Frage an Jens Peter Seipenbusch von Benjamin K. bezüglich Verbraucherschutz
Sehr geehrter Herr Seipenbusch,
Sie schreiben, dass Sie direkte Demokratie, etwa Volksentscheide, fördern wollen. Wenn ich mich recht an meinen Geschichtsunterricht erinnere, wurden zu Zeiten der Weimarer Republik Volksentscheide populistisch missbraucht.
Gerade in der jetzigen so oft beschworenen Wirtschaftskrise sehe ich die Gefahr, dass größere Bevölkerungsmengen verstärkt nach einfachen Antworten suchen und so auch heute die Gefahr des populistischen Missbrauchs einer solchen Möglichkeit besteht.
Wie stehen Sie zu der Gefahr, die notwendig von unreflektierten Abstimmungen zu jedem beliebigen Thema ausgehen?
Sicherlich sind Volksentscheide nicht frei von den Gefahren des Populismus, allerdings lassen sich viele Methoden und Mittel sowohl zum Guten als auch zum Schlechten verwenden. Beim Scheitern der Weimarer Republik spielten meines Wissens Volksentscheide keine ausschlaggebende Rolle. Auch das heutige demokratische System ist ja keineswegs frei von Populismus.
Wenn ich mir Bürgerbegehren und Volks- und Bürgerentscheide in Deutschland heutzutage anschaue (zuletzt in Berlin beispielsweise), dann sehe ich keine allzu großen Risiken sondern im Gegenteil viele Vorteile: nicht nur werden trotz irreführender Werbung durchgehend informierte Entscheidungen getroffen, sondern es ist auch ein nicht zu unterschätzender Vorteil, dass sich die Bürger mit diesen Themen verstärkt auseinandersetzen und eigenverantwortlich entscheiden können. Viel größere Gefahren für unsere Demokratie gehen m.E. vom zunehmenden politischen Ohnmachtsgefühl und Desinteresse (Politikverdrossenheit) aus. Auf der Ebene der EU kommt als zweite Gefahr noch die große räumliche und strukturelle Distanz der Bürger zu den europäischen Gremien hinzu. Der jetzige Aufbau der EU genügt darüberhinaus nicht ausreichend den anzulegenden demokratischen Maßstäben wie unmittelbaren und gleichen Wahlen oder der Gewaltenteilung.
Konkret sind Elemente der direkten Demokratie natürlich mit Bedacht einzusetzen und zu verankern, so gibt es ja für Bürgerbegehren bereits sinnvolle Verfahrenshürden. Unerlässlich ist aber eine Volksabstimmung beispielsweise bei Dingen wie der EU-Verfassung oder gleichwertigen Verträgen, denn für eine solche Entscheidung ist das den Repräsentanten gegebene Mandat nicht ausreichend. Es ist doch unfaßbar, dass hier aktuell offensichtlich gegen den Willen der Mehrheit der EU-Bürger versucht wird, die Zukunft der EU zu gestalten. Es darf keinen Automatismus geben, schliesslich werden wir ja nicht von einer besserwissenden Elite regiert, sondern von Menschen, die die gleichen Schwächen haben wie jeder Bürger auch.
Regionale Volksentscheide sind aus meiner Sicht ein wichtiges Element der Subsidiarität, zentral sollte so wenig wie möglich entschieden werden. EU-weit hielte ich Volksentscheide zu Grundsatzentscheidungen wie der EU-Erweiterung oder dem Verfassungsvertrag für sinnvoll. Sicher gibt es auch Fragestellung, die beispielsweise nur Details betreffen, bei denen es keinen Sinn macht Volksentscheide durchzuführen. Insgesamt ziehe ich aber die offene Debatte in der Bevölkerung dem status quo des Hinterzimmerlobbyismus bei Richtungsentscheidungen allemal vor.
Mit freundlichen Grüßen,
Jens Seipenbusch