Frage an Hubertus Heil von Hans J. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Lieber Herr Heil
Ihre Interpretation der repräsentativ demokratischen Verwaltungsform unserer Republik ist durchaus den Begebenheiten entsprechend.
Jedoch möchte ich als erste an Sie gerichtete Frage gerne wissen, ob denn die Sichtweise, dass die Ausgestaltung unserer Repräsentativen in jedem Falle so bleiben muss wie sie gegenwärtig ist, nicht vorurteilsbehaftet ist? Wo wären wir heute, wenn wir in der Vergangenheit jeden entwickelten Vorschlag mit der Begründung "das war immer so und muss deshalb so bleiben" verhindert hätten?
Natürlich, da gebe ich Ihnen recht, entwickelt jede entscheidendungskompetente Instanz einen gewissen Despotismus; ob denn nun der Depotismus einer kleinen oder grossen Instanz zu bevorzugen sei, ist dann wohl eine Frage, in wie weit denn individuelles Vertrauen in eine demokratische Verwaltungsform vorhanden ist. Würden sie einem demokratisch entscheidenden Staatsoberhaupt (also alle Staatsglieder) Vertrauen schenken?
Sicherlich ist es so, dass die (Teil)Repräsentative auf Grundlage der Fläche unserer Republik und der Masse an Staatsgliedern eine schlichte Notwendigkeit ist, die durch eine ebenso auslegunsfähige föderale Ordnung Vollendung finden sollte. Was denken Sie, wo die feststellbare Neigung des Saatsoberhauptes zu direkter Entscheidungsteilhabe, die ergo eine Missbilligung der ausschließlichen Repräsentativen darstellt, ihre Gründe findet?
Denken Sie, dass eine Partei, die im Optimalwahl(der gegenwärtigen Ordnung entsprechend) einen Alleinregierungsauftrag erhält, dem Gemeininteresse entsprechen kann, oder denken Sie, dass eine Partei eher eine Art private Körperschaft darstellt?
Würden Sie eine Ordnung unterstützen, in der die Parteien in ihren Einfluss an der Stelle einer Machtbeschränkung unterliegen, an der die verhältnismäßige Verteilung von Sitzen im Bundestag festgelegt ist und in der direkt gewählte Personen aus den Parteien heraus dem Verhältnis entsprechend eine Regierung bilden müssen?
mit solidarischen Grüßen
Hans Janosch
Sehr geehrter Herr Janosch,
vielen Dank für Ihre Frage an mich auf abgeordnetenwatch.de, auf die ich Ihnen gerne antworten möchte.
Zunächst einmal verweise ich auf meine Antwort an Herrn Ohl auf dieser Seite. Hier habe ich bereits meine Ansichten in Bezug auf die direkte Demokratie und plebiszitäre Elemente im politischen System unseres Landes dargelegt.
Meiner Meinung nach ist das gegenwärtige politische System der Bundesrepublik mit seinem zugrundeliegenden Grundsatz der repräsentativen Demokratie trotz aller Einwände der bisher beste und erfolgreichste Weg für unser Landes. Natürlich könnte dieses Modell irgendwann geändert werden. Momentan verhindert die in Artikel 79 Abs. 3 Grundgesetz (GG) verankerte Ewigkeitsklausel grundlegende Veränderung der Strukturprinzipien in Artikel 20 GG (Republik, Demokratie, Bundesstaat, Rechtsstaat und Sozialstaat). Mit dieser Regelung wollte der Parlamentarische Rat den Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus gerecht werden und neben den naturrechtlichen Grundsätzen der Artikel 1-19 GG auch die strukturellen Prinzipien unseres Landes mit einer zusätzlichen Sicherung versehen. Die Bezeichnung Ewigkeitsklausel ist dabei jedoch nicht wörtlich zu nehmen, denn mit Beschluss einer neuen Verfassung, aber auch allein in diesem Fall, könnte sie außer Kraft gesetzt werden (vgl. Artikel 146 GG). Nach heute ganz herrschender Meinung jedenfalls kann aber die Ewigkeitsklausel und die dadurch gesicherten Grundsätze bis zu einer Ersetzung des Grundgesetzes durch eine andere Verfassung nicht aufgehoben werden.
Nun zu Ihrer zweiten Frage, ob ich einem demokratisch entscheidenden Staatsoberhaupt in einer direkten Demokratie Vertrauen schenken würde. Ich nehme an, sie beziehen sich hierbei auf die Möglichkeit des Volksentscheids. Die SPD hat sich in der Vergangenheit mehrfach dafür stark gemacht, ist jedoch bisher an der erforderlichen 2/3-Mehrheit für die Grundgesetzänderung gescheitert. Wir werden das Vorhaben dennoch weiter verfolgen und uns dafür einsetzten, das umzusetzen, was wir im neuen Grundsatzprogramm, dem sog. Hamburger Programm, im Oktober 2007 beschlossen haben. Dort heißt es wörtlich: "Der Verbindung von aktivierendem Staat und aktiver Zivilgesellschaft dient auch die direkte Mitsprache der Bürgerinnen und Bürger durch Volksbegehren und Volksentscheide. In gesetzlich festzulegenden Grenzen sollen sie die parlamentarische Demokratie ergänzen, und zwar nicht nur in Gemeinden und Ländern, sondern auch im Bund. Wo die Verfassung der parlamentarischen Mehrheit Grenzen setzt, gelten diese auch für Bürgerentscheide."
Ihrer Frage, ob eine Partei dem Gemeininteresse entsprechen kann, möchte ich eine Gegenfragen entgegenstellen: Was ist das Gemeininteresse? Dieses wird in Reinform nie erreicht werden können, denn das hieße, dass es zum einen ein gemeinsames Interesse aller in einem Staat lebenden Individuen gäbe, was nie der Fall sein wird. Zum anderen wird man es eben aber auch nie jedem recht machen können.
Darum gibt es verschiedene Parteien zwischen denen sich die Wähler entscheiden können. Parteien sind in ihrer Definition Zusammenschlüsse gleichgesinnter Personen, die sich in unterschiedlicher organisatorischer Form an der politischen Willensbildung beteiligen und danach streben, politische Positionen zu besetzen und ihre Ziele in einem Gemeinwesen durchzusetzen. D.h. Parteien stehen für bestimmte Prinzipien und Programm, in denen sie darlegen, wie sie sich das Zusammenleben innerhalb eines Landes vorstellen. Ihre Ansatzpunkte sind dabei teilweise sehr unterschiedlich. Die Grundsätze der SPD z.B. sind u.a. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Auf diesen versuchen wir die für die Gesellschaft beste Form des Zusammenlebens zu finden und die Geschicke des Landes im Sinne des Gemeinwohls zu gestalten.
Ich hoffe, dass ich Ihnen hiermit weiterhelfen konnte.
Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil, MdB