftemangel der Wirtschaftsverbände erfolgen und wer diese Erhebungen verifiziert. Verständlicherweise kann ich Ihnen dies nur sehr bedingt beantworten. Antworten kann ich Ihnen allerdings gerne grundsätzlich auf Ihre Anfrage und verweise dabei u.a. auf Zahlen aus den Bundesministerien für Wirtschaft sowie Arbeit und Soziales.
Das Bundeskabinett beabsichtigt die - richtige und wichtige - Zuwanderung von hochqualifizierten Fachkräften aus dem Ausland zu erleichtern. Dies wird von mir als bildungs- und forschungspolitischer Sprecher meiner Fraktion begrüßt. Allerdings ist diese Maßnahmen allein bei weitem nicht ausreichend, um den bereits spürbaren Fachkräftemangel - das ist Fakt - umfassend entgegen zu wirken.
Wir brauchen in unserem Land eine zusammenhängende Qualifizierungsoffensive, in deren Mittelpunkt neben den vorgesehenen Erleichterungen auch die Hebung der nach wie vor brach liegenden Qualifizierungspotenziale unserer Bevölkerung steht. Hier gebe ich Ihnen vollkommen recht. Dazu ist es dringend notwendig, die Chancengleichheit zu sichern und auf den systematischen Ausbau der Fort- und Weiterbildung zu setzten. Deshalb müssen wir die Weiterbildung zur vierten Säule unseres Bildungssystems weiter zu entwickeln. Hier stehen wichtige Weichenstellungen – Stichwort Weiterbildungsfinanzierung, Erwachsenenfortbildungsgesetz – noch aus.
Auch wenn nicht vergessen werden sollte, dass die Wirtschaft auf dem Gebiet der Ausbildung des Fachkräftenachwuchses bisher klar versagt hat, kann es sich Deutschland auch volkswirtschaftlich nicht leisten, hier weiter untätig zu bleiben. Im Lichte des zunehmenden internationalen Wettbewerbs um die besten Köpfe muss auch Deutschland seine Chancen nutzen, um seine Interessen als innovative, leistungsfähige und exportorientierte Volkswirtschaft zu wahren. Hier ist es daher sinnvoll, unter Berücksichtigung des deutschen Arbeitsmarktes und Lohnniveaus die Hürden für eine geregelte Zuwanderung ausländischer Fachkräfte zu senken. Ein richtiger Schritt sind hierbei die Erleichterungen in den Bereichen Maschinenbau und Elektrotechnik für Ingenieure aus den neuen Mitgliedsländern der EU. Ebenso ist es richtig, die günstigen Integrationsvoraussetzungen ausländischer Absolventen deutscher Hochschulen zu nutzen und dieser Gruppe den Verbleib und eine Arbeitsaufnahme in Deutschland zu erleichtern. Damit wird eine alte Forderung der SPD noch aus der Debatte zum rot-grünen Zuwanderungsgesetz nun endlich umgesetzt.
Klar ist allerdings, daß der drohende Fachkräftemangel mit unverbundenen Einzelmaßnahmen allein nicht abzuwenden sein wird. Gerade zur Sicherung der Nachhaltigkeit unseres Fachkräftenachwuchses müssen wir die soziale Selektivität unseres Bildungssystems abbauen. Nach wie vor ist sie der Grund dafür, dass wir dringend benötigte Talente und Fähigkeiten verspielen und jungen Menschen – insbesondere denen mit Migrationshintergrund – Lebenschancen verwehren. Zudem sind gerade im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich Frauen weiterhin stark unter repräsentiert - dies geht eindeutig zu Lasten unseres Fachkräfteangebots. Entscheidend wird es aber sein, ob es uns gelingt, in einer zukunftweisenden Weiterbildungsinitiative die Qualifikationen und Fähigkeiten der Menschen über die gesamten Erwerbsbiographien kontinuierlich zu erhalten, weiterzuentwickeln und auszubauen.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist hier der Überzeugung, dass ein Erwachsenenfortbildungsförderungsgesetz mit entsprechenden Finanzierungsinstrumenten einen wesentlichen Beitrag leisten kann. Lebensbegleitendes Lernen ist kein Luxus, sondern eine schlichte Notwendigkeit in einer wissensbasierten und innovationsgetriebenen Wirtschaft und Gesellschaft. Meine Fraktion fordert hier nach wie vor einen Weiterbildungspakt, um der strategischen Bedeutung des lebensbegleitenden Lernens endlich die ihr zukommende Aufmerksamkeit zu geben.
Erst alle Bausteine zusammen, Bildungsoffensive, mehr Chancengleichheit für alle in der Bildung, systematische Weiterbildung und geregelte Zuwanderung, eröffnen eine Lösungsperspektive, um dem Mangel an Hochqualifizierten und Fachkräften in Deutschland entgegenzuwirken – alles andere ist einseitig wie kurzsichtig und dient langfristig weder den betroffenen Menschen noch dem Standort Deutschland.
Mit freundlichen Grüßen
Joerg Tauss