Frage an Jens Kerstan von Jakob B. bezüglich Bildung und Erziehung
Wie stehen Sie zum dem Widerspruch Ihrer Partei im Berich Forschung? Einerseits beschränkt sie Gen- und Stammzellenforschung, während sie andererseits eine Stärkung und Ausweitung der deutschen Forschung fordert.
Zwar warnt sie vor Missbrauch, doch empfinde ich es als naiv, eine Einschränkung der Missbrauchsgefahr dadurch erreichen zu können, indem man jegliche Forschung in Deutschand verbietet, was zudem den Forschungsstandort Deutschland negativ beeinflusst. Schließlich ist die Gen- und Stammzellenforschung in anderen Ländern erlaubt.
Danke für Ihre Antwort und mit freundlichen Grüßen
Jakob Blatz
Sehr geehrter Herr Blatz,
vielen Dank für Ihre Frage.
Wir Grünen sehen in der modernen Biomedizin große Potenziale, aber es gibt auch klare Grenzen. Wir wollen die vielfältigen Ängste und Hoffnungen der Menschen bei unseren Entscheidungen berücksichtigen. Die einen befürchten eine nicht menschengerechte Hochleistungsmedizin, die anderen hoffen auf neue medizinische Durchbrüche, zum Beispiel in der Stammzellforschung. Viele Menschen sorgen sich auch, nicht mehr von neuen medizinischen Vorsorgeleistungen profitieren zu können, weil sie zu teuer sind. Darum ist für uns auch nicht jeder biomedizinische Fortschritt gleichzeitig ein humaner Fortschritt. Unser Leitprinzip in der Biomedizin lautet "Lenken, nicht bremsen". Es muss abgewägt werden zwischen Fortschritt und Fehlentwicklung, zwischen einseitigen Antworten und vielfältigen Lösungen. Menschenwürde und Menschenrechte nehmen wir wichtiger als Forschungs- und Verwertungsinteressen. Darum lehnen wir fremdnützige Forschung an so genannten "Nichteinwillungsfähigen", z.B. Wachkomapatienten oder Menschen mit Behinderungen, genauso ab wie die verbrauchende Embryonenforschung und jegliches Klonen von Menschen. Zellen und Geweben sind keine Ware, auch nicht für die biomedizinische Forschung.
Eine Änderung der Gesetzeslage zur embryonalen Stammzellforschung ist aus unserer Sicht nicht notwendig. Deutschland hat mit seiner vorsichtigen Linie, die Forschung erlaubt, aber Tötung von Embryonen zu Forschungszwecken verhindert, in der Stammzellforschung weltweit gesehen eine gute Position. Deutsche Stammzellforscher werden mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten sehr häufig zitiert. Es ist nicht in Ordnung, eine Lockerung des Stammzellgesetzes damit zu begründen, dass die in Deutschland für die Grundlagenforschung erlaubten Stammzelllinien für eine mögliche therapeutische Anwendung nicht geeignet wären. Auch die wissenschaftliche Seite bezweifelt stark, dass die embryonale Stammzellforschung jemals aus der Grundlagenforschung herauskommt und zur Entwicklung von Therapien führen wird. Dazu kommt das hohe Krebsrisiko wegen verunreinigter embryonaler Stammzelllinien. Schon allein deshalb verbieten sich Experimente am Menschen, und zwar weltweit, nicht nur in Deutschland. Die so genannte "adulte Stammzellforschung", also die Forschung an Stammzellen, die von Erwachsensen stammen, kann erste therapeutische Erfolge vorweisen und sollte stärker unterstützt werden.
Leider konnte wegen der vorgezogenen Neuwahlen das Gendiagnostik-Gesetz nicht mehr in den Bundestag eingebracht werden. Wir wollen, dass der Umgang mit genetischen Untersuchungen und ihren Ergebnissen gesetzlich geregelt wird. Wir wollen umfassende Aufklärung und Beratung vor der Einwilligung in einen prädiktiven Test. "Prädiktiv" bedeutet, man hat die Möglichkeit, die Anlage zu einer bestimmten Krankheit noch vor Ausbruch klinischer Symptome zu erkennen oder Aussagen zur Wahrscheinlichkeit des Auftretens dieser Krankheit zu machen. Wir lehnen die Weitergabe von Ergebnissen an Versicherungen und im Rahmen von Arbeitsschutzuntersuchungen an Arbeitgeber ab. Deutschland nimmt in der biomedizinischen Grundlagenforschung einen Spitzenplatz ein. Es gibt aber große Defizite bei der patienten- und versorgungsorientierten Forschung. Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass diese Form der biomedizinischen Forschung gestärkt wird. Wir brauchen auch eine ethische Begleitforschung, die unabhängig von direkten Forschungsinteressen ist. Bei der Forschung sind besonders strenge Schutzregeln für abhängige und nicht einwilligungsfähige Menschen vorzusehen. Menschen, die an Forschungsprojekten teilnehmen, haben ein Recht darauf, dass ihre Daten nicht von Dritten missbraucht werden. Zum Schutz der Privatsphäre wollen wir ein Forschungsgeheimnis einführen. Eine anderweitige Nutzung von Forschungsdaten - etwa durch die Polizei - muss ausgeschlossen sein. Forschungsergebnisse sollen hingegen transparent gemacht werden in einem Studienregister, in dem alle begonnenen Studien öffentlich zugänglich sind. Nur Rechtssicherheit und Transparenz schaffen öffentliches Vertrauen - und das ist gut für die Forschung.
Mit freundlichen Grüßen
Jens Kerstan