Frage an Hermann Soldan von Ingrid E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo,
für mich wird die Frage der Volksabstimmung immer wichtiger!
Sie gibt eine Lösung für den Unmut der BürgerInnen, die sich endlich als eigenverantwortlich Handelnde einbringen wollen.
Ich verstehe das als ein Grundrecht.
Wie stehen Sie dazu?
MfG
I. E.
Liebe IngridE.,
vielen Dank für Ihre Frage zum Thema Volksabstimmungen.
Sie treffen damit ins Zentrum der Demokratiediskussion – und gleichzeitig auch ein wichtiges Anliegen der Partei DIE LINKE und natürlich auch meiner Person als Direktkandidat.
Zunächst ganz kurz: Ja, sowohl ich als auch meine Partei befürworten Volksabstimmungen und ähnliche Formen der aktiven politischen BürgerInnenbeteiligung auf allen politischen Ebenen (kommunal, regional,national, EU). Ich möchte ihre Frage darüber hinaus in zwei Teilenbeantworten und gleichzeitig meine Haltung begründen:
1. Der „Unmut“ von dem Sie sprechen, hat sicherlich vielfältige Gründe.
Einer der wichtigsten ist aus meiner Sicht der Aspekt mangelnder Solidarität und/oder sozialer Ausgrenzung bis hin zu sozialer Armut: Wenn Menschen sich für ihre Arbeit durch gute Arbeitsbedingungen und gute Löhne nicht anerkannt fühlen, während „die oberen Zehntausend“ ihr Einkommen und Vermögen ungenommen immer weiter mehren, dann führt das nicht nur zu Unzufriedenheit, sondern auch zu Frust und zunehmendem Unmut. Das gleiche gilt für Menschen, diesoziale Transferleistungen („Hartz IV“) oder zu geringe Renten bekommen; hiersind die persönlichen Verletzungen persönlich und gesellschaftlich besonders groß.
Für uns LINKE und viele Millionen Menschen ist es nicht zu verstehen,dass prekäre Arbeit (Niedriglohnsektor, Befristungen, Leiharbeit oderWerkverträge für nahezu jede/n Vierte/n Beschäftigte/n – das sind mehr als 7 Millionen Menschen!) und zu geringe Renten nach einem langen, oft arbeitsreichenLeben (aus unserer Sicht gehört auch Familienarbeit dazu) an die soziale Armutsgrenze und darüber hinaus führen! Dies entsolidarisiert die Gesellschaftund schafft ein Klima der Angst, der Frustration und der Ungleichheit, das offenbar von allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien in Kauf genommenund sogar gefördert wird! Für uns LINKE ist diese Form der milliardenschweren materiellen Enteignung und er deutlich spürbaren persönlichen Abwertung ein grober Verstoß gegen dieWürde des Menschen (vgl. Grundgesetz Art. 1).
Einen zweiten Aspekt möchte ich auch noch nennen: Es ist offensichtlich, dass sich private wirtschaftliche Macht – vornehmlich in den Konzernetagen – nur zu oft als gegen die Interessen vieler oder der allermeisten Menschen richtet, denn im Mittelpunkt nationaler oder globaler Wirtschaft steht nur allzu oft die Mehrung des privaten Profits, die sichnegativ auf die Lebensbedingungen der meisten Menschen auswirkt. Mitdemokratischem und verantwortungsvollem Handeln hat dies dann nichts mehr zu tun.
Ein paar Beispiele dazu:
Rüstungsexporte (besonders in Krisengebiete )nutzen nur den Waffenproduzenten, sie töten und verletzen jährlich Millionenvon Menschen und sind Anlass für die Flucht weiterer Millionen. Sog.„Freihandelsabkommen“ torpedieren ArbeitnehmerInnen- und Umweltstandards undhelfen nur den Konzernen. EU-Knebelverträge im Handel mit Nordafrika zerstörendie dortige Landwirtschaft und treiben abermals Hunderttausende in die Flucht. Auch die derzeit aktuell gewordenen geheimen Absprachen zwischen Autokonzernen, diesich neben den Umweltaspekten sogar gegen die innerbetriebliche Demokratie richten, gehören dazu. Oder machen wir’s etwas konkreter in unserem regionalenUmfeld: Der grüne (?) Umweltminister Habeck legt es darauf an, an 7 Standortenin Schleswig-Holstein niedrig strahlenden Atommüll auf Bauschutt-Deponienabzulegen – gegen den Willen der Gemeinden (z.B. Harrislee), mit denen er dieZusammenarbeit eingestellt hat. Oder: Sterup gerät in den Fokus für ein Atommüll-Endlager,die Gemeinde weiß von nichts, aber Minister Habeck äußert sich ungefragr und fordert schon mal „Solidarität und Verantwortungsbereitschaft“ von den betroffenen Menschen ein! (dazu mehr auf unserer Flensburger Webseite: http://www.die-linke-flensburg.de/linke_themen/klimaenergie/)
Alle diese Beispiele in diesem Abschnitt werden von vielen Menschen mit Unverständnis, Ablehnung und Unmut zur Kenntnis genommen. Sie sehen die „Spielregeln“ von Demokratie und Menschlichkeit in Gefahr, sie trauen vielen, die die Macht in Wirtschaft und Politik ausüben nicht mehr, sie sehen klare Verstöße gegen Vernunft, menschliche und gesellschaftliche Werte undgegen die Demokratie – und oft ist dies auch begründet.
2. Und damit zum zweiten Teil: der Demokratie.
In einerdemokratischen Gesellschaft sind die repräsentative Demokratie als zentralepolitische Machtausübung sowie die zumeist private kapitalistische Wirtschaftnur dann stabile Elemente der Gesellschaft, wenn sie der Mehrheit dienen und dies nicht auf Kosten anderer Menschen. So legt es auch das Grundgesetz an. Wie ich jedoch im 1. Teil meiner Begründung dargelegt habe, ist genau diese an den Interessen der Menschen orientierte Stabilität oft nicht vorhanden. Gleichzeitig führt soziale Armut in Millionenhöhe zu einer Abkehr von den Grundregeln der Demokratie, zu Gleichgültigkeit und Hilflosigkeit.
Die soziale Krise in unserer Gesellschaft ist alsozugleich auch eine Krise der Demokratie – Populismus und rechte, oft sogar rassistisch verbohrte Haltungen sowie Gewalt (siehe AfD, Dansk Folkeparti, Front National etc.) sowie antidemokratischer Aktionismus nehmen zu (siehe USA,Brexit, Polen oder Ungarn)!
Daher geht es uns LINKEN nicht nur um die zugegebenermaßen äußerst notwendige Umverteilung von oben nach unten, also um das„Etwas-mehr-Haben“. Es geht uns vielmehr um die Wiedererlangung der Demokratie für alle Menschen! Eine Gesellschaft kann nur dann eine demokratische Grundstrukturentwickeln, wenn eine soziale Balance herrscht. Davon jedoch wollen die anderenParteien nichts wissen. Ihnen geht es bestenfalls darum, einige sozialeExtremhärten ein wenig abzufedern – oder sie stecken vor dem Zusammenhangzwischen sozialen und demokratischen Standards einfach gänzlich den Kopf in den Sand – nach dem Motto „Weiter so“.
Den LINKEN geht es also um eine Gesellschaft der Solidarität und mit sozialer Sicherheit, damit dielebensnotwendige Demokratie wieder zu ihrem vollen Recht kommt. DIE LINKE sieht – neben der oben beschriebenen, notwendig zustärkenden sozialen Gerechtigkeit – einen wesentlichen Anteil zur Wiederherstellung der Demokratie in der direkten Beteiligung der EinwohnerInnen und Einwohner.
DIE LINKE formuliert das in ihrem Wahlprogramm zwar recht kurz, aber unmissverständlich: „DIE LINKE fordert für Großprojekte in Bund, Ländern und Kommunen eine Demokratisierung der Demokratie, öffentliche undangekündigte Bürgerversammlungen, verpflichtende Bürgerentscheide, parlamentarische Beratungen mit allen Informationen zum Planungsprozess, nach einem Drittel derUmsetzung und zur Nachkontrolle.“
Und: „Wir wollen EU-weite Volksbegehren und Volksentscheide ermöglichen.“ (Wahlprogramm S. 111 und 105) Ich möchte zu dieser Forderung noch hinzufügen, dassGrundlage eines BürgerInnenentscheides immer das Grundgesetz der BundesrepublikDeutschland sein muss. Abstimmungen mit verhetzendem, anti-humanitärem und dem Gleichheitsgrundsatz zuwiderlaufendem Inhalt dürfen keine solchen Entscheiderechtfertigen!
Um es an einigen oben auch schon erwähnten Beispielen nocheinmal deutlich zu machen: Es macht Sinn, die Bürgerinnen und Bürger über die Lagerung von Atommüll, über Infrastrukturprojekte, generelle sozialpolitischeEntscheidungen, Fracking, Rüstungsexporte, Militäreinsätze und Bildungspolitikabstimmen zu lassen – jedoch nicht über z.B. die Todesstrafe, ausgrenzende Inhalte zu Migration und Religion oder die Aberkennung staatsbürgerlicherRechte.
In der Hoffnung, Ihnen in der von Ihnen aufgeworfenen Fragemeine Haltung (und die der Partei DIE LINKE) gut nahegebracht zu haben,verbleibe ich…
…mit vielen freundlichen Grüßen
Herman U. Soldan