Frage an Hermann Gröhe von Matthias M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Gröhe,
haben Sie die Diskussion über den von Frau von der Leyen eingebrachten Gesetzesentwurf zur Sperrung von Kinderpornographie verfolgt?
Wie bewerten Sie diesen massiven Eingriff ins Grundgesetz? In §5 heisst es schließlich "eine Zensur findet nicht statt". Hier wird jedoch ein einmaliges Zensurinstrumentarium geschaffen. Die Familienministerin bezieht sich dabei auch auf die Sperrlisten anderer Länder, bei denen aber nachweislich auch Seiten gesperrt werden, die alles andere als Kinderpornographische Darstellungen enthalten. So wurde in Großbrittanien beispielsweise auch kurzzeitig die Wikipedia in eine solche Liste aufgenommen.
Außerdem: wenn doch schon bekannt ist wo sich solches Material befindet, und das ist ja der Fall wenn man eine Sperre dafür einrichten will, wieso werden dann nicht den Polizeibehörden weitere Mittel und Kräfte zur Verfügung gestellt um die Täter dahinter zu fassen?
Zur technischen Seite der Sperrmaßnahme, übertragen auf ein realitätsnahes Beispiel: Wenn ein Zeitungskiosk solches Material verkaufen würde, dürfte der Laden weiterhin Geschäfte machen. Die Bundesregierung sperrt jedoch sämtliche Zufahrtsstraßen dahin, sodass kein Straßenverkehr mehr dorthin gelangen kann. Ein "versierter" Fußgänger jedoch könnte den Kiosk weiterhin erreichen, die Regierung behauptet jedoch den Zugang zu diesem Kiosk würde durch die Straßensperren erschwert. Sehen Sie dies tatsächlich als probates Mittel an, Kinderpornographie wirksam (!) zu bekämpfen?
Möchten Sie dem BKA wirklich die Befugnisse geben, eine geheime Zensurliste zum Internet zu verwalten?
Mit freundlichen Grüßen,
Matthias Murek
Sehr geehrter Herr Murek,
haben Sie Dank für Ihre Nachricht vom 12. Mai 2009, in der Sie auf die Sperrung von Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt eingehen.
Selbstverständlich habe ich die Diskussion um den Gesetzentwurf intensiv mitverfolgt. Dieser stellt keinen Eingriff in das Grundgesetz dar.
Bei der Kinderpornographie geht es rechtlich grundsätzlich um zwei Komplexe:
Zum einen bedroht § 184b des Strafgesetzbuches (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Schriften) all diejenigen mit Strafe, die kinderpornographische Schriften verbreiten, solche Schriften öffentlich zugänglich machen oder die diese Dinge herstellen oder anbieten. Gemäß § 184b des Strafgesetzbuches gilt grundsätzlich zudem, dass sich strafbar macht, wer etwas unternimmt, um sich kinderpornographische Schriften – dazu gehören auch Dateien und das Betrachten von Bildern im Netz – zu verschaffen. Der Bundesgerichtshof hat dies folgendermaßen präzisiert: „Auch mit der bloßen Speicherung solcher Dateien im Cache-Speicher eines PC-Systems erlangt dessen Benutzer Besitz, weil es ihm möglich ist, jederzeit diese Dateien wieder aufzurufen, solange sie nicht manuell oder systembedingt automatisch gelöscht wurden" (BGH 1 StR 430/06 - Beschluss vom 10.10.2006). Entsprechend ist die Sperrung einer derartigen Seite als die Verhinderung einer Straftat zu qualifizieren. Dies unterscheidet diesen Fall z.B. von dem der Sperrung einer Seite, die vielleicht einen strafwürdigen Inhalt hat, bei der es aber nicht strafbar ist, sie sich zu verschaffen.
Ich bin froh, dass wir in Deutschland nun umfassend gegen die Beschaffung von kinderpornographischen Schriften vorgehen. Die Bundesregierung hat darüber unter Federführung der Bundesfamilienministerin von der Leyen in den vergangenen Wochen und Monaten intensive Gespräche und Verhandlungen mit der betroffenen Wirtschaft geführt. Dabei sind zwei Dinge deutlich geworden: Erstens sind die Access-Provider dazu bereit, den Zugang zu kinderpornographischen Inhalten zu erschweren und so die Beschaffungskriminalität einzudämmen. Fünf große Unternehmen haben sich inzwischen auf vertraglicher Basis dazu verpflichtet. Und zweitens brauchen wir eine gesetzliche Regelung. Lassen Sie mich deren wichtigste Punkte hervorheben:
- Alle großen Internetzugangsanbieter werden verpflichtet, durch geeignete technische Maßnahmen den Zugang zu kinderpornographischen Inhalten zu erschweren. Basis sind täglich aktualisierte Sperrlisten des Bundeskriminalamts.
- Aus präventiven Gründen wird gegenüber den betroffenen Nutzern über eine Stopp-Meldung klargestellt, warum der Zugang zu einem kinderpornographischen Angebot erschwert wird.
- Die Zugangsanbieter haften nur, wenn und soweit sie die Sperrliste des
Bundeskriminalamts nicht ordnungsgemäß umsetzen. Die anfallenden Daten
können für die Strafverfolgung genutzt werden, soweit die gesetzlichen
Voraussetzungen hierfür vorliegen.
- Da mit den Regelungen gesetzgeberisches Neuland betreten wird, sollen sie innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten evaluiert werden.
Es ist mir wichtig, klar zu stellen, dass es sich bei der genannten Sperrliste und bei der Verpflichtung der Internet Provider, die auf dieser Liste enthaltenen Internet-Seiten zu sperren, eben nicht – wie von Ihnen behauptet – um eine Zensur des Internets handelt, bei der der Staat einige Internetseiten sperren lässt, um seine Bürgerinnen und Bürgern mehr oder weniger willkürlich an der Nutzung des Internets zu hindern. Dies wäre nicht akzeptabel. Doch geht es hier um die Verhinderung von Straftaten gemäß § 184b des Strafgesetzbuches.
In der öffentlichen Diskussion ist leider bisher nicht ausreichend verdeutlicht worden, dass die Einschränkungen des Zugangs und die Strafverfolgung sich nur auf die besondere Struktur des § 184b des Strafgesetzbuches beziehen, das heißt ausschließlich auf die Verschaffung der Kinderpornographie. Es ist nicht daran gedacht, ähnliche Maßnahmen auch bei anderen Rechtsverletzungen zu ergreifen, bei denen z.B. das Betrachten der Seite straflos ist und eine weitere Handlung – möglicherweise ein Download einer Datei – hinzutreten muss, um ein Rechtsgut zu verletzen.
Insofern bin ich davon überzeugt, dass dieses Gesetzesvorhaben die Grundrechte der Bürger nicht verletzt. Die hier ergriffenen Maßnahmen sind – wie oben beschrieben – auch nicht auf andere Internetseiten mit problematischem Inhalt übertragbar.
Mir ist klar, dass das Gesetz kein Allheilmittel ist. Aber es ist ein weiterer Baustein in unserer Gesamtstrategie, die Kinder zu schützen und den Markt für Kinderpornographie – soweit es geht – auszutrocknen. Diese Strategie setzt sich aus ganz unterschiedlichen Maßnahmen zusammen. So wird natürlich auch – wie von Ihnen vorgeschlagen – bei den Polizeibehörden angesetzt und an der Mobilisierung zusätzlicher Kräfte gearbeitet.
Bevor das Gesetz voraussichtlich im Juni verabschiedet wird, findet am 27. Mai im zuständigen Ausschuss noch eine öffentliche Anhörung statt, bei der insgesamt neun Sachverständige zum Gesetz Stellung nehmen werden. Auch hier zeigt sich, dass wir den Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Kinderpornographie im Internet mit der gebotenen Sorgfalt behandeln. Leider erleben wir aber, dass bei der Diskussion berechtigte Anliegen und ungerechtfertigte Befürchtungen fälschlich miteinander verwoben werden.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Informationen weitergeholfen zu haben und
verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Ihr
Hermann Gröhe