Frage an Herbert Schui von Beate R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Schui,
Frau Bundeskanzler Merkel hat angesichts der Finanzkrise eine Garantie für die Deckung aller Girokonten durch Bargeld ausgesprochen. Wäre dies nicht endlich die Gelegenheit für eine umfassende Reform des Geldwesens, wie Sie z.B. http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/huber/ vertritt.
Er argumentiert dafür den Banken die Möglichkeit der Geldschöpfung zu nehmen, indem alle Sichtguthaben aus den Bankbilanzen genommen werden und reine Geldkonten werden. Die Regulierung der Geldmenge wäre wieder Wissenschaft, da die unabhängig bleibende EZB die Geldmenge durch den Übertrag entsprechender Beträge auf Staatskonten durchführt. Dem Staat, der Gemeinschaft fließen dadurch erhebliche Geldschöpfungsgewinne zu.
Ist die Ansicht des Autors, dass eine Verwendung dieser Gewinne dazu führen würde innerhalb von 20 Jahren den Staatshaushalt schuldenfrei zu machen, ohne den Sozialetat anzutasten, richtig? Müsste dann dies nicht Bestandteil linker Politik werden?
Sehr geehrte Frau Richter,
ich stimme mit Ihnen darin überein, dass die staatlichen Rettungsaktionen Anlass für eine umfassende Reform des Finanzwesens sein sollten. Es wird deutlich, dass unser Bankensystem seine Stabilität dem Staat verdankt. Es war nie rein privat, das zeigt die Existenz von Zentralbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken. In der Finanzkrise stützen sich die Privatbanken auf den Staat, der ihnen Liquidität, Garantien und Eigenkapital bereitstellt.
Das Verhältnis von Zentralbank und privaten Geschäftsbanken ändert sich gegenwärtig. Die privaten Banken leihen sich derzeit kaum noch Geld, die Zentralbank tritt an ihre Stelle. Die Kreditversorgung der Unternehmen ist unzureichend. Einige Zentralbanken, darunter die US-amerikanische, britische und japanische, gehen dazu über, unmittelbar Unternehmensanleihen und Staatsschuldpapiere aufzukaufen. Immer häufiger wird der Staat Anteilseigner an ehemals privaten Banken.
Dies ist eine Gelegenheit, von einem zweistufigen zu einem einstufigen Bankensystem überzugehen. Die Zentralbank nimmt dann unmittelbar die Aufgaben der Geschäftsbanken wahr. Sie erhält dadurch die Fähigkeit, die Kreditmenge zu steuern. Im aktuellen zweistufigen Bankensystem hat sie diese Fähigkeit nicht, weil Kredite von den Geschäftsbanken vergeben werden.
Die Kreditmenge beeinflusst die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Ist die Kreditmenge zu gering, liegen Kapazitäten brach, Massenarbeitslosigkeit ist die Folge. Eine zu hohe Kreditmenge dagegen kann dazu führen, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage die volkswirtschaftlichen Produktionsmöglichkeiten übersteigt. Das führt dann zu Preissteigerungen.
Entscheidend für die Preisentwicklung ist also die Entwicklung der Kreditmenge, weil sie die gesamtwirtschaftliche Nachfrage beeinflusst. Zwischen Geldmenge und Preisentwicklung besteht dagegen kein stabiler Zusammenhang, da eine größere Geldmenge nicht automatisch zusätzliche Nachfrage bedeutet. Die Geldmenge kann rascher steigen als die Nachfrage. In diesem Fall verlangsamt sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes.
Die Kreditmenge muss so gesteuert werden, dass Vollbeschäftigung möglich ist. Im Abschwung, wenn die privaten Investitionen gering sind, müssen die öffentlichen Ausgaben erhöht werden, um den privaten Nachfragerückgang auszugleichen. Eine günstige Möglichkeit der Finanzierung sind zinslose Kredite der Zentralbank. In der Krise muss die zusätzliche Nachfrage durch vorübergehende Staatsverschuldung geschaffen werden. Langfristig jedoch kommt es darauf an, durch Umverteilungspolitik die Nachfrage zu erhöhen. Dies ist möglich, weil niedrige und mittlere Einkommen eine niedrigere Sparquote haben als hohe Einkommen. Verteilt man von oben nach unten um, steigt das Einkommen von Haushalten mit niedriger Sparquote. Die Nachfrage steigt.
Durch die Kombination von kurzfristiger Staatsverschuldung in der Krise mit langfristiger Umverteilungspolitik zugunsten der Masseneinkommen und des Sozialstaates kann der Staatshaushalt schuldenfrei gemacht werden, ohne darauf zu verzichten, den Sozialstaat mit der Produktivitätsentwicklung auszubauen.
Mit freundlichen Grüßen
Herbert Schui