Portrait von Herbert Schui
Herbert Schui
DIE LINKE
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Herbert Schui zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Mario S. •

Frage an Herbert Schui von Mario S. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Prof. Dr. Schui,

Ihr Kollege, Dr. Gysi, hatte mich an Sie verwiesen ( http://www.abgeordnetenwatch.de/dr_gregor_gysi-650-5874--f120956.html#frage120956 ) und aus diesem Grunde möchte ich dieselben Fragen bzgl. der exorbitanten Staatsverschuldung an Sie weiterleiten, die Herr Gysi zu meiner Unzufriedenheit nicht richtig verstanden zu haben scheint.

Zunächst hätte ich gerne gewußt, wieso sich der Staat überhaupt Geld bei privaten Geschäftsbanken gegen Zins leiht, obwohl er das Geld, welches er benötigt, selbst schuld- und zinsfrei schöpfen könnte?

Schöpft der Staat das allgemein akzeptierte Zahlungsmittel nämlich selbst, so kann es überhaupt keine Staatsverschuldung in der eigenen Währung geben - und demzufolge auch keine Zinsdienste.

In diesem Zusammenhang gibt es auch ein sehr interessantes Zitat von Thomas Edison:

"Es ist absurd zu sagen, dass unser Land zwar 30 Millionen $ als Anleihen herausgeben kann, aber nicht 30 Millionen $ als Währung. Beides sind Zahlungsversprechen, aber die eine Option mästet den Wucherer und die andere hilft dem Volk. Wenn die Währung, die durch die Regierung herausgegeben wird, wertlos wäre, dann wären es die Anleihen ebenso."
( Quelle: http://en.wikiquote.org/wiki/Thomas_Edison )

Meine weiteren Fragen wären diesbezüglich:

Warum wird Geld überhaupt als Schuld geschöpft und ist nachhaltiges wirtschaften mit einem Geldsystem, das auf eine dauerhaft exponentiell wachsende Geld- / Schuldenmenge angewiesen ist, um nicht zu kollabieren, überhaupt möglich?

Anbei lege ich Ihnen auch aufgrund der aktuellen Finanzkrise dringendst folgende Informationen ans Herz, um sie auf die grundlegenden Fehler in unserem Finanzsystem hinzuweisen:

http://www.pax-aeterna.net/informationen/

Sollte ich bei Ihnen in dieser Hinsicht Zweifel an unserem Geld erweckt haben, so bitte ich Sie, selbst konkrete Nachforschungen in diese Richtung anzustellen, da nicht nur unser Geld, sondern unser aller Leben in akuter Gefahr ist.

Vielen herzlichen Dank.

MfG

M. Schieschnek

Portrait von Herbert Schui
Antwort von
DIE LINKE

Sehr gegehrter Herr Schieschnek,

es ist nicht leicht, Ihre Fragen in diesem Rahmen eingehend zu beantworten. Ich will versuchen, die wichtigsten Punkte herauszuarbeiten.

Wirtschaftswissenschaftliche Lehrbücher, die den Kapitalismus rundweg bejahen, gehen von der folgenden Vorstellung aus: Vollständige Konkurrenz auf allen Märkten, den Arbeitsmarkt (und damit die Lohnfindung) ausdrücklich eingeschlossen, stellt sicher, dass alle wirtschaftlichen Ressourcen – die Produktionsfaktoren, wie diese Theorie das nennt – bestmöglich eingesetzt werden. Dies garantiere Vollbeschäftigung und eine Bedarfsdeckung entsprechend den Wünschen der Endverbraucher. Dieses Verständnis von einem gut funktionierenden Kapitalismus wird bei hartnäckiger Arbeitslosigkeit fragwürdig – und auch dann, wenn ein Wirtschaftsabschwung der Politik offenbar keine andere Wahl lässt, als durch kreditfinanzierte Ausgaben die Krise abzumildern. Diese Staatsdefizite – wie notwendig sie auch sind – machen eines deutlich: Sie sind eine Abkehr von der kapitalistischen Harmonierlehre; sie widersprechen dem, was von der vollständigen Konkurrenz und den freien Märkten erwartet wird. Dennoch existieren beide Auffassungen nebeneinander: Die eine mehr aus ideologischen, die andere mehr aus praktischen Gründen.

Wer nun soll diese Kredite an den Staat finanzieren, die Geschäftsbanken oder die Zentralbank? Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass den Geschäftsbanken ein Zins gezahlt werden muss, der von der Zentralbank finanzierte Kredit dagegen zinsfrei sein kann. Einige Finanzwissenschaftler, so Musgrave oder Tobin, haben schon vor vielen Jahrzehnten die Auffassung vertreten, dass Staatskredite nichts bei den Geschäftsbanken zu suchen haben. Diese Debatte ist dann in den 80er Jahren nochmals aufgegriffen worden. In Deutschland war Filc hier ein wichtiger Wortführer.

Das praktische und wichtige Argument für eine Finanzierung von Staatskrediten durch die Zentralbank ist sicherlich, dass dies die öffentlichen Haushalte entlastet: Ein großer und wachsender Teil der Steuereinnahmen geht nun nicht mehr für die Zinszahlungen drauf – bzw. dafür, den Geschäftsbanken zu sicheren Gewinnen zu verhelfen. Die Parteigänger dieser Lösung hatten alle guten Argumente auf ihrer Seite. Wenn sich schon in der Krise die Unternehmen nicht verschulden, um Investitionsgüter und Betriebsmittel zu kaufen, dann sollte dies der Staat tun, um die Beschaffung von Gütern und Leistungen zu finanzieren, die für die Allgemeinheit nützlich sind. Oder anders: Wenn die Nachfrage der Privaten fehlt, muss sie durch Staatsnachfrage ersetzt werden. Preissteigerungen wird dies nicht auslösen, denn der Staat wird seine Nachfrage nur in dem Umfang steigern, wie dies nötig ist, um zu Vollbeschäftigung zu kommen. (Sicherlich gibt es Fälle, in denen die kreditfinanzierte Staatsnachfrage Inflationen ausgelöst hat, so bei der Kriegsfinanzierung. Der Grund für die Geldentwertung ist hier aber nicht der Staatskredit per se. Vielmehr hat in diesem Fall die staatliche und die private Nachfrage bei weitem die höchstmögliche Produktion übertroffen.)

Anders betrachtet: Der Staat muss Kredite aufnehmen und damit staatliche Nachfrage finanzieren, weil der Markt, oder genauer, weil die Steuerung der Wirtschaft über das Preissystem, versagt hat. Wenn das so ist, dann gibt es keinen Grund, für den staatlichen Kredit einen Preis in Form des Zinses zu zahlen. Zweck des Preises ist schließlich dessen Allokationsfunktion: Ein funktionierendes Preissystem führt die wirtschaftlichen Ressourcen ihrer bestmöglichen Verwendung zu. Arbeitslosigkeit und nicht genutzte Kapazitäten beweisen, dass das Preissystem seinem Zweck nicht genügt. Um diesen Mangel auszugleichen, operiert die staatliche Verschuldungspolitik im Mengensystem: Sie legt fest, in welchem Ausmaß zusätzliche Nachfrage über Staatsschulden geschaffen werden muss, um Vollbeschäftigung zu erreichen. Preisstabilität ist dann gewährleistet, wenn die staatliche Nachfrage nicht über den Vollbeschäftigungspunkt hinausgeht. Allerdings eröffnen Vollbeschäftigung und hohes Wirtschaftswachstum den Unternehmen Preiserhöhungsspielräume. Wettbewerbspolitik kann dies verhindern. In jedem Fall aber muss Anti-Kartell-Politik und Marktaufsicht unternehmerische Preissetzungsmacht ausschließen.

Zu Ihrer letzten Frage: Die wachsenden Finanzvermögen stellen immer größere Renditeanforderungen an die Gesellschaft in Form von Zinsen und Dividenden. Wird nun in einem Land der Zins abgeschafft, dann führt dies bei freiem internationalem Kapitalverkehr zu umfangreicher Kapitalflucht. Das ließe sich sicherlich durch Kapitalverkehrskontrollen steuern. Schwerwiegender dagegen ist die folgende Frage: In einem preisgesteuerten System (einer Marktwirtschaft allgemein) kann auf den Zins als Allokationsinstrument nicht verzichtet werden. Wird er abgeschafft, muss das Marktssystem mit fallen. In einer kapitalistischen Marktwirtschaft muss es einen Zins geben. Zinsfrei lässt sich nur in einer Planwirtschaft wirtschaften. Ohne dies weiter bewerten zu wollen: Man muss sich stets darüber im Klaren sein, was die logischen Folgen der verfolgten politischen Projekte sind!

Doch auch im Kapitalismus lässt sich die Höhe des Zinses bzw. der Kapitalrendite allgemein steuern. Der Geldzins lässt sich durch die Politik der Zentralbank niedrig halten. Geht es dagegen um die Kapitalrendite allgemein, dann gilt das Folgende: Versteht man diese Rendite als einen Restbetrag, der nach Abzug der Löhne und Sozialstaatsausgaben verbleibt, dann lässt sich die Kapitalrendite durch einen erfolgreichen Verteilungskonflikt senken. Von einer bestimmten Untergrenze der Rendite aber ist damit zu rechnen, dass die volkswirtschaftliche Verteilung in Konflikt gerät mit der Renditeabhängigkeit der privaten Investitionen. Dies ist dann der Fall, wenn – dies ist nicht selten – Konzernleitungen Investitionsprojekten erst dann den Zuschlag geben, wenn die Rendite 15 oder 20 Prozent nicht unterschreitet. Keynes Lösung war, wie er dies genannt hat, die Verstaatlichung der Investitionen. Gemeint war ihre politische Planung. Dies aber dürfte schwierig sein bei einem privaten Unternehmen. Stellt sich heraus, dass Investitionsplanung nicht möglich ist, dann bleibt nur eine Möglichkeit, nämlich eine Eigentumsform, bei der die Investitionsentscheidung nicht abhängt von der Rendite. Dies bedeutet eine Vergrößerung des öffentlichen Sektors.

Mit freundlichen Grüßen
Herbert Schui