Frage an Hubertus Heil von Wolfgang M. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Hr. Heil,
die Regierung und die Regierungsparteien sagen bei ihrer Steuererleichterung die Unwahrheit.
1) Die kleinen und die mittleren Einkommen sollen entlastet werden.
Wer sich mit den Steuerkurven etwas auskennt, weiß, dass die kleinsten Einkommen und die Minijobber überhaupt nicht entlastet werden. Da müsste es schon eine negative Steuer geben. Die Besserverdiener haben in Euro den größten Nachlass.
2) Die kalte Progression soll gemindert werden.
In Wirklichkeit soll die Auswirkung der kalten Progression in einem einzigen Jahr gemindert gemindert werden. Im folgenden Jahr schlägt sie wieder in der alten Härte zu. Es gäbe die Möglichkeit, die kalte Progression wirklich endgültig abzuschaffen. Dazu müsste die gesamte Steuerkurve jährlich an die Inflation angepasst werden.
Stimmen Sie mir zu?
Warum hört man von der SPD so wenig dazu?
Von der SPD hört man nur das Argument der Schuldenbremse gegen die Steuererleichterung.
Darf denn trotz der Schuldenbremse die kalte Progression nicht abgebaut werden? Muss der Staat jährlich einen höheren Einkommenszuwachs haben als der Bürger?
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Mücke
Sehr geehrter Herr Dr. Mücke,
vielen Dank für Ihre Anfrage vom 7. November 2011 über die Plattform abgeordnetenwatch.de, auf die ich Ihnen gerne antworten möchte.
Das Phänomen der kalten Progression wird von der Bundesregierung für Wahlkampfzwecke missbraucht, um irgendwie die Notwendigkeit von Einkommensteuerabsenkungen noch vor dem nächsten Bundestagswahltermin zu begründen. Somit weckt Schwarz-Gelb bei den Bürgerinnen und Bürgern falsche Erwartungen. Bis heute gibt es keine belastbaren Berechnungen darüber, wie groß das Phänomen der kalten Progression in den nächsten Jahren überhaupt wird. Bis heute hat die Bundesregierung keine Angaben zu den bei ihren Steuersenkungsplänen angeblich unterstellten Effekten der Kalten Progression gemacht. Dies zeigt, dass die angekündigten Steuersenkungen keine belastbare Grundlage haben, sondern frei gegriffen sind. Es stellt sich die dringliche Frage: Wer wird letztlich dafür zahlen, wenn die Koalition doch noch in dieser Legislaturperiode Steuern senkt?
Die geplanten Steuersenkungen begünstigen die Bezieher höherer Einkommen. Die geplanten Steuersenkungen führen bei Geringverdienern zu keiner nennenswerten Entlastung. Das ist auch eine Folge der rot-grünen Steuerreform mit ihren mehrfachen und noch heute wirksamen Tarifsenkungen, von denen Bezieher kleinerer Einkommen profitiert haben. Bei Beziehern niedriger und mittlerer Einkommen spielt heute die Belastung mit Sozialbeiträgen eine wesentlich größere Rolle als die Steuern. Eine Absenkung der Sozialbeiträge brächte Gering- und Mittelverdienern somit eine größere Entlastung als eine Tarifsenkung bei der Einkommensteuer.
Die Steuermindereinnahmen werden die bereits vorgesehene Neuverschuldung weiter erhöhen und widersprechen damit den Bekenntnissen von Schwarz-Gelb zur Haushaltskonsolidierung. Auch die Steuerschätzung rechtfertigt keine Steuersenkungen. Die prognostizierten Steuerzuwächse sind größtenteils auf die bislang gute Konjunktur zurück zu führen. Gemäß den Vorgaben der Schuldenbremse müssen sie zur Reduzierung des konjunkturell bedingten Teils des Haushaltsdefizits verwandt werden und eröffnen deshalb keine Spielräume für dauerhafte Steuersenkungen. Der drohende Wachstumseinbruch birgt überdies erhebliche Ungewissheiten. Bei einer Abkühlung der Wirtschaftsentwicklung kehrt sich die Steuerprognose schnell um, und es muss mit geringeren Steuereinnahmen gerechnet werden. Die Steuersenkungen von Schwarz-Gelb sind deshalb ein echtes Risiko für die öffentlichen Haushalte.
Ich hoffe, dass ich Ihnen hiermit Ihre Frage beantworten konnte. Die Steuerausfälle mindern die Spielräume von Bund und Ländern, Zukunftsinvestitionen zu leisten. Damit wird die Basis für Wachstum und Wohlstand in den kommenden Jahren geschwächt.
Mit freundlichen Grüßen
Hubertus Heil