Frage an Jan Philipp Albrecht von Gustav W. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Albrecht,
die im Artikel "Reiche Zyprer, arme Deutsche" ( http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/vermoegen-reiche-zyprer-arme-deutsche-12144211.html ) aufgeführte Angaben zu der Reichtumsverteilung innerhalb der EU passen nicht zu dem von der Politik und Medien gepflegten Bild vom reichen Norden und armen Süden innerhab der Europäischen Union. Ich würde mich freuen, wenn Sie Möglichkeit finden zu den im o.g. Artikel formulierten Thesen Stellung zu nehmen. Z.B. zu solchenThesen, wie:
"Die Deutschen werden vom Finanzamt geschröpft" oder "deutsche Politiker ... stricken ... an der Legende einer angeblichen Ausbeutung des armen Südens durch den reichen Norden."
Sehr geehrter Herr Wall,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 10. April 2013.
Der von Ihnen zitierte Artikel bezieht sich auf die Studie der Europäischen Zentralbank (EZB) "The Eurosystem Household Finance and Consumption Survey". Diese Studie ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Sie haben mich um Stellungnahme gebeten, was ich hiermit gerne tun möchte:
Der von Ihnen zitierte Artikel spricht von „repräsentativen und methodisch vergleichbaren Umfragen (der) Vermögen der Euro-Haushalte". Es gibt allerdings zahlreiche Gründe, warum die erhobenen Werte nicht vergleichbar sind. Vermögensgleiche Rechte, wie die Forderungen aus Renten- und Sozialversicherungen und andere staatliche Leistungen, z.B. der Zugang zu kostenloser Bildung, wurden nicht in das Vermögen eingerechnet. In Deutschland trägt das Sozialsystem aber maßgeblich zum hohen Lebensstandard der BürgerInnen bei. Die Notwendigkeit, Vermögen zum Schutz vor Notlagen und zur Altersvorsorge aufzubauen, ist aufgrund dieses gut ausgebauten Sozial- und Rentensystems in Deutschland geringer als in anderen europäischen Ländern. Diese Nichteinbeziehung von Rentenansprüchen wurde in der Studie vernachlässigt und ist der gewichtigste Faktor, warum die Ergebnisse der Länder nicht vergleichbar sind.
In anderen Ländern stellt Immobilienbesitz einen wichtigen Posten der Altersvorsorge dar. In der EZB-Studie ist der Immobilienbesitz ein ausschlaggebender Faktor der Vermögensbemessung. Wie der Wert der Immobilien berechnet wurde, ist jedoch fragwürdig: In der Studie wurde der Wert der Immobilien mit Preisen von 2008 und 2010 berechnet. In den Ländern, die in der Vermögensstudie reich erscheinen, sind die Immobilienpreise in diesen Jahren infolge von Immobilienblasen stark nach oben verzerrt worden. Dadurch steigt das Vermögen der Haushalte künstlich an. In Deutschland hingegen sind die Häuserpreise seit Jahren auf einem stabilen und im europäischen Vergleich niedrigen Niveau und fließen weniger stark in die Vermögensbemessung ein.
Zudem haben sich die EZB bei der Bemessung der einzelnen Vermögensbestandteile auf die freiwilligen Angaben der Befragten verlassen. Die befragten Haushalte mussten den Wert ihres Vermögens selbst einschätzen – diese Angaben wurden nicht weiter überprüft. Es ist daher gut möglich, dass manche unter- und andere übertrieben haben. Die Daten sind daher nur wenig aussagekräftig.
Ein weiterer Schwachpunkt der Studie ist die Bemessung des Vermögens nach Haushaltsgröße. Deutschland hat im Vergleich doppelt so viele Singlehaushalte wie einige südeuropäische Länder. Das ist auch ein Grund für das vermeintlich schlechte Ergebnis Deutschlands. Laut Studie steigt das Vermögen, je größer der Hauhalt ist. Aufgeschlüsselt nach Einzelpersonen ist das Netto-Vermögen der Nordeuropäer allerdings höher.
Außerdem wurde in der Umfrage nach Wohnsitz und nicht nach Staatsangehörigkeit unterschieden. Das Vermögen reicher Unternehmen, die sich z.B. auf Zypern niedergelassen haben, fließt somit in das durchschnittliche Vermögen der Zyprioten ein und erhöht dieses.
Die aufgestellten Thesen aus dem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung halte ich aufgrund oben aufgeführter Erklärungen für falsch. Die EZB-Vermögensstudie liefert Ergebnisse, die nicht international vergleichbar sind. Die ihr zugrundeliegenden Annahmen verfälschen ihr Ergebnis grob. Traurige Bilanz ist, dass die sich dadurch entwickelnde Polemik die öffentliche Debatte um die Eurorettungsmaßnahmen weiter vergiftet.
Mit freundlichen Grüßen
Jan Philipp Albrecht
Weiterführende Links:
http://www.sven-giegold.de/2013/vermogensstudie-der-ezb-rechnet-die-deutschen-armer-als-sie-sind/