Frage an Hubertus Heil von Michel W. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Heil,
in Deutschland sind viel hundertausend Menschen als Hilfskräfte in der stationären Altenhilfe beschäftigt, ohne einen entsprechend anerkannten Berufsabschluss. Sie werden häufig als Altenpflegehelfer geführt. Wie allgemein bekannt erreicht in diesem Beschäftigunssektor die überwiegende Zahl das Renteneintrittsalter nicht. Zu hoch sind die körperlichen, aber auch die psychischen Dauerbelastungen.
Altenpflegehelfer genießen keinerlei Anspruch auf die Leistungen der gesetzlichen Berufsunfähigkeitversicherung (gilt nur noch für die Jahrgänge bis 1961), da keine Berufsqualifizierung vorliegt. Auch wer beispieltweise 15 Jahre alte Menschen liebevoll und engagiert gepflegt hat gilt als ungelernt. Obwohl er seine Gesundheit für das Gemeinwohl eingesetzt hat, zeigt ihm der Gesetzgeber die kalte Schulter.
Noch problematischer wird der Fall, wenn der Arbeitnehmer auf anraten der Arbeitgebers eine private BU-Zusatzversicherung abgeschlossen hat. Dies ist wahrscheinlich tausendfach geschehen, da diese Versicherung oft in Kombination mit einer privaten Kapitalrentenversicherung angeboten wurde. Diese stellt für mich dann eine Versicherung dar, die niemals auszahlen muss, weil der Versicherungsfall nie eintreten kann.
Da oft keine Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt wird (abstrakte Verweisbarkeit am Arbeitsmarkt bei einer Belastbarkeit von über 3 Stunden), fühlen sich viele ehemalige Beschäftigte des Pflegebereichs, wie ich finde völlig zu Recht, ungerecht behandelt. Nicht wenige landen nach jahrzehnterlanger Pflegetätikeit in der Langzeitarbeitlosigkeit und im HARTZ4-Bezug.
Der geschilderte Fall ist konkret und kann belegt werden.
Was gedenkt die SPD-Bundtagsfraktion für die Verbesserung dieser Menschen zu tun?
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Michel Winckler
Sehr geehrter Herr Winckler,
ich danke Ihnen für Ihre Anfrage vom 10. Juni 2011, auf die ich hiermit gerne antworten möchte.
Die Pflege gehört zu den wichtigsten Dienstleistungen der Zukunft. Der Dienst am Menschen, den die Pflegefachkräfte leisten, muss stärker anerkannt werden. Gerade auch angesichts des Fachkräftemangels im Pflegebereich können wir es uns nicht leisten, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Pflege unterbezahlt werden und das Berufsfeld für junge Menschen unattraktiv ist. Die Einführung des Mindestlohns im Pflegebereich war ein wichtiger Schritt. Doch auch im Bereich der Altenpflegeausbildung, der Weiterbildung und Umschulung besteht noch Handlungsbedarf.
Sie sprechen den Erwerbsminderungsschutz von Altenpflegehelfern in der Rentenversicherung an. Mit dem seit 2001 geltenden Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gilt für jüngere Versicherte prinzipiell ein System der zweistufigen Erwerbsminderung, das sich nur noch an dem zeitlichen Restleistungsvermögen orientiert: Wer aus medizinischen Gründen nur noch bis zu 3 Stunden täglich erwerbstätig sein kann, besitzt einen Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente, wer zwischen 3 und 6 Stunden erwerbstätig sein kann, erhält eine Teilerwerbsminderungsrente. Die vormals mögliche Rente wegen Berufsunfähigkeit ist für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1960 geboren sind, entfallen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Rentenart nicht allen Versicherten zu Gute kam: Maßstab für die Beurteilung der Frage, ob Berufsunfähigkeit vorlag, war alleine die verbliebene Erwerbsfähigkeit des Versicherten verglichen mit der eines Gesunden »mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten«. Da zudem eine Orientierung an zumutbaren Tätigkeiten festgeschrieben war, stellte sich in jedem Einzelfall nicht nur die Frage nach dem Gesundheitszustand des Versicherten, sondern auch die Frage der sozialen Zumutbarkeit von so genannten Verweisungstätigkeiten. Maßstab für die Zumutbarkeit war dabei, dass eine zumutbare Verweisung für Versicherte grundsätzlich nur auf Tätigkeiten der jeweils nächst niedrigeren Gruppe erfolgen durfte. Ausdrückliches Ziel der Berufsunfähigkeitsrente war demnach die Gewährung eines Berufs- oder Statusschutzes für den erwerbsgeminderten Versicherten.
Höher qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhielten bereits eine Rente, wenn sie ihren bisherigen oder einen zumutbaren anderen Beruf nur noch eingeschränkt ausüben konnten, obwohl sie auf dem „allgemeinen Arbeitsmarkt“ noch voll einsetzbar gewesen wären. Für Beschäftigte ohne besondere Qualifikation galt dies nicht. Sie mussten zwar die Rente wegen Berufsunfähigkeit mit ihren Beiträgen mitbezahlen. Da für sie jedoch jede Tätigkeit auf dem „allgemeinen Arbeitsmarkt“ zumutbar war, kam für sie bei gleicher Leistungseinschränkung die Berufsunfähigkeitsrente nicht in Betracht. So fielen bestimmte Gruppen von Beschäftigten – wie beispielsweise Hilfskräfte in der Altenpflege – aus dem System heraus.
Im Gegensatz zur bisherigen Berufsunfähigkeitsrente kommt es nun für jüngere Beschäftigte bei der zweistufigen Erwerbsminderungsrente auf einen erreichten beruflichen Status nicht mehr an. Für alle Versicherten einheitlich werden nun sämtliche Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt berücksichtigt. Damit wird dem Grundsatz der Gleichbehandlung Rechnung getragen, der es gebietet, dass die Versicherten im Maße ihrer Beitragszahlungen gleiche Möglichkeiten haben müssen, Leistungen der Versicherung in Anspruch zu nehmen.
Es ist sehr gut nachvollziehbar, dass diejenigen, die durch die Stichtagsregelung die zeitlich gezogene Grenze verfehlen, enttäuscht sind und sich ungerecht behandelt fühlen, zumal wenn sie keinen privaten Berufsschutz erhalten. Von zentraler Bedeutung ist aber, dass sie einen Schutz vor dem allgemeinen Erwerbsminderungsrisiko besitzen, und dies ist weiterhin der Fall.
Um zu verhindern, dass langjährig Beschäftigte in Langzeitarbeitslosigkeit abgehängt werden, müssen Maßnahmen für Langzeitarbeitslose und ältere Arbeitssuchende weitergeführt bzw. ausgebaut werden. Leider kürzt die schwarz-gelber Bundesregierung derzeit genau an dieser Stelle die Mittel und streicht so die aktive Arbeitsmarktpolitik zusammen. Die SPD-Bundestagsfraktion wird diese Kürzungsorgie bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf dem Rücken der Menschen nicht akzeptieren. Neben Qualifizierung und Bildung ist für uns ein echter sozialer Arbeitsmarkt ein zentrales Anliegen.
Mit freundlichen Grüße
Hubertus Heil