Frage an Jan Philipp Albrecht von Martin H. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Zitat: "Überraschend scharfe Kritik an neuen Volksabstimmungen und ein klares Nein zu direkter Demokratie auf Kosten Europas kam aus den Reihen der Grünen im Europaparlament. "Plebiszitäre Elemente zu europäischer Politik, die so angelegt sind wie die gestrige Abstimmung, können die EU in ihrem Bestand gefährden", sagte die Fraktionschefin der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, dem Kölner Stadt-Anzeiger.
Die Abstimmung in den Niederlanden habe Schwächen von Referenden aufgezeigt. "Es gab eine Kampagne zur Ablehnung, die mehr gegen alles und jedes da oben in Brüssel gerichtet war." Wegen der geringen Beteiligung hätten insgesamt 18 Prozent der Wahlberechtigten mit Nein gestimmt. Dennoch werde nun ein Abkommen infrage gestellt, "das alle Regierungen der Mitgliedsstaaten und deren Parlamente unterstützten", kritisierte Harms."
Sind die Ausführungen Ihrer Kollegin Frau Harms so zu verstehen, dass Basisdemokratie (ein Kernanliegen der Grünen aus ihrer Gründungszeit) von den Grünen nur noch dann befürwortet wird, wenn das Ergebnis in ihrem Sinne ausfällt?
Sehr geehrter Herr H.,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die Grünen waren stets Befürworter der Europäischen Bürgerinitiative und setzen sich auch weiterhin für das Recht von Bürgerinnen und Bürgern auf direkte Mitsprache im politischen Prozess ein. Nichts anderes gilt daher für die Grünen im Europäischen Parlament. Auch hier fordern wir eine Stärkung der Elemente direkter Demokratie und die Möglichkeit zur aktiven Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, völlig unabhängig davon, ob das Ergebnis dieser Beteiligung in Sinne der Grünen ausfällt.
Rebecca Harms hat zu den von Ihnen zitierten Äußerungen, die zunächst lediglich Ihre eigene Meinung darstellen, selbst noch einmal Stellung bezogen:
"[…] Selbstverständlich stehe ich als Fraktionsvorsitzende der Grünen/EFA im Europäischen Parlament für Demokratie und die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. […] Volksentscheide sind in vielen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein fester Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung. Sie erlauben die direkte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an politischen Entscheidungen und sind ein Instrument einer lebendigen Demokratie. Bei Referenden auf allen lokaler, nationaler oder europäischer Ebene ist es allerdings entscheidend, dass die Bedingungen stimmen. Dazu gehört, dass die Bürgerinnen und Bürger, die um Ihre Meinung gefragt werden, gut und umfassend informiert wurden. […] Die Abstimmung über das EU-Ukraine Assoziierungsabkommen wurde von vielen als Gelegenheit genommen, ihren Unmut über die EU oder Politikerinnen und Politikern insgesamt zum Ausdruck zu bringen. Bewusst wurden falsche Informationen über den Charakter des Abkommens gestreut. Nicht selten wurde es als Vorstufe einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine dargestellt. […] Unter dem fehlenden Mut zur Verteidigung vieler Politikerinnen und Politiker, wenn es um die EU geht, haben auch die Debatten im Vorfeld des niederländischen Referendums gelitten. […] Wenn aber einzelne Mitgliedsstaaten mit Hilfe von Volksentscheiden, die gemeinsam getroffenen Entscheidungen wieder in Frage stellen können, dann wird unsere Handlungsfähigkeit geschwächt. […]. Einigungen zu wichtigen Fragen wie einem gemeinsamen europäischen Asylsystem oder gegen Steuervermeidung und Steueroasen würden noch deutlich schwieriger werden. Wenn in Zukunft europäische Themen zum Gegenstand von Volksabstimmungen gemacht werden, sollte dies im Rahmen europäischer Referenden geschehen, finde ich. Bei Entscheidungen, die alle Europäerinnen und Europäer betreffen, sollten auch alle Europäerinnen und Europäer die Chance haben, ihre Haltung zum Ausdruck zu bringen.[…]" -Stellungnahme Rebecca Harms vom 18. April 2016 zur Volksabstimmungen in der EU
Ich hoffe, dass ich Ihnen weiterhelfen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Jan Philipp Albrecht