Jobcenter: müssen 25-jährige Hochschulabsolventen und 60-jährige Arbeitslose die gleiche verpflichtende Maßnahme absolvieren?
Sehr geehrter Herr Heil
ich würde gerne mehr über die verpflichtenden Maßnahmen des Jobcenters erfahren. Könnten Sie mir bitte mitteilen, ob diese Maßnahmen für alle Bürger gelten und ob sie von allen Betroffenen in Anspruch genommen werden müssen? Falls nicht, welche Schritte werden unternommen, wenn jemand sich weigert, an diesen Maßnahmen teilzunehmen?
Des Weiteren würde ich gerne verstehen, was der Zweck dieser verpflichtenden Maßnahmen ist. Werden Hochschulabsolventen und Migranten in dieselben Maßnahmen einbezogen? (Ukrainer)
Zusätzlich würde ich gerne wissen, welche gesetzlichen Grundlagen das Jobcenter für diese verpflichtenden Maßnahmen heranzieht und ob es gesetzliche Bestimmungen gibt, die dem widersprechen.
Darüber hinaus interessiert mich, warum es keine Unterstützungsleistungen oder Programme für Hochschulabsolventen gibt und warum keine Praktika oder Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten werden,
MfG Th.W.
Sehr geehrter Herr W.,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Die Jobcenter unterstützen alle erwerbsfähigen Bürgergeld-Beziehenden unabhängig von beispielsweise Alter, Bildungsstand oder Herkunft bei der (Wieder-) Eingliederung in das Erwerbsleben. Insgesamt steht den Jobcentern für ihre Beratungstätigkeit dabei eine breite Palette an Unterstützungsangeboten zur Verfügung: Es gibt die Arbeitsvermittlung, passgenaue Eingliederungsleistungen bspw. Aus- und Weiterbildung mit finanziellen Anreizen, Coaching und Zugang zu kommunalen Hilfen in besonderen Problemlagen (zum Beispiel Schuldner- und Suchtberatung).
Nicht jede Leistung kommt dabei jedoch für jeden in Frage. Eingliederungsleistungen müssen darauf abgestimmt sein, was der Einzelne benötigt und sie müssen zielführend sein. Für Bürgergeld-Beziehende mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium, ebenso wie für Bürgergeld-Beziehende mit Migrationshintergrund (die selbstverständlich auch ein abgeschlossenes Hochschulstudium haben können), stehen demnach grundsätzlich vielfältige Eingliederungsleistungen zur Verfügung, wenn sie die individuelle Chance zur Eingliederung in Arbeit verbessern und damit Hilfebedürftigkeit vermieden, beseitigt, verringert oder verkürzt werden kann.
Werden Eingliederungsleistungen zur Heranführung an bzw. zur Eingliederung in Arbeit von Jobcenter und Bürgergeld-Beziehenden als zielführend erachtet, werden sie im Kooperationsplan festgehalten. Der Kooperationsplan baut dabei auf den Erkenntnissen aus der Potenzialanalyse auf. Mit dieser werden Stärken, Interessen und Potenziale für Verbesserungen in der Qualifikation und Berufsorientierung ermittelt, die für das Ziel einer möglichst nachhaltigen Überwindung von Hilfebedürftigkeit wichtig sind.
Grundsätzlich gilt: wer Leistungen des Staates in Anspruch nimmt, der muss umgekehrt aktiv daran mitwirken, finanziell möglichst schnell wieder auf eigenen Beinen stehen und den Lebensunterhalt oder wenigstens einen Teil davon (wieder) selbst verdienen zu können. Das ist sozial gerecht und im Interesse der Gesellschaft, aber auch im Interesse der Bürgergeld-Berechtigten selbst.
Das bedeutet, dass grundsätzlich alle Menschen, die Bürgergeld erhalten, verpflichtet sind, auf der Grundlage des Kooperationsplan mitzuwirken - also beispielsweise jede zumutbare Arbeit aufzunehmen bzw. an jeder zumutbaren Maßnahme teilzunehmen. Lehnen Bürgergeld-Beziehende eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne wichtigen Grund ab (sogenannte Pflichtverletzung, § 31 SGB II) oder erscheinen ohne wichtigen Grund nicht zu vereinbarten Terminen (sogenanntes Meldeversäumnis, § 32 SGB II), dann müssen sie mit einer Minderung des Bürgergeldes rechnen. Bei einem Meldeversäumnis wird das Bürgergeld für einen Monat um zehn Prozent gemindert. Bei einer Pflichtverletzung wird das Bürgergeld zunächst um zehn Prozent für einen Monat, bei einer zweiten Pflichtverletzung für zwei Monate um 20 Prozent und ab dem dritten Mal für drei Monate um 30 Prozent gemindert. Das Bürgergeld darf in Summe höchstens um 30 Prozent des Regelbedarfes gemindert werden.
Die Integration von Geflüchteten - Sie haben hier insbesondere Geflüchtete aus der Ukraine angesprochen - ist eine besondere Herausforderung. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die Bundesagentur für Arbeit setzen daher aktuell mit dem sogenannten Jobturbo eine Reihe von Maßnahmen um, mit dem Ziel, die Integrationsverläufe für Geflüchtete zu beschleunigen. Die Maßnahmen richten sich an alle Geflüchteten, nicht ausschließlich an diejenigen, die aus der Ukraine zu uns geflüchtet sind. Nach einer ersten Phase der Orientierung und des Erlernens der deutschen Sprache gilt es jetzt mit dem „Jobturbo“ mehr Geflüchtete nach dem Integrationskurs in Arbeit zu bringen und parallel dazu auf den Ausbau sprachlicher und fachlicher Kompetenzen zu setzen.
Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil, MdB