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Herbert Schui
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Frage von Ernst J. •

Frage an Herbert Schui von Ernst J. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrter Herr Prof. Schui,

ich bin mir einigermaßen sicher, dass Sie die Diskussion um den Stand bzw. den Zustand der deutschen Sprache in den vergangenen Jahren mitverfolgen konnten, nicht zuletzt durch die Informationen, die meine Freunde und ich Ihnen regelmäßig zugesandt haben. Wir hätten gern gewusst, wie Sie die Situation heute beurteilen und in welche Richtung Sie Handlungsbedarf vonseiten der Politik erkennen. Dazu meine sechs differenzierenden Fragen:

1. Sehen Sie auch die Notwendigkeit, dass Gesetze, Verordnungen, öffentliche Verlautbarungen und Benennungen (etwa von Straßen und Plätzen) in klarem, bürgernahem und allgemeinverständlichem Deutsch abgefasst bzw. veröffentlicht werden?
2. Wie stehen Sie zur Einrichtung des so genannten "Immersionsunterrichts" an staatlichen Schulen, bei dem Kinder von der 1. Klasse an in allen Fächern (bei einer Stunde Deutsch pro Tag) nur noch auf Englisch unterrichtet werden, wodurch ihnen die Welt des Wissens und des Handelns in der Schule praktisch nur noch in der Fremdsprache vermittelt wird?
3. Welche Bedeutung hat für Sie die Vermittlung und der Erwerb solider Deutschkenntnisse für die Integration von Zuwanderern und welche politischen Folgerungen ziehen Sie aus Ihrer Bewertung? Ist die gegenwärtige Situation für Sie befriedigend?
4. Sehen Sie die Notwendigkeit einer Gegenwirkung gegen die zunehmende Reduzierung der deutschen Sprache im Bereich der Hochschulen und Universitäten?
5. Wie können Sie dafür sorgen, dass Deutsch im Rahmen der Europäischen Union seiner Bedeutung gemäß (für die größte Sprachgemeinschaft der EU ist Deutsch die Muttersprache) wenigstens gleichberechtigt neben Englisch und Französisch behandelt wird?
6. Wie stehen Sie zu der Forderung, Deutsch als Landessprache im Grundgesetz zu verankern?

Mit freundlichem Gruß
Ernst Jordan Handeloh, am 24. Juli 09

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Jordan,

wer sich für die deutsche Sprache stark macht, muss vorsorglich betonen, dass es ihm nicht um Deutschtümelei geht. Der Rahmen ist vielmehr dieser: Ohne Sprache können wir uns gegenseitig nur wenig mitteilen. Deswegen muss Sprache klar, eindeutig und für alle Gesprächsteilnehmer verständlich sein. Und weiter: Das Sprechen und Denken hängen eng miteinander zusammen. Je ausgearbeiteter unsere Sprache ist, umso mehr hilft sie uns beim klaren Denken.

Nun zu Ihren Fragen:

1. Sicherlich müssen Gesetze und Verordnungen allgemein verständlich abgefasst sein. Der Code Napoléon ist übrigens – im Gegensatz zum Bürgerlichen Gesetzbuch – ein Beispiel dafür, wie ein Gesetz zu verfassen ist, damit auch Nicht-Juristen ohne Hilfe damit umgehen können.

2. Hier gehen die Meinungen bei den Fachleuten auseinander. Ich schließe mich der folgenden Richtung an: Um Fremdsprachen erfolgreich zu lernen, ist es sehr hilfreich, die eigene Muttersprache zu beherrschen. Oder allgemeiner: Wer in einer Sprache restlos sicher ist, der hat die besseren Aussichten, eine Fremdsprache perfekt zu erlernen. Deshalb sollten in den Grundschulen Deutsch den Vorrang haben. Die Pädagogen sollen entscheiden, wann zweckmäßigerweise mit Fremdsprachenunterricht eingesetzt werden soll.

3. Wer in ein fremdes Land zuwandert, der muss sich dort zu Recht finden können. Ohne Kenntnis der Landessprache geht das nicht. Wie sonst lässt sich eine ordentliche Arbeit finden und wie sonst kann man einen anspruchsvollen Beruf erlernen oder sich fortbilden. Integration schließlich bedeutet nicht zuletzt Integration in das Erwerbsleben. Deswegen sind Deutschkurse so wichtig. Sie müssen verbindlich sein und kostenlos. Das bedeutet aber auch, dass es für Erwerbstätige Abendkurse gibt und dass auch Schichtarbeiter die Möglichkeit zum regelmäßigen Besuch solcher Kurse haben. Hierbei aber ist zu beachten: Nicht wenige, die als Flüchtlinge oder Asylsuchende nach Deutschland kommen, können selbst in ihrer Muttersprache weder lesen noch schreiben. Oft aber beherrschen sie eine Fremdsprache. (Das ist oft der Fall bei Leuten, die aus den vorderasiatischen Ländern stammen.) All dies macht deutlich, wie wichtig es ist, die Deutschkurse den Voraussetzungen anzupassen, die die Leute jeweils mitbringen. Besonders wichtig ist auch, dass die Frauen vom Besuch der Kurse nicht ausgeschlossen sind. Hier müssen Sozialarbeiter gegebenenfalls mit den Familien zusammenarbeiten.

Aber es geht nicht nur um Deutschkurse für Erwachsene und Jugendliche: Ebenso wichtig sind die vorschulischen Einrichtungen für Kinder. Die Kleinen müssen in den Kindergärten Deutsch lernen, um in der Schule einen guten Start zu haben. Und in den Schulen selbst muss es genug Förderkurse geben – nicht nur für Zuwanderer. Denn allemal lassen die Sprachkenntnisse der Deutschstämmigen nicht selten sehr zu wünschen übrig.

4. Es hat wirklich wenig Sinn, wenn an Universitäten in – oft überaus holprigem – Englisch unterrichtet wird. Beachten wir besonders hier den engen Zusammenhang von Denken und Sprechen und damit dem Umstand, dass unsere Gedanken beim Sprechen allmählich verfertigt werden. (So jedenfalls hat Kleist das ausgedrückt.) Deswegen dürfte bei einem Universitätsseminar mehr herauskommen, wenn die Muttersprache die Seminarsprache ist.

Nun ist Wissenschaft sicherlich international. Deswegen sollten Studierende zwei, besser noch drei Fremdsprachen beherrschen. Sie müssen in der Lage sein, fremdsprachige Literatur zu lesen und erfolgreich an wissenschaftlichen Debatten in einer Fremdsprache teilzunehmen.

5. Die EU gründet sich auf das Prinzip der Vielfalt in Kultur, Bräuchen und Glauben. Dies schließt auch die* *Sprachen ein. Die Amtssprachen sind in der EU gleichberechtigt. (EWG VO1/1958). Offizielle Arbeitssprachen sind Englisch, Französisch und Deutsch. Tatsächlich gibt es viele Anzeichen, dass das Englische gegenüber dem Deutschen, aber auch gegenüber dem Französischen an Bedeutung zulegt. Das hat mit dem allgemeinen Trend zum Englischen als lingua franca zu tun.

6. Ob die deutsche Sprache im Grundgesetz „verankert“ werden soll: Ich weiß es nicht. Viel wichtiger ist, dass die Deutschen ihre Muttersprache tatsächlich beherrschen. Offensichtlich wird zu wenig gelesen – und wenn, dann oft Mist. Fragen Sie spontan ein Mitglied der sogenannten bildungsnahen Schichten, wann es denn zuletzt einen Roman gelesen hat, oder Freuds „Unbehagen an der Kultur“ oder Vergleichbares. Sie werden überrascht sein, was sich so alles für „bildungsnah“ hält!

Ein weiterer Gesichtspunkt sollte nicht unerwähnt bleiben: Die Sprachen, so auch das Deutsche, werden wesentlich umgebildet und entwickelt durch den Verbund von Werbefachleuten, Politikern und ihren Journalisten. Deren Sprache ist suggestiv, nicht aber analytisch. (Suggestion: Starke Beeinflussung des Denkens, Fühlens, Wollens oder Handelns eines Menschen unter Umgehung der rationalen Persönlichkeitsanteile. Die Suggestibilität ist erhöht bei willensschwachen, unselbständigen und leichtgläubigen Menschen.) Wie dagegen wirken?

Die Académie Française bildet eigenständig das Französische fort. Ein einfaches Beispiel: Das Französische hat nicht einfach den „Body Builder“ übernommen, sondern den „muscleur“ gebildet. (In den gängigen Wörterbüchern such man danach in der Regel allerdings vergebens) Wichtig für Deutschland ist eine Einrichtung, die nicht einfach festlegt, dass Deutsch das ist, was gebräuchlich ist. Vielmehr muss diese Einrichtung ein Gegenpol sein zur suggestiven Sprachbildung.

Also kurz und gut: Mit „Deutsch ins Grundgesetz“ ist die Frage nach der Verfassungswirklichkeit noch nicht beantwortet. Wichtig ist deshalb: Den kleinen Kindern mehr vorlesen, mehr Schule, mehr lesen, mehr Deutschunterricht, kein Abitur nach der 12. Klasse, mit den Lehrplänen nicht das tun, was Politiker „entrümpeln“ nennen.

Mit freundlichen Grüßen,

Herbert Schui