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Herbert Schui
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Frage von Uwe R. •

Frage an Herbert Schui von Uwe R. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Professor Schui,
Thema: Einführung der Wertschöpfungsabgabe.

Warum vertritt die BT-Fraktion der Linken die Umstellung auf die Wertschöpfungsabgabe (zur Senkung der Lohnkosten) nicht offensiv? Jedenfalls ist das mein Eindruck.
Ich erinnere mich noch an Reden und Interviews von z.B. Gregor Gysi Anfang und Mitte der 1990er Jahre. Dort wurde das Konzept der Wertschöpfungsabgabe offensiv vertreten und den Journalisten auch ungefragt in die Mikros gesprochen bzw. in die Schreibblöcke diktiert. Die journalistische Resonanz war zwar gering. Aber darf man sich von einer guten, wichtigen und richtigen Idee abringen lassen, nur weil sie wenig beachtet wird?
Die Krankenkassenbeiträge werden mit Einführung des kranken "Gesundheitsfonds" Anfang 2009 noch einmal steigen (sollte der zentral beschlossene neue Einheitsbeitrag nach Meinung der Krankenkassen zu gering sein, werden diese Kassen von ihren Versicherten einen Zuschlag verlangen). Das ist nur ein Beispiel für die weiter steigenden "Lohnnebenkosten."
Zweites Beispiel: In der Rentenversicherung denkt man auch an Beitragssteigerungen, so dass die Verringerung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge nicht wirklich die Lohnkosten wirksam senkt.
Die Arbeitslosenzahlen sind zudem mit deutlich mehr als drei Millionen (offiziell) doch ein weiterer Hinweis auf die Notwendigkeit der Wertschöpfungsabgabe.
Die Wertschöpfungsabgabe soll doch dazu dienen, die Lohnkosten wirksam und deutlich zu senken, und so letztlich die Arbeitslosenzahlen senken helfen, so wurde immer argumentiert.
Warum höre ich in letzter Zeit so wenig dazu von Ihrer Fraktion?

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Reinecke,

leider kann ich Ihre Begeisterung für die Wertschöpfungsabgabe nicht teilen. Lassen Sie mich einige meiner grundsätzlichen Bedenken darlegen:

Die Arbeitsproduktivität (das Produktionsergebnis je Beschäftigten) stellt diejenige Produktmenge dar, die verwendet wird als Sozialstaatsleistungen, als staatliche Tätigkeit insgesamt, als private Investitionen oder als Konsum der Lohn- und Gewinnbezieher. Dieser Sachverhalt ist unstrittig. In Frage steht, wie der Zugriff des Staates bzw. der sozialen Sicherungssysteme auf die Arbeitsproduktivität organisiert werden soll. Die Aufgabe, das Ergebnis einer steigenden Arbeitsproduktivität sachgerecht zu verteilen, stellt sich -- völlig unabhängig von der gewählten Organisationsform -- in jeder Wirtschaftsperiode aufs Neue, weil die Arbeitsproduktivität anhaltend wächst.

Gegenwärtig werden die Sozialsysteme finanziert durch einen prozentualen Aufschlag auf die Lohnsumme. Dies stellt sich dar als Abzug vom Bruttolohn und als Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung. Vom Grundsatz her soll die Hälfte der Kosten aus Unternehmensgewinnen aufgebracht werden. Solange, wie der reale Lohn wenigstens mit derselben Rate ansteigt wie die Arbeitsproduktivität, die Beschäftigung nicht absinkt oder der Umfang der nicht-sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nicht zunimmt, überträgt sich (auch bei unverändertem Beitragsatz) das Wachstum der Arbeitsproduktivität zuverlässig in Mehreinnahmen für die gesetzlichen Sozialversicherer. Um dies weiter zu verdeutlichen: Verdoppelt sich die Arbeitsproduktivität (dies war in den letzten 35 Jahren der Fall), bleibt die Anzahl der sozialversicherungspflichtigren Arbeitsstunden unverändert und steigt der Reallohn mit derselben Rate wie die Arbeitsproduktivität, dann verdoppeln sich die inflationsbereinigten Einnahem der Sozialversicherer ebenfalls. In diesem Fall sorgt im Wesentlichen der Erfolg der Gewerkschaften im Verteilungskonflikt dafür, dass das Wachstum der Arbeitsproduktivität die sozialstaatlichen Leistungen verbessert. Das Parlament ist mit seiner Gesetzgebung an diesem Konflikt nur insoweit beteiligt, als es eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge verhindern muss.

Fehlt es den Gewerkschaften dagegen an Durchsetzungskraft, dann sollte dieser Konflikt ins Parlament gebracht werden. Die Aufgabe ist, den Beitragsatz zu erhöhen, also den Konflikt zu gewinnen, den die Gewerkschaften nicht gewonnen haben. Hierbei ist von der Parität abzuweichen: Wenn wegen unzureichender Steigerung des Bruttolohnes nun vermehrt das Wachstum der Arbeitsproduktivität zu Gewinn geworden ist, dann ist sie von der Gesetzgebung /durch höhere Beiträge für die Arbeitgeber/ zugunsten der Sozialversicherung wieder abzuschöpfen.

Von dieser Idee sollte sich die Linke leiten lassen: Die Finanzierung der sozialen Sicherheit ist eine Frage des klassischen Verteilungskonfliktes zwischen der Unternehmerschaft und der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, die -- in unterschiedlichen Rechtsverhältnissen -- vom Verkauf ihrer Arbeitskraft lebt. Ausgetragen wird dieser Konflikt zwischen Gewerkschaften und Unternehmensverbänden und in den Parlamenten. Es gibt keine Kunstformel, mit der sich dieser Konflikt umgehen ließe. Ein steuerfinanziertes System der sozialen Sicherheit kann diesen Konflikt verdecken: Denn erst, wenn geklärt ist, wer in letzter Instanz (als das letzte Glied in der Steuerinzidenz) die Steuer zahlt, dann ist die Frage beantwortet, ob das Ergebnis der gestiegenen Arbeitsproduktivität von den Unternehmen und Anteilseignern als Gewinn vereinnahmt worden ist oder ob es genutzt wurde zur Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards. Bevor also die skandinavische Finanzierung zum Vorbild genommen wird, ist die gesamte volkswirtschaftliche Verteilung in diesen Ländern sorgfältig zu prüfen. Fällt der Test positiv aus, kann die /Verteilung/ als Vorbild dienen.

Die Forderung nach einer Wertschöpfungsabgabe wird damit begründet, dass die Arbeitsproduktivität und ihr Wachstum in den einzelnen Wirtschaftszweigen unterschiedlich hoch ist: Die Abgaben an die Sozialversicherung sollen entsprechend der Arbeitsproduktivität in den einzelnen Branchen und Unternehmen gestaffelt werden. Bei dieser Forderung werden einige grundlegende Zusammenhänge nicht hinreichend gewürdigt:

Die Frage lässt sich am einfachsten verdeutlichen für eine (angenommene) Situation, in der sich bei hinreichendem Wettbewerb eine gleich hohe Kapitalrentabilität in allen Branchen und Unternehmen deswegen herausbildet, weil das Kapital solange von Branche zu Branche umgesetzt wird, bis es überall gleich rentabel eingesetzt ist. Die Wirkungen unterschiedlicher Arbeitsproduktivität werden ausgeglichen durch die Preise: Bei geringer Produktivität der Arbeit fällt schließlich der Preis des hergestellten Gutes dennoch hoch genug aus, um die übliche Kapitalrentabilität zu realisieren. Würde dagegen die Preisbildung diesen Dienst nicht tun, dann würde das betreffende Gut wegen unzureichender Rentabilität nicht mehr hergestellt. Der Markt hätte sein Urteil gesprochen. Es gäbe keine Nachfrager, die bereit wären, einen Preis zu zahlen, der die durchschnittliche Rentabilität der Produktion sicherstellen könnte. Der Prozess der Preisbildung dient also dazu, den gesamtwirtschaftlich erzeugten Profit so zu verteilen, dass die Kapitalrentabilität in allen Verwendungen gleich ist. Gestört wird dieser Mechanismus durch Monopolisierung. Die Marktmacht ermöglicht eine überdurchschnittliche Rentabilität; entsprechend niedrig fällt die Rentabilität in anderen Bereichen aus. Trotz der Monopolisierung aber ist offenbar der beschriebene Mechanismus der relativen Preise nicht lahm gelegt. Als Beispiel kann die Preisrelation zwischen einem Transistor-Radio und einem Friseurbesuch gelten: Gemessen an einem Radio ist die Leistung Haar-Schneiden deutlich teurer geworden.

Oder allgemeiner: Angenommen, in der Branche A ist die Kapitalrentabilität wegen Monopolisierung höher als in Branche B. Ein Ausgleich über die Preisbildung findet also nicht statt. Die unzureichende Kapitalrentabilität in der Branche B macht den Unternehmen dort sehr zu schaffen. Bankrotte sind wahrscheinlich. Die Beschäftigten beschließen zur Rettung des Unternehmens, in dem sie arbeiten, einen geringeren Lohn zu akzeptieren. Da sich hierdurch aber die Marktmacht in den jeweiligen Branchen nicht verändert und folglich auch nicht der Mechanismus, der die Gewinne verteilt, wird über kurz oder lang der Gewinn, der durch Lohnzurückhaltung in der Branche B zunächst entsteht, vom monopolisierten Bereich A aufgesogen.

Der Lohn neigt aus Gründen des Wettbewerbs dazu, sich anzugleichen. Allenfalls knappe Qualifikationen erhalten einen überdurchschnittlichen Lohn. Bestimmt wird diese Knappheit und damit Lohnspreizung auch durch die Qualität des Bildungssystems. In dieselbe Richtung zielen im Grundsatz die Aktivitäten der Gewerkschaften.

Wenn der vorherrschende Lohn und eine angemessene Profitrate nicht sicher gestellt sind, wird dies über eine Verschiebung der relativen Preise ausgeglichen.

Wären nun die Lohnkosten niedriger wegen einer Wertschöpfungsabgabe, dann bestünde die Möglichkeit, dass Produkte billiger angeboten werden. Soll aber das Überleben eines Unternehmens, einer Branche so sichergestellt werden, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Preis nicht sinkt, sondern ein Normalprofit ermöglicht wird. Sinkt der Preis und wird damit mehr Beschäftigung erwartet, dann sind Informationen über die Preiselastizität der Nachfrage erforderlich.

Was am Beispiel der Kapitalrentabilität gezeigt wurde, lässt sich leicht auf die Lohnkosten und damit auf die Beiträge zur Sozialversicherung übertragen: Unterstellt wird, dass die Lohnkosten (die Beiträge zur Sozialversicherung ausdrücklich eingeschlossen) in allen Branchen gleich sind, auch wenn die Arbeitsproduktivität sehr unterschiedlich ist. Soll sich für alle Branchen eine einheitliche Kapitalrentabilität herausbilden -- die Gründe hierfür sind dieselben wie oben genannt -- dann wird dieser Ausgleich über die relativen Preise vollzogen. Wird das Spiel der relativen Preis durch Monopolisierung gestört, dann wird der benachteiligte Bereich dauerhaft mit einer niedrigeren Kapitalrentabilität arbeiten müssen -- oder er wird untergehen. Niedrigere Lohnkosten ändern daran -- wie gesagt -- nichts: Hilfe für die benachteiligten Bereiche kann nicht in niedrigeren Kosten gesucht werden, wohl aber in einer wirksamen Monopolkontrolle. Wie im Einzelnen kontrolliert werden könnte und welche Folgen die Monopolpreisbildung hat, lässt sich in den (zumeist etwas älteren) Publikationen des Kartellamtes und der Monopolkommission nachlesen.