Frage an Hermann Gröhe von Karin R. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Gröhe,
aus großer Sorge um die Zukunft schreibe ich Ihnen. Können Sie den ESM als Jurist beruhigt zustimmen und wie wird es werden, wenn er dann in Kraft tritt? Mich hat es sehr verwundert, dass die Medien wochenlang nichts über den Inhalt des ESM - Vertrages berichtet hatten. Wieviel TV-Sendungen gab es dagegen z. B. über den ehemaligen Bundespräsidenten Herrn Christian Wulff? Sehr viele Bürger wissen nichts über den ESM.
Der ESM - Vertrag:
- … “Der Gouverneursrat beschließt geeignete Schritte, um sicherzustellen, dass das betreffende ESM - Mitglied seine Schuld gegenüber dem ESM innerhalb vertretbarer Zeit begleicht“… Wie wird das in der Praxis umgesetzt?
- Wie weit können Sie (nationales Parlament) Einfluss auf ein Dringlichkeitsabstimmungsverfahren beim ESM nehmen?
-…”er (ESM) besitzt die uneingeschränkte Rechts- und Geschäftsfähigkeit, a) bewegliches und unbewegliches Vermögen zu erwerben und zu veräußern,” Was soll man darunter verstehen? Immobilien gehören sicher dazu.
- …“Er kann beschließen, das genehmigte Stammkapital zu verändern“… Wie kommt dann Deutschland jemals wieder zu einem planbaren und geordneten Haushalt?
- Wer zahlt die Anteile für ESM - Mitglieder, die jetzt schon unter dem Rettungsschirm sind? Was wird mit unseren Nachbarländern Polen und Tschechien, die trotz EU noch ihre Währung behalten?
Ich wünsche Ihnen morgen eine verantwortungsvolle und weitsichtige Stimmabgabe!
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte Frau Robanske,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage vom 29. Juni. Gerne teile ich Ihnen Einzelheiten zu den Ihrerseits angefragten Details zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) mit.
Was die Einhaltung der wirtschafts- und finanzpolitischen Bedingungen für finanzielle Hilfen an hochverschuldete Staaten durch den ESM und seinen Gouverneursrat betrifft: Der ESM funktioniert nach einem im Vertrag festgelegten Verfahren. ESM-Mitglieder, die um Finanzhilfen bitten, richten einen entsprechenden Antrag an den Vorsitzenden des Gouverneursrats des ESM. Sodann wird dieser Antrag durch die Europäische Kommission sowie durch die so genannte „Troika“ (d. h.: durch die Europäische Zentralbank (EZB) und gegebenenfalls den Internationalen Währungsfonds (IWF)) gewissenhaft geprüft. Dabei wird z. B. untersucht, ob eine Gefahr für die Stabilität der Eurozone vorliegt, wie hoch der Finanzierungsbedarf des ESM-Mitglieds ist und ob die Tragbarkeit der Staatsverschuldung des ESM-Mitglieds gegeben ist, welches den entsprechenden Antrag eingereicht hat. Nach dem Abschluss dieser Bewertung entscheidet der Gouverneursrat des ESM, ob finanzielle Hilfen zu gewähren sind. Sofern finanzielle Hilfen beschlossen werden, beauftragt der Gouverneursrat die Europäische Kommission, mit dem betreffenden ESM-Mitgliedstaat eine Absichtserklärung auszuhandeln, in der die wirtschaftspolitischen Bedingungen für finanzielle Hilfen festgeschrieben werden. Diese Absichtserklärung ist durch den Gouverneursrat zu billigen, bevor dieser eine abschließende Entscheidung über finanzielle Hilfen trifft. Die Einhaltung der zuvor erwähnten wirtschafts- und finanzpolitischen Bedingungen für finanzielle Hilfen wird von der Troika aus der EZB und dem IWF beaufsichtigt. Die Troika berichtet diesbezüglich dem Direktorium des ESM.
Was das im ESM vorgesehene „Dringlichkeitsabstimmungsverfahren“ betrifft: Das Eilverfahren (bzw. Dringlichkeitsabstimmungsverfahren) kann für Beschlüsse über die Gewährung und Durchführung von Finanzhilfen angewendet werden, wenn die Europäische Kommission und die EZB zu dem Schluss gelangen, dass die Unterlassung der dringlichen Annahme eines Beschlusses zur Gewährung oder Durchführung von Finanzhilfe in aller Eile die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität des Euro-Währungsgebiets bedrohen würde. In dem dann anzuwendenden Eilverfahren können Beschlüsse des Gouverneursrats und des Direktoriums, für die eine Beschlussfassung im gegenseitigen Einvernehmen vorgeschrieben ist, ausnahmsweise mit einer qualifizierten Mehrheit von 85 Prozent der Kapitalanteile getroffen werden. Wichtig ist dabei: Deutschland, Frankreich und Italien haben aufgrund der Größe ihrer Kapitalanteile ein (faktisches) Vetorecht.
Was die Rechts- und Geschäftsfähigkeit des ESM betrifft: Der Europäische Stabilitätsmechanismus ist als dauerhafter Krisenbewältigungsmechanismus für die europäische Staatsschuldenkrise eingerichtet worden. Seiner Struktur nach ist der ESM eine „Internationale Finanzinstitution“. Diese sorgt mit einem flexiblen Instrumentarium für Stabilität im Euroraum, indem sie in finanzielle Schieflage geratenen Eurostaaten gegen strikte Auflagen (finanzielle) Unterstützung gewähren kann. Die Ihrerseits zitierte Textpassage ist dem Artikel 32 des ESM-Vertrages entnommen. Dieser Artikel definiert den rechtlichen Status des ESM und schafft somit die rechtlichen Rahmenbedingungen, damit der ESM wie vorgesehen handlungsfähig werden kann.
Was Ihre kritische Frage zur deutschen Haushaltspolitik betrifft: Die unionsgeführte Bundesregierung hat inmitten der aktuellen Krise mit dem Beschluss des Haushalts für das Jahr 2013 sowie des Finanzplans bis zum Jahr 2016 ein vorbildliches Zeichen für nachhaltige Finanzpolitik gesetzt. Die umsichtige Planung von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble sieht vor, dass Deutschland die grundgesetzliche Schuldenbremse schon im kommenden Jahr (und damit drei Jahre früher als vorgegeben) einhalten soll. Zudem hat die unionsgeführte Bundesregierung ihr ehrgeiziges Ziel bekräftigt, im Jahr 2016 erstmals seit 40 Jahren einen ausgeglichenen Bundeshaushalt ohne neue Schulden zu beschließen und zugleich einen ersten Überschuss zu erzielen. Eingehende Informationen zu diesem Thema finden Sie auf der Website des Bundesfinanzministeriums unter http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Pressemitteilungen/Finanzpolitik/2012/06/2012-06-27-PM29-BHH2013.html bzw. unter http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Abt_2/2012-06-27-BHH2013-2.pdf?__blob=publicationFile&v=1 .
Gerne mache ich Sie abschließend das Papier „Stabilität, Wachstum und Verantwortung in Europa“ aufmerksam: http://www.cdu.de/doc/pdfc/argupapier-stabilitaet-wachstum-verantwortung.pdf . Darin hat die CDU wichtige Hintergrundinformationen zu den jüngsten Weichenstellungen für eine nachhaltige Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise zusammengestellt.
Mit freundlichen Grüßen
Hermann Gröhe