Frage an Hermann Gröhe von Benedikt W. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Gröhe,
ich beschäftige mich im Rahmen einer Facharbeit mit der Aufnahme der Türkei in die EU und wollte nun von ihnen ihre persönliche Meinung und den Standpunkt der CDU erfragen.
Ich würde mich über eine baldige Antwort freuen und danke ihnen Schoneinmahl im Voraus für ihre Bemühungen.
Mit freundlichen Grüßen Benedikt Wagner
Sehr geehrter Herr Wagner,
haben Sie herzlichen Dank für Ihre Anfrage zur Position der CDU zur Aufnahme der Türkei in die EU bzw. auch zu meiner persönlichen Haltung hierzu.
Die Haltung der CDU ergibt sich z.B. aus ihrem Beschluss vom 20. Parteitag in Dresden. Hier heißt es „…Die Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union kann aber nicht in jedem Fall die einzige Antwort auf den Wunsch nach einer europäischen Perspektive sein. Für den Beitritt zur Europäischen Union ist die Erfüllung des Kriteriums der Aufnahmefähigkeit der Europäischen Union ebenso wichtig wie die strikte Erfüllung aller politischen und wirtschaftlichen Kriterien durch die Bewerberländer. Mit der Türkei werden ergebnisoffene Beitrittsverhandlungen geführt. Wir halten jedoch eine Privilegierte Partnerschaft der Europäischen Union mit der Türkei für die richtige Lösung….“ (Beschluss des 20. Parteitages der CDU Deutschlands „Deutschlands Verantwortung und Interessen in Europa und der Welt wahrnehmen.“). Diesen Beschluss und weitere Dokumente der CDU zur Europapolitik finden Sie im Internet unter http://www.cdu.de/politikaz/europa.php
Ich persönlich teile diese Auffassung und auch die Haltung der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag zur Frage eines Türkeibeitritts ganz ausdrücklich. Ich bin mir dabei mit den Europapolitikern der Fraktion einig, dass wir über die künftigen Grenzen der EU intensiv diskutieren müssen. Wir müssen uns überlegen, was die Europäische Union darstellen soll und kann, d.h., wir müssen das Selbstverständnis der Europäischen Union bestimmen. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage der Anbindung der Türkei an die EU zu sehen.
Deutschland und Europa haben ein Interesse an einer Vertiefung der gegenseitigen Beziehungen mit der Türkei und an einer Anbindung des Landes an die EU. Aus heutiger Sicht würde ein Beitritt der Türkei zur EU die Integrationsfähigkeit und den Zusammenhalt der EU jedoch großen Belastungen aussetzen. Deshalb muss deutlich sein, dass die am 3. Oktober 2005 aufgenommenen Verhandlungen mit der Türkei keinen Automatismus in Richtung eines Beitritts begründen. Die Bedingungen des Verhandlungsmandats und der Erklärung der EU-Mitgliedstaaten vom 21. September 2005, einschließlich des Kriteriums der Aufnahmefähigkeit der EU, müssen strikt eingehalten werden. Für den Fall, dass die EU nicht aufnahmefähig oder die Türkei nicht in der Lage sein sollte, alle mit einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen voll und ganz einzuhalten, muss die Türkei in einer Weise, die ihr privilegiertes Verhältnis zur EU weiterentwickelt, möglichst eng an die europäischen Strukturen angebunden werden.
Die Türkei ist auch nach dem aktuellen Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission dem Ziel der Beitrittsfähigkeit nicht näher gekommen. Die Kommission stellt vielmehr fest, dass die demokratischen Reformen weitgehend zum Erliegen gekommen seien. Moniert werden insbesondere große Defizite bei der Sicherstellung der Meinungsfreiheit und der Religionsfreiheit in der Türkei. Nicht vereinbar mit europäischen Vorstellungen ist auch die Tendenz, Konflikte eher militärisch zu lösen denn politisch, wie als jüngstes Beispiel die Zustimmung des türkischen Parlaments zu einem Einmarsch der Streitkräfte in den Nordirak zur Bekämpfung der PKK zeigt. Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Türkei noch weit von einer Beitrittsfähigkeit entfernt ist, ist die fortgesetzte Nichterfüllung des Ankara-Protokolls im Streit um Zypern.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Ausführungen weiterhelfen konnte. Sollten Sie weitere Fragen haben, können Sie sich gern auch direkt über hermann.groehe@bundestag.de an mich wenden.
Mit freundlichen Grüßen
Hermann Gröhe