Frage an Hermann Otto Solms von Dittmar S. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Dr. Solms,
aktuell untersucht der Bundestag die von Bahnchef Grube eingeräumte Kostenexplosion beim Bahnprojekt Stuttgart 21.
Meine Fragen an Sie u. Ihre Partei:
Was werden Sie persönlich u. Ihre Partei tun, damit realistische Kosten sowie eine Wirtschaftlichkeitsrechnung für das Bahnprojekt Stuttgart 21 noch vor dem 31.12.2009 offen gelegt werden?
Was werden Sie persönlich u. Ihre Partei tun, damit die vom Bundesrechungshof u. vom Gutachter Vieregg & Rössler benannten Kosten (5,3 Milliarden und 6,9 - 8,7 Milliarden Euro) bei der Kostenermittlung neu diskutiert u. berücksichtigt werden?
Werden Sie u. Ihre Partei dafür sorgen, dass die Argumente des Bahnexperten Holzhey (vgl. http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2289108_0_2147_-bahnexperte-lieber-ein-ende-mit-schrecken-.html ), die aus verkehrs- u. finanzpolitischer Sicht absolut gegen eine Realisierung des Bahnprojektes Stuttgart 21 samt Neubaustrecke sprechen, Berücksichtigung finden?
Das Eisenbahnbundesamt hat entschieden, dass entgegen dem Antrag der Bahn auf Befreiung v. den Vorgaben der EU-Richtlinie (Fluchtwege nur alle 1000 m) im Fildertunnel nunmehr alle 500 m ein Fluchtweg gebaut werden muss.
Was werde Sie u. Ihre Partei tun, damit die Vorgaben der EU-Sicherheitsrichtlinie zu Fluchtwegen in Tunneln (alle 500 m ein Fluchtweg!) nicht nur beim Fildertunnel, sondern bei allen Tunneln des Bahnprojektes S 21 u. der Neubaustrecke Wendlingen-Ulm im Sinne eines Sicherheitszugewinnes für die Bahnreisenden einzuhalten sind?
Was werden Sie u. Ihre Partei tun, damit die Kostenrelevanz von Bahnanträgen, die vom Eisenbahnbundesamt noch nicht entschieden wurden, bei der noch im Dezember 2009 angekündigten Veröffentlichung der Kosten für das Bahnprojekt Stuttgart 21 berücksichtigt werden?
Mit freundlichen Grüßen
Dittmar Schock
Sehr geehrter Herr Schock,
vielen Dank für Ihr Schreiben, in welchem Sie verschiedene finanzielle Aspekte des Großprojektes Stuttgart 21 ansprechen. Bitte entschuldigen Sie die stark verspätete Antwort.
Im Folgenden möchte ich Ihnen einen Überblick über den derzeitigen Sachstand geben.
Deutschland ist auf eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur angewiesen, die leider heute schon nicht immer gegeben ist. Die Engpasssituation im Großraum Stuttgart ist in diesem Zusammenhang nicht nur regionales, sondern auch europäisches Thema. Die Schienenmagistrale Paris-Bratislava verbindet Länder und Regionen mit insgesamt 34 Millionen Einwohnern und 16 Millionen Beschäftigten in Frankreich, Deutschland, Österreich und Ungarn. Der effiziente Ausbau zu einer durchgängigen Hochleistungsverbindung sowohl für Personen- als auch für Güterverkehr ist angesichts der EU-Erweiterung unerlässlich für die rasche, ökonomische, politische und kulturelle Integration Europas. Reisezeiten können um bis zu 50% reduziert werden und die Wettbewerbsfähigkeit des Schienenverkehrs gegenüber dem Luftverkehr gestärkt werden; dies beinhaltet auch nicht zu vernachlässigende ökologische Aspekte: weit über 18 Millionen Personenbewegungen werden von der Luft und der Straße auf die Schienen verlagert. Das entspricht einer Mindestersparnis von 70000 Tonnen Kohlendioxid im Jahr.
Weiterhin erwähnenswert ist, dass der neue Durchgangsbahnhof mit acht Gleisen eine deutlich höhere Leistungsfähigkeit besitzt, als der alte Kopfbahnhof mit 16 Gleisen. So können zwischen 42 und 51 Züge pro Stunde abgefertigt werden; bei einem Kopfbahnhof wären es nur 28 bis 38 Züge. Im Zuge dieser Verbesserung ist in Stuttgart ein Fahrplankonzept vorgesehen, das ein deutlich erhöhtes Zugangebot beinhaltet; dies hat unter anderem zur Folge, dass umsteigefreie Verbindungen quer durchs Land für ein attraktives Verkehrsangebot sorgen werden.
Die verbesserte Erreichbarkeit bedeutet einen Wertschöpfungszuwachs von rund 500 Milliarden Euro pro Jahr. Es entstehen bis zu 10.000 dauerhafte Arbeitsplätze. Die Steigerung der Immobilienwerte in der Stadt beträgt ca. zwei Milliarden Euro. 100 Hektar Gleisfläche werden zur Errichtung eines neuen Stadtteils verwendet; dort könnten z.B. bis zu 11.000 Wohnungen entstehen.
Stuttgart 21 befindet sich im Bau, ist über Jahrzehnte geplant und vollständig finanziert. Die Entscheidung für das Projekt beruht auf demokratischer Basis. Der im Rahmen vereinbarte Stresstest hat erfolgreich den verkehrlichen Mehrwert von S 21 nachgewiesen.
Der vereinbarte Kostenrahmen für das Bahnprojekt Stuttgart – Ulm (inkl. NBS Wendlingen – Ulm) liegt bei 7,5 Milliarden Euro und wird gemeinsam von den beteiligten Projektpartnern getragen:
- von der Deutschen Bahn AG (DB Netz AG, DB Station&Service AG, DB Energie GmbH)
- dem Bund (inkl. EU-Fördermittel)
- dem Land Baden-Württemberg
- der Stadt Stuttgart
- dem Flughafen Stuttgart sowie
- dem Verband Region Stuttgart
Noch einige Worte zu dem von Ihnen angesprochenen Gutachten: Die aufgeführten Beispiele des „investigativen“ Journalismus beziehen sich weitgehend auf vom BUND und den Grünen in Auftrag gegebene Gutachten der Vieregg und Rößler GmbH aus München. Diese Beratungsfirma besteht aus zwei Personen: einem Betriebswirtschaftler und einem Psychologen/Soziologen. Sie steht wegen strittiger Gutachten im Nahverkehr in München schon länger in der Kritik. Wirklich „investigativer“ Journalismus darf und soll Großprojekte wie Stuttgart 21 kritisieren. Mit Gefälligkeitsgutachten ist dies aber nicht möglich.
Ich hoffe, dass ich Ihnen den aktuellen Stand der Dinge darlegen konnte und verbleibe mit freundlichen Grüßen
Ihr Hermann Otto Solms