Frage an Hermann Gröhe von Thomas R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Guten Morgen Herr Gröhe,
mich würde interessieren, wie Sie zur neuerlichen Diätenerhöhung stehen.
Bei den Werten stellen sich mir als Familienvater die Nackenhaare hoch. Während wir Nullrunden über uns ergehen lassen bzw. über an die Preissteigerung angepasste Gehälter jubeln (die letztlich von steigenden Energiekosten einkassiert werden), genehmigt sich das Parlament Erhöhungen im Halbjahrestakt. Übrigens: Die Rente meiner Großmutter liegt unterhalb der Diätenerhöhungen seit 2007, die laut Spiegel insgesamt bei 1.150 Euro liegen soll. Und die hat Deutschland mit eigenen Händen aufgebaut und nebenher Kinder ernährt.
Vielen Dank für die Antwort und Gruß aus Grevenbroich
Thomas Riester
Sehr geehrter Herr Riester,
haben Sie Dank für Ihre Mail zum Thema Diätenerhöhung.
Natürlich ist mir sehr bewusst, dass die Erhöhung der Abgeordnetenentschädigung als Folge der Änderungen der Richter- und Beamtenbesoldung auf Grundlage des Besoldungs- und Versorgungsanpassungsgesetzes 2008/2009 Kritik und Unmut ausgelöst hat. Auch bin ich mir darüber im Klaren, dass nicht wenige Menschen in unserem Land jeden Cent umdrehen müssen, wahrlich zu äußerster Sparsamkeit gezwungen sind.
Und natürlich setzt sich niemand gerne aggressiven Selbstbedienungsvorwürfen aus.
Deshalb habe ich lange mit dem FDP-Vorschlag sympathisiert, das Grundgesetz zu ändern mit dem Ziel, irgendein Gremium außerhalb des Parlamentes mit der Diätenfestsetzung zu beauftragen. Allerdings bin ich inzwischen zu der Auffassung gelangt, dies würde uns den Vorwurf eintragen, die Öffentlichkeit der Meinungsbildung zu scheuen und uns aus der Verantwortung stehlen zu wollen.
Daher erscheint es mir angemessen, die Diäten an einer sinnvollen Bezugsgröße auszurichten. Dies geschieht in der gesetzlichen Regelung der Abgeordnetenentschädigung, die die Beamtenbesoldungsstufe B6 bereits seit 1995 als Orientierungsgröße vorgibt. B6 entspricht der Richterbesoldungsstufe R6 für normale Richter an den Obersten Bundesgerichten.
B6 erhalten in NRW die Bürgermeister in Städten zwischen 40 001 und 60 000 Einwohnern, also z.B. in Kaarst oder Meerbusch, während die Bürgermeister von Grevenbroich und Dor-magen nach B7, der Neusser Bürgermeister nach B9 und der Düsseldorfer Oberbürgermeis-ter nach B11 besoldet werden. Um nicht missverstanden zu werden: Ich wende mich niht gegen die Besoldung der Bürgermeister in Städten mit mehr als 60 001 Einwohnern. Ich halte allerdings auch die Orientierung der Entschädigung der Bundestagsabgeordneten an Bür-germeistern von Städten wie Kaarst oder Meerbusch für nicht übertrieben.
Im Übrigen erlaube ich mir den Hinweis, dass es für Landtags- und Bundestagsabgeordnete eine „Ehrenpflicht“ ist, fast ein gesamtes Brutto-Monatsgehalt als Parteibeitrag (inkl. Sonderbeitrag an den Landesverband) zu zahlen. Etwas Vergleichbares gibt es bei Bürgermeistern nicht, obwohl auch deren Amt auf einer Aufstellung durch eine Partei beruht, die für sie den Wahlkampf führt und finanziert.
Nach den Plänen der Koalition werden die Bundestagsabgeordneten die Richtgröße B6 nun zum 1. Januar 2010 erreichen – 15 Jahre nachdem der Gesetzgeber diese Bezugsgröße durchaus mit Zustimmung kritischer Beobachter festgelegt hat. Dies liegt auch an zahlreichen Null-Runden der letzten Jahre. So war die Anhebung der Diäten zum 1. Januar 2008 die erste Erhöhung nach fünf Jahren.
Die im Jahre 2007 beschlossene Anhebung der Diäten in zwei Schritten zur Erreichung der Bezugsgröße B6 und die Absicht, künftig den Tarifabschluss im öffentlichen Dienst nachzuvollziehen, sich also an B6 gleichsam „anzuhängen“, hätte nun zum 1. Januar 2008 zu einem in der Tat sprunghaften Anstieg geführt. Daher sieht der Vorschlag der Koalitionsfraktionen vor, den Tarifabschluss des öffentlichen Dienstes mit einer Verzögerung um ein Jahr auch für Abgeordnete nachzuvollziehen. Demnach wird zum 1. Januar 2009 eine Erhöhung um 278,-- Euro (3,63 Prozent) und zum 1. Januar 2010 um 213,-- Euro (2,68 Prozent) erfolgen. Die zunächst für den 1. Januar 2009 ins Auge gefasste Erreichung der Bezugsgröße B6 wird um ein weiteres Jahr verschoben.
In diesem Zusammenhang hat es mich überrascht zu lesen, dass eine SPD-Bundesministerin die Übernahme des Tarifabschlusses für den Öffentlichen Dienst durch die Abgeordneten zum 1. Januar 2009 kritisiert haben soll. Die gesetzliche Regelung der Ministerbesoldung in Deutschland führt nämlich zur rückwirkenden Tarifabschlussübernahme zum 1. Januar 2008.
Aufwandspauschale:
Viel diskutiert wird ja auch über die steuerfreie Aufwandspauschale, die nicht der Abgeordnetenentschädigung dient. Mit ihr werden uns pauschaliert Kosten ersetzt, die bei Bürgermeistern gar nicht anfallen (Zweitwohnsitz am Sitz von Regierung und Parlament) oder die den Kosten entsprechen, die bei Bürgermeistern selbstverständlich von der Stadt getragen werden. Ich nenne nur die Miete für das Wahlkreisbüro, Druck- und Kopierkosten, Portokosten – bei so manchem „Post-Berg“ im Monat – und die Kosten für die zahlreichen Autofahrten im Wahlkreis (statt Dienstwagen). Erst vor wenigen Tagen habe ich 1000 Exemplare des Grundgesetzes mit einem erläuternden Vorwort von mir in Druck gegeben (ca. 1000,-- Euro), um sie an Schülergruppen zu verteilen.
Altersversorgung:
Natürlich wirkt sich eine Diätenerhöhung auch auf die Altersversorgung aus. Allerdings gibt es hier manch abenteuerliche Vorstellung von einer sofortigen, altersunabhängigen Rundumversorgung im Falle eines Ausscheidens aus dem Parlament nach nur wenigen Jahren der Zugehörigkeit.
Tatsache ist: Schon beim ersten Schritt zur Anpassung der Abgeordnetenentschädigung an B6 zum 1. Januar 2008 wurde der Steigerungssatz der Altersversorgung um 16 Prozent gesenkt. Die Höhe der Altersentschädigung wurde von 3 Prozent für jedes Jahr der Mitgliedschaft im Bundestag auf 2,5 Prozent der monatlichen Abgeordnetenentschädigung abgesenkt. Der Höchstsatz wird damit erst nach einer 27-jährigen Mitgliedschaft im Bundestag erreicht. Dies ist eine seltene Ausnahme und setzt eine siebenmalige Wahl in den Bundestag voraus. Tatsächlich scheiden aber 40 Prozent der Abgeordneten bereits nach zwei Wahlperioden wieder aus dem Bundestag aus. Ein Abgeordneter mit einer durchschnittlichen Verweildauer von zwölf Jahren erhält 30 Prozent der monatlichen Abgeordnetenentschädigung als zu versteuernde Altersversorgung.
Im Übrigen hat eine unabhängige Kommission bereits 1993 nach sorgfältiger Prüfung festgestellt, dass eine Umstellung der Altersversorgung für Abgeordnete auf Versicherungsbasis nicht kostengünstiger wäre.
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld bei der Lektüre dieser Erläuterung der Position der Koalitionsfraktionen, die ich teile.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Hermann Gröhe