Frage an Hermann Gröhe von Manfred K. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Herr Gröhe,
wie läßt sich der Franktionszwang bei Abstimmungen im Bundestag mit unserem Grundgesetzt vereinbaren, wonach unsere Abgeordneten frei in den Entscheidungen sind und sich nur dem Gewissen und den Wählern gegenüber verantworten müssen. Das heißt für mich, daß bei Entscheidungen, die dem Franktionszwang unterliegen, -und das sind fast alle, -der Abgeordnete keine freie Entscheidung hat. Wo bleibt der Wähler und unsere Demokratie??
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Kutzer,
Ein Fraktins*zwang* bei den Abstimmungen im Deutschen Bundestag wäre in der Tat inakzeptabel. Fraktions*disziplin* ist dagegen unumgänglich, soll die angesichts der Fülle der Themen erforderliche Arbeitsteilung in einer Fraktion funktionieren. Denn auch wer sich – und darum bemühe ich mich – in die Themen seines Wahlkreises, die Themen im jeweiligen Fachausschuss und grundsätzliche Fragestellungen intensiv einarbeitet, wird im Deutschen Bundestag stets erleben, dass er gar nicht alle Themen in gleicher Weise behandeln kann. Wo ich selbst nicht über das Wissen eines Mitgliedes im zuständigen Fachausschuss verfüge – beispielsweise in der Forschungspolitik –, werde ich mich der Empfehlung meiner Fraktionskollegen in diesem Ausschuss anschließen, verbinden mich mit ihnen doch grundsätzliche programmatische Überzeugungen. Etwas anderes gilt dann, wenn eine Frage, wie beispielsweise die Stammzellforschung, von so grundsätzlicher Bedeutung ist, dass ich mir selbstverständlich eine eigene Meinung bilden möchte und muss. Umgekehrt war ich sieben Jahre als menschenrechtspolitischer Sprecher unserer Fraktion darauf angewiesen, grundsätzlich davon ausgehen zu können, im Namen meiner Fraktionskolleginnen und –kollegen zu handeln.
Alle Fraktionsdisziplin muss stets ihre Grenze am eigenen Gewissen der Abgeordneten finden. Ich selbst habe wiederholt in mir wichtigen Ausnahmefällen anders abgestimmt, als es der "Fraktionslinie" entsprochen hätte. Mein insoweit abweichendes Stimmverhalten habe ich dabei stets der Fraktionsführung gegenüber angekündigt und begründet. Zu "Abstrafaktionen" von Seiten der Fraktionsführung oder der Fraktionsmehrheit ist es nie gekommen.
Im Übrigen besteht in allen Fraktionen des Deutschen Bundestages darüber Einigkeit, bestimmte Fragen zur Abstimmung zu stellen, ohne dass "Fraktionsmeinungen" zuvor gebildet werden. Es kommen dann verschiedene sogenannte Gruppenanträge zur Abstimmung, die von gleichgesinnten Abgeordneten unterschiedlicher Fraktionen eingebracht wurden. Dies galt zuletzt etwa bei der Frage einer Stichtagsverschiebung im Bereich der embryonalen Stammzellforschung, würde aber beispielsweise auch im Fall einer Abstimmung über die Verbindlichkeit sogenannter Patientenverfügungen gelten.
Eine letzte Bemerkung:
Sie fragen danach, wo der Wähler in dieser Situation bleibe? Diese Frage ist sicherlich berechtigt. Allerdings bitte ich Sie zu bedenken, dass die Wählerinnen und Wähler eine Kandidatin oder einen Kandidaten häufig vor allen Dingen aufgrund der Tatsache wählen, dass für sie das Programm einer Partei, für die diese Kandidatin oder dieser Kandidat antritt, das politische Profil und Programm der Kandidatin oder des Kandidaten verbürgt. In meinem Beispiel: Ich bin als Kandidat der CDU in meinem Wahlkreis direkt gewählt worden. Insoweit erwarten meine Wählerinnen und Wähler auch, dass ich mich in meinem politischen Handeln und Entscheiden am Grundsatzprogramm und an den Wahlaussagen meiner Partei orientiere und Abweichungen begründe, wenn mir diese geboten erscheinen. Insoweit erfordert auch die Erkennbarkeit für die Wählerinnen und Wähler ein gewisses Maß an Fraktionsdisziplin.
Mit freundlichen Grüßen
Hermann Gröhe