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Hubertus Heil
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Frage von Rainer W. •

Warum fangen Sie nicht an, zu verhindern, das Unternehmen in Deutschland immer mehr arbeitslose ältere Kolleg*innen produzieren, z. B im Zeichen der Elektrifizierung in der Automobilindustrie?

Sehr geehrter Herr Bundesminister Hubertus Heil,
Sie fordern die Unternehmen auf, ältere Beschäftigte nicht aufs Abstellgleis zu schieben. "Der Fachkräftemangel droht zur Wachstumsbremse zu werden" . Aktuell laufen wieder Abfindungswellen besonders in der Automobilindustrie, wo die Mittfünfziger beworben werden. Das konterkariert doch mit dem Fachkräftemangel, der so oft propagiert wird in der Politik.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr W.,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Bitte lassen Sie mich hier etwas weiter ausholen.  

Bei dem von Ihnen beschriebenen Umstand handelt es sich um das Phänomen des „Fachkräfteparadoxes“. Dies beschreibt die Situation, dass (neue) Stellen wegen Fachkräfteengpässen unbesetzt bleiben, während vorhandenes Fachpersonal nicht mehr weiterbeschäftigt werden kann, weil sich durch den Strukturwandel die Nachfrage und Anforderungen an die Qualifikationen und Kompetenzen des Personals geändert haben. Dieses Paradox ist in vielen Bereichen unserer Arbeitswelt zu beobachten. Die Automobilwirtschaft ist hierfür ein gutes Beispiel, da hier durch Prozesse wie den Umstieg von Verbrennungs- hin zu Elektroantrieben ebenso wie die fortschreitende Digitalisierung stark veränderte Qualifizierungsprofile von den Beschäftigten gefordert werden.

Dieses Paradox zu bekämpfen steht im Zentrum vieler seitens des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) und der Bundesregierung angeschobener Maßnahmen. Die Bundesregierung hat dafür im Herbst letzten Jahres ihre Fachkräftestrategie neu aufgestellt. Insgesamt nennt die Fachkräftestrategie fünf zentrale Handlungsfelder, wie wir mehr Fachkräfte gewinnen wollen: eine zeitgemäße Ausbildung, gezielte Weiterbildung, Arbeitspotenziale wirksamer heben und Erwerbsbeteiligung erhöhen, Arbeitsqualität und -kultur verbessern sowie eine moderne Einwanderungspolitik gestalten und Abwanderung reduzieren.

Der Schwerpunkt „gezielte Weiterbildung“ wird konkret in der Nationalen Weiterbildungsstrategie aufgegriffen. Im ihrem Rahmen haben wir gemeinsam mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und weiteren 15 Partnern (u.a. Sozialpartner, Bundesagentur für Arbeit, etc.) konkrete Ziele in der Weiterbildungspolitik gesetzt. So soll beispielsweise insbesondere bei Beschäftigten von kleinen und mittleren Unternehmen und Geringqualifizierten die Beteiligungsquote an Weiterbildung erhöht werden. Mit dem Bundesprogramm „Aufbau von Weiterbildungsverbünden“ fördert das BMAS bundesweit 53 Verbünde, um die Weiterbildungsbeteiligung insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen zu erhöhen. Mit den Weiterbildungsverbünden werden regionale Netzwerke von Weiterbildungsakteuren aufgebaut, Bedarfsanalysen zum Thema Weiterbildung vor Ort durchgeführt und passgenaue Weiterbildungsangebote konzipiert.

Die zweite Förderrichtlinie richtet sich dabei explizit an die Fahrzeugindustrie. Mit der Nationalen Online Weiterbildungsplattform (NOW) wollen wir die Vielfalt an Akteuren, Angeboten und Fördermöglichkeiten im Bereich der beruflichen Weiterbildung transparenter machen. Dies betrifft insbesondere Informationen zu Berufen, Beratungs- und Fördermöglichkeiten sowie Weiterbildungsangebote. Die Plattform soll Nutzer*innen somit bei der Erschließung beruflicher Entwicklungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten unterstützen und zur Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland beitragen.

Durch das Qualifizierungschancengesetz und Arbeit-von-Morgen-Gesetz wurde die Weiterbildungsförderung insbesondere von Beschäftigten, die vom Strukturwandel betroffen sind oder eine Weiterbildung in einen Engpassberuf anstreben, erheblich ausgeweitet. Mit dem am 23. Juni vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Weiterbildungsgesetz öffnen wir die Weiterbildungsförderung Beschäftigter, reduzieren die Komplexität der Förderleistung und verbessern die Förderkonditionen, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Das zudem eingeführte Qualifizierungsgeld unterstützt Betriebe, die insbesondere von der Transformation betroffen sind, ihre Beschäftigten durch gezielte Qualifizierung im Betrieb als Fachkraft halten zu können. Durch solche Maßnahmen sollen wirksame Beiträge zur Linderung des oben beschriebenen Fachkräfteparadoxes geleistet werden.

Um ältere Beschäftigte als Fachkräfte zu gewinnen und zu halten, ist eine alterns- und altersgerechte Arbeitswelt die Voraussetzung. Dies gelingt mit einer mitarbeiterorientierten Unternehmenskultur, die alle Beschäftigten in ihren jeweiligen Lebensphasen und Hintergründen einbindet und gleichermaßen teilhaben lässt. So können Beschäftigte möglichst lange gesund, qualifiziert und motiviert ihrer Arbeit nachgehen. Genau hier setzt das BMAS mit der Initiative „Neue Qualität der Arbeit“ (INQA) an. INQA unterstützt insbesondere KMU mit zahlreichen Angeboten auf dem Weg zu einer mitarbeiterorientierten Unternehmenskultur, in der Beschäftigte jeden Alters sich mit ihren Fähigkeiten und Erfahrungen einbringen können.

Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil

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