Frage an Jens Kerstan von Sofia S. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Kerstan,
eine Frage habe ich vergessen und möchte ich an dieser Stelle nachträglich ergänzen:
Wie soll die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler bei Abschaffung der 3 Schulformen aussehen? Der Ansatz, allen Schülern die gleichen Möglichkeiten zu geben, ist sicherlich richtig, aber ich weiß nicht, ob in der Durchführung nicht unterm Strich weniger dabei herauskommt. Lehrerinnen und Lehrer werden heutzutage mit viel zu überfüllten Klassen belastet. Wie soll eine Förderung der leistungsstärkeren Kinder gestalt annehmen, wenn es den Anschein hat als sei das Engagement für lernschwächere Schüler von größerer Notwendigkeit? Kommen nicht eher beide Lerngruppen, starke und schwache, in einer solchen Schulform wie der Gesamtschule zu kurz? Ich freue mich über Anwort.
Beste Grüße
Sofia Shaw
Liebe Sofia Shaw,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die schwachen Schüler kommen nicht automatisch zu kurz - es gibt einen schönen Ausspruch von einem schwedischen Lehrer, der sagt: Der beste Lehrer für einen Schüler ist ein anderer Schüler, denn beim Erklären lernt man am besten. In diesem Sinn arbeiten auch Schulen in Hamburg: Die Schülerinnen und Schüler sind in Teams eingeteilt und haben einen Chef. Bevor ein Kind die Lehrkraft fragt, geht sie zur Chefin oder zum Chef - das funktioniert! Da alle Kinder Stärken haben - wird jeder einmal Chef. Es gibt darüber hinaus weitere gute Konzepte, wie die individuelle Förderung gestaltet und wie die Lernprozesse jeder einzelnen Schülerin und jedes einzelnen Schülers unterstützt werden können.
Die wissenschaftliche Evaluation der integrierten Haupt- und Realschulen in Hamburg (IHR) hat eindrucksvoll bestätigt, dass "schnell" und "langsam" Lernende individuell gefördert und gefordert, aber nicht getrennt und sortiert werden sollten. Die "Hauptschülerinnen" und "Hauptschüler" waren demnach besser als die in getrennten Hauptschulen - ohne dass die "Realschülerinnen" und "Realschüler" schlechter wurden. In unserem Reformschulatlas gibt es Schulen, die bereits so arbeiten (z.B. Grundschule der Max-Brauer-Schule oder Grundschule Rellinger Straße. Im Atlas finden sich auch andere Beispiele, wie integriert gearbeitet wird. Wenn Sie sich weiter informieren möchten: http://www.gal-fraktion.de/cms/files/dokbin/73/73410.reformschulatlas_fuer_eine_neue_hamburge.pdf.
Auch zu den Ressourcen bzw. zu den großen Klassen ein Wort: Gute Schule kostet Geld. D.h. wir müssen auch bereit sein, Bildung einen hohen Stellenwert bei den Ausgaben einzuräumen. Dafür muss im Bildungssystem umgeschichtet werden, denn Geld ausgeben geht intelligenter: Je mehr Schülerinnen und Schüler sitzen bleiben, desto teurer wird´s. Allein in Hamburg kostet das Sitzen bleiben über 20 Mio. Euro im Jahr. Dafür könnten wir 380 junge Lehrerinnen und Lehrer einstellen oder 25 neue Ganztagsschulen ausstatten. Einzelne Reformen müssen mit zusätzlichen Ressourcen angeschoben werden. Wir haben dazu gerade für die Vorschule und die Grundschule auch finanzielle Vorschläge gemacht, diese können Sie einsehen unter http://www.gal-fraktion.de/cms/files/dokbin/53/53499.181368_antrag_haushaltsplanentwurf_20052.pdf. Statt nur in Glitzer-Projekte muss die Stadt in die Entwicklung junger Menschen investieren. Jede Million, die wir nicht vergraben, sondern in die Bildung stecken, ist eine gewonnene Million.
Unsere Idee "9 macht klug" (www.9machtklug.de) ist eine Vision, die sich nicht in ein, zwei Jahren umsetzten lässt - doch machen wir uns schon jetzt mit Eltern, Schülern und Lehrern auf den Weg.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Kerstan