Warum unterstützen Sie den wahrscheinlich verfassungswidrigen Gesetzesentwurf zur Sterbehilfe?
2020 urteilte das BVerfG, dass jede/-r Bürger/-in ein Recht auf freiwillige Selbsttötung mit Hilfe Dritter hat.
Leider unterstützen Sie einen Entwurf, der dieses Urteil ignoriert.
Sie können es nicht ändern: Bürger/-innen machen von ihrem Recht auf Selbstbestimmung Gebrauch. Kriminalisierung treibt sie dabei zum Schwarzmarkt und unregulierten gefährlichen Suizidmethoden, die den Schmerz, den Sterbewillige vor und während der Selbsttötung erfahren, erhöhen, sowie das Risiko des Fehlversuchs mit folgendem Leben mit Behinderung steigern. Kranke Menschen werden schon vor der Wartezeit eines unerträglich schmerzhaften natürlichen Todes sterben, weil sie nicht rechtzeitig Zugriff zu schmerzfreien Medikamenten haben. Und nur Wohlhabende werden sich einen würdevollen Tod leisten können, da die Kosten einer Freitodbegleitung in der Schweiz ca. 10000€ betragen.
Ich frage Sie deshalb: wieso unterstützen Sie diesen antiliberalen Gesetzesentwurfs, der weltanschaulich ins letzte Jahrtausend gehört?
Sehr geehrter Herr T.,
zunächst möchte ich mich für Ihre Frage bedanken.
Die Debatte rund um die Suizidassistenz ist angesichts des sensiblen Themenbereichs durchzogen von individuellen Erfahrungen und Ansichten. Ich kann Ihnen versichern, dass auch mir der Entscheidungsprozess nicht einfach gefallen ist.
Ich habe mich aber letztendlich dafür entschieden, den eingereichten Gesetzesentwurf zu unterstützen. Dieser stellt eine strafrechtliche Lösung in Aussicht, die sowohl das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen als auch die staatliche Schutzpflicht des Lebens berücksichtigt.
Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Februar 2020 wurde ein weiteres Mal deutlich, dass der Umgang mit Suizidassistenz den Gesetzgeber vor eine besondere Herausforderung stellt.
Grundsätzlich habe der Staat die Pflicht das Selbstbestimmungsrecht jedes Individuums zu sichern, so das Gericht. Der Schutz des Selbstbestimmungsrechts erstreckt sich allerdings nicht nur die Möglichkeit, überhaupt Suizidassistenz in Anspruch nehmen zu können. Darunter ist vielmehr auch die Sicherstellung zu verstehen, dass suizidwillige Personen aus freiem Willen handeln. Niemand darf durch inneren oder äußeren Druck zum Suizid gedrängt oder ermuntert werden. Es soll in diesem Zusammenhang gerade verhindert werden, dass sich Menschen aus der Angst, anderen zur Last zu fallen, aus Einsamkeit oder infolge mangelnder Beratung oder Unterstützung gedrängt fühlen, Suizidassistenz in Anspruch zu nehmen.
Dem Schutz des Lebens kommt in unserer Verfassung gerade ein besonders hoher Stellenwert zu. Daraus lässt sich für den Staat der Handlungsauftrag ableiten, eine gesetzliche Grundlage für Sicherungsmechanismen zu schaffen, die der Sicherstellung der Selbstbestimmung dient, ohne dabei einer Normalisierung der Hilfe zur Selbsttötung Vorschub zu leisten.
Eine interfraktionelle Gruppe hat sich dieser Herausforderung angenommen und den hier thematisierten Gesetzesentwurf zur Regulierung des assistierten Suizids erarbeitet.
In dem Gesetzentwurf ist insbesondere die Förderung von Maßnahmen vorgesehen, die der Suizidprävention dienen. So sollen leicht erreichbare, interdisziplinäre, alters- und zielgruppenspezifische Beratungs- und palliativmedizinische Angebote geschaffen und ausgebaut werden. Angebote des assistierten Suizids sollen für Betroffene gerade nicht leichter zugänglich sein als beispielsweise solche zur palliativen Versorgung, zu fürsorgender guter Pflege im Alter oder Hilfe in psychischen und psychosozialen Krisen. Suizidprävention ist elementar!
Ein Schweizer-Modell wird deswegen ausdrücklich abgelehnt. Es darf weder eine staatliche Infrastruktur zur Suizidförderung noch ein Gütesiegel für Sterbehilfe-Vereine geben. Der assistierte Suizid sollte angesichts der Absolutheit der Entscheidung immer nur in Ausnahmefällen möglich sein.
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Zulässigkeit der Suizidassistenz soll der überarbeitete § 217 StGB vorgeben. Vor dem Hintergrund der aktuellsten Erkenntnisse der Suizidforschung wird bei den Voraussetzungen der Suizidassistenz ein Schwerpunkt auf die Feststellung der Freiverantwortlichkeit der Willensentscheidung gelegt. Grund dafür ist die Tatsache, dass nur bei einem geringen Anteil der Sterbewilligen tatsächlich ein freiverantwortlicher Entschluss zur Selbsttötung vorliegt. In dem Entwurf sind daher für eine Straffreiheit der Suizidassistenz konkrete Schutzmechanismen wie Wartefristen, die zweifache psychiatrische Feststellung der freien Willensbildung, ein Mehraugenprinzip sowie eine umfassende Beratung vorgesehen. Eine Suizidhilfe bei Kindern und Jugendlichen ist darüber hinaus in jedem Fall ausgeschlossen.
Mit der Einführung eines entsprechenden § 217 StGB kann dementsprechend gewährleistet werden, dass die geschäftsmäßige Suizidassistenz nur unter Einhaltung eines wirksamen Schutzkonzepts möglich ist.
Dieser strafrechtliche Lösungsansatz teilt meine volle Zustimmung.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen meine Ansicht zu diesem sensiblen Thema in nachvollziehbarer Art und Weise darlegen.
Ich wünsche Ihnen in diesen schweren Zeiten alles Gute und viel Gesundheit.
Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil