Frage an Hubertus Heil von Manfred E. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Heil,
die meisten Politiker und die Mainstream - Medien suggerieren uns weiterhin unverhohlen, dass die Finanzkrise aus den USA importiert und plötzlich und unerwartet über Deutschland hereingebrochen ist.
Diese Verlautbarungen wurden auch dann nicht relativiert, als bekannt wurde, dass bereits 2003 das Thema faule Vermögenswerte, toxische Finanzinstrumente, Bad Bank etc. Gegenstand eines geheimen Treffens mit Bundeskanzler Schröder, Finanzminister Eichel, Wirtschaftsminister Clement und Spitzenvertretern der deutschen Finanzwelt war.
Dieses Treffen wurde durch eine Indiskretion bekannt. Es wurde darüber unter anderem im Handelsblatt berichtet, d.h. die sichtbaren Risiken in der Finanzwelt und das sich daraus abzeichnende Szenarium war bereits vor 6 Jahren der rot-grünen Regierung und der Finanzwelt sehr wohl bekannt und nun zu meinen Fragen:
Was hat die rot-grüne Regierung und in der Fortsetzung die SPD/CDU- Koalition seit 2003 unternommen, um das heutige Desaster zu vermeiden oder zu entschärfen?
Wie beurteilen Sie die Mitverantwortung der Regierung – bei einer selbstkritischen Betrachtung - an der derzeitigen Finanzkrise?
Wie wollen Sie das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger und vor allem die Glaubwürdigkeit der SPD bis zur Wahl in Anbetracht der seit 2003 bekannten Erkenntnisse zurückgewinnen?
Dass die Globalisierung ein Gegensteuern für die deutsche Wirtschaft nicht ohne Nachteile möglich gemacht hat, ist in Anbetracht des jetzigen Desasters keine unbedingt professionelle Antwort. Vergessen werden sollte dabei nicht, die rot-grüne Regierung und in der Fortsetzung auch die große Koalition haben die Deregulierung und Liberalisierung der Finanzwelt auch nach 2003 extrem vorangetrieben.
Mit freundlichen Grüßen
Manfred Ehrich
http://www.handelsblatt.com/archiv/bad-banks-bewaehren-sich-in-schweren-zeiten;605696
http://www.handelsblatt.com/archiv/bad-bank-sorgt-fuer-aufregung;606003
Sehr geehrter Herr Ehrich,
vielen Dank für Ihre Anfrage auf abgeordnetenwatch.de, auf die ich Ihnen gerne antworten möchte.
Dass Deutschland in dieser weltweiten Krise noch vergleichsweise gut dasteht, ist nicht zuletzt auch Verdienst der Politik der letzten zehn Jahre. Wir haben vergleichsweise geringe Arbeitslosenzahlen, gefüllte Sozialkassen und einen soliden Staatshaushalt, den wir in den letzten Jahren systematisch konsolidiert haben. Wir haben die gute wirtschaftliche und konjunkturelle Situation in Deutschland zum Aufbau neuer Arbeitsplätze genutzt. Niemals gab es in Deutschland so viele Beschäftigte wie Ende 2008 - über 40 Millionen Erwerbstätige und rund 28 Millionen sozial versicherungspflichtige Beschäftige.
Die Finanzmarktkrise, wie wir sie in den letzten Monaten erfahren haben, eröffnet uns neben den gewaltigen Herausforderungen auch neue Chancen. Nichts wird mehr so sein wie vorher. Es wird künftig eine neue Balance zwischen Markt und Staat geben. Wir müssen lernen und begreifen auf der Welt, dass die Finanzindustrie - das Geld - Regeln braucht, nach denen sie funktioniert, und zwar solche Regeln, die den Ansprüchen des Sozialen und Demokratischen auch genügen. Die ordnungspolitische Vorstellung von ungezügelter Deregulierung hat sich längst überholt. Jetzt machen wir die Erfahrung: Das stimmt nicht. Die SPD hat marktradikale Vorstellungen nie unterstützt. In sozialdemokratischer Tradition steht die Idee der organisierten Solidarität, die eng zu tun hat mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie. Das ist letztlich die Antwort, die in unsere Zeit passt.
Für die politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Krise gab es keine Blaupausen. Ich glaube aber, dass der Bankenschutzschirm unzweifelhaft notwendig gewesen ist, weil andernfalls beispielsweise auch Sparkassen oder betriebliche Rentenversicherungen in den Abgrund gerissen worden wären.
Nach dem Rettungsschirm für den Finanzmarkt war es folgerichtig, ein Maßnahmenpaket für Beschäftigung zu schnüren. So haben wir im November das erste ausdrückliche Konjunkturpaket in Höhe von rund 30 Mrd. Euro beschlossen. Das zweite Konjunkturpaket, das am 13. Februar 2009 im Bundestag beschlossen wurde, hat einen Umfang von rund 50 Mrd. Euro.
Alle drei Maßnahmen werden mit dazu beitragen, dass die Konjunktur in Deutschland bald wieder in Gang kommt, Arbeitsplätze gesichert und Qualifizierung gefördert wird. Vor allem mit den beiden Konjunkturpaketen, die mit rund 80 Mrd. Euro die größten in der Geschichte der Bundesrepublik sind, wird uns das gelingen.
Aber das allein wird nicht ausreichen. Jeder von uns hat Interesse an einem funktionierenden, stabilen Finanzsystem in Deutschland. Deshalb geht es jetzt vor allem darum, Maßnahmen zu ergreifen, um eine solche Krise in Zukunft zu vermeiden. Künftig darf es weltweit keinen Finanzmarkt, keinen Finanzmarktteilnehmer und kein Finanzprodukt geben, das nicht reguliert ist.
Außerdem müssen die Anreizsysteme unter die Lupe genommen werden: Es kann nicht sein, dass Banker, die erwiesenermaßen keinen Erfolg gehabt haben, dann auf Boni in zweistelliger Millionenhöhe klagen. Zudem brauchen wir internationale Einrichtungen, Institutionen und Frühwarnsysteme in der Bankenaufsicht. Es gibt internationale Verkehrsregeln im Flugverkehr, im Bereich der Arzneimittel und einige mehr. Warum ausgerechnet für Finanzmärkte nicht?
Die Soziale Marktwirtschaft ist eines der erfolgreichsten Ordnungsmodelle, die wir in Deutschland je gehabt haben. Was wir jetzt brauchen, ist eine Überholung, eine Renaissance im neuen Jahrzehnt. Die richtigen und zeitgemäßen Antworten können dabei nicht von Befürwortern marktradikaler Positionen gegeben werden, sondern von denen, die an der Bedeutung des Sozialstaates, der Sozialen Marktwirtschaft und Gesellschaft keine Zweifel haben.
Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil